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Die ganze Geschichte. Yanis VaroufakisЧитать онлайн книгу.

Die ganze Geschichte - Yanis Varoufakis


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das Fass auf der Straße in den nächsten Ort zu rollen, wo ein Fest stattfindet. Dort wollen sie den Whiskey glasweise verkaufen. Sie rollen das Fass die Straße entlang und machen unter einer großen Eiche eine Pause. Während sie unter dem Baum sitzen, findet Art einen Schilling in seiner Tasche. Er freut sich und fragt: »He, Conn, kriege ich ein Glas Whiskey, wenn ich dir einen Schilling gebe?«

      »Na klar«, erwidert Conn und steckt den Schilling ein.

      Eine Minute später wird Conn klar, dass nun er einen Schilling hat. Er sagt zu seinem Kompagnon: »Art, was meinst du? Kriege ich auch ein Glas, wenn ich dir einen Schilling gebe?«

      »Aber sicher, Conn.« Art nimmt seinen Schilling wieder.

      Und so geht es weiter, der Schilling wechselt noch viele Male den Besitzer, bis Stunden später Art und Conn selig lächelnd und tief schlafend unter dem Baum liegen, neben ihnen das leere Whiskeyfass.

      Ich weiß nicht, ob dieser Witz jemals griechischen Bankern zu Ohren gekommen ist, aber ihre Lösung, um Kapital für ihre Banken aufzutreiben, glich verblüffend dem Verhalten von Art und Conn, mit dem Unterschied, dass nicht sie am nächsten Tag einen Kater hatten. Und so machten es unsere beiden Banker, nennen wir sie Aris und Zorba:

      Aris’ Familie gründete Offshore-Gesellschaften. Zorba erklärte sich heimlich bereit, den Gesellschaften ohne Sicherheiten und Bürgschaften die Millionen zu leihen, die Aris’ Bank brauchte. Warum so viel Großzügigkeit gegenüber einem Mitbewerber? Weil Zorba und Aris unter demselben sprichwörtlichen Baum saßen. Zorba brauchte verzweifelt Geld für seine eigene Bank und stimmte dem Kredit unter der Bedingung zu, dass Aris’ Bank den Offshore-Gesellschaften seiner, Zorbas, Familie entsprechende Summen leihen würde. Als alles geklärt war, kauften die Familien von Aris und Zorba mit dem Geld auf ihren Offshore-Konten neue Anteile an ihren eigenen Banken. Auf diese Weise erfüllten sie die Vorgaben der Regulierer, dass neues Kapital beschafft werden müsse, und zugleich auch die Bedingungen, damit echtes Geld fließen konnte, das der arme Steuerzahler sich bei der Troika lieh.

      Der Kater von Art und Conn wurde noch dadurch verschlimmert, dass sie an ihre Schulden bei Olcán dachten. Aris und Zorba waren in dem Punkt besser dran: Sie schafften es nämlich, am Schluss niemandem etwas zu schulden. Beide Kredite – der von Zorbas Bank an die Offshore-Gesellschaften von Aris’ Familie und der von Aris’ Bank an die Offshore-Gesellschaften von Zorbas Familie – wurden von den Banken kurz nach der Vergabe abgeschrieben und auf die lange Liste der notleidenden Kredite gesetzt.1

      Natürlich hatten nicht Aris und Zorba eine besonders clevere Idee gehabt. Sie hatten sich vielmehr von größeren Gaunern inspirieren lassen wie den Verantwortlichen des Savings-and-Loan-Schwindels in den 1980er-Jahren in Amerika, deren Tricks sie kopiert hatten. Als einzigartig in der Geschichte des Kapitalismus erwiesen sich Aris und Zorba insofern, als sie ihren Schwindel mit der aktiven Hilfe von drei der renommiertesten globalen Finanzinstitutionen durchziehen konnten: dem Internationalen Währungsfonds, der Kommission der Europäischen Union und der Europäischen Zentralbank. Diese gewichtigen Institutionen begingen die folgenden drei Sünden: Erstens zwangen sie die bankrotten griechischen Steuerzahler, sich Geld bei anderen europäischen Ländern zu leihen, das sie niemals zurückzahlen konnten, um es Aris und Zorba in Form von »Rekapitalisierungen« auszuhändigen. Zweitens beraubten sie die griechischen Steuerzahler jeglicher Kontrolle über die Banken, die sie nun rechtmäßig besaßen (denn sie hatten ja die Mehrheit der Anteile), und sorgten dafür, dass Aris und Zorba weiter das Sagen hatten. Und schließlich verurteilten sie die griechischen Steuerzahler zu einem Bankensystem, dass trotz der staatlichen Gelder, die hereinströmten, absolut bankrott blieb, weil die Banker so viele mittlerweile notleidende Kredite vergeben hatten.

      Das ganze Jahr 2011 über hatte ich meinen persönlichen Kreuzzug geführt, um gemeinsam mit zwei investigativen Journalisten die Verbindungen zwischen den Rettungskrediten für Griechenland, den internationalen Institutionen, die sie vergeben hatten, den bemerkenswerten »Innovationen« unserer Banker und dem griechischen politischen System aufzudecken. Offensichtlich konnte diese Art der Einmischung interessante Telefonanrufe früh am Morgen provozieren.

      Von Zungen und Bogen

      Wenn ausländische Journalisten mich interviewen, wollen sie mich in der Regel dazu bringen, dass ich Griechenlands endemische Korruption einräume und zugebe, dass ich den Anteil der EU, des IWF und ihrer Troika an unserer Misere übertreibe. Seltsamerweise scheinen sie nie daran interessiert, die zentrale Rolle der Medien bei diesen Vorgängen zu diskutieren.

      In einem der vielen Fernsehinterviews, die ich während meiner Zeit als Finanzminister gegeben habe, kam es zu einem bemerkenswerten Geständnis. Es war ein langes Interview, bei dem fast alle denkbaren Themen angesprochen wurden. Zunächst hatte der Interviewer schwere Geschütze aufgefahren, jede Frage mit bösartigen Unterstellungen garniert und mir für meine Antworten höchstens vier oder fünf Wörter gelassen, bevor er mich mit der nächsten Frage bombardierte. In der Werbepause flüsterte er mir ins Ohr: »Herr Minister, es tut mir sehr leid, aber Sie wissen, wie schwierig unsere Lage ist. Aris’ Bank ist die einzige, die noch Werbezeit bei uns einkauft.« Ich antwortete, dass ich ihn verstünde. Danach ging das Interview entspannter weiter, und ich hatte eine Chance, meinen Standpunkt zu formulieren. Mir schien, dass zumindest bei der Gelegenheit genug getan worden war, um dem Sender sein täglich Brot zu sichern.

      Gerechterweise konnte man das nur erwarten. Die griechischen Fernsehsender hatten schon vor 2008 in der Krise gesteckt. Tatsächlich hatte kein Fernsehsender jemals Gewinn gemacht, ebenso wenig wie die griechischen Zeitungen und Radiosender. Wären es selbstständige Unternehmen gewesen, hätten sie schon vor langer Zeit Bankrott anmelden müssen. In den Jahren des nicht nachhaltigen, schuldengetriebenen Wachstums waren die griechischen Medien ein wichtiger Hebel für die Bauunternehmer gewesen, die sie besaßen: Minister der Regierung konnten ihre Besitzer entweder bei lukrativen staatlichen Aufträgen berücksichtigen oder mussten damit rechnen, dass die Sender und Printmedien sie in der Luft zerrissen. Das ist einer von vielen Gründen, warum Griechenland Autobahnen bekam, die dreimal so viel kosteten, wie sie in Deutschland gekostet hätten, dass die Medikamente in Krankenhäusern überteuert waren, dass U-Boote sich wie der schiefe Turm von Pisa neigten, sobald sie zu Wasser gelassen wurden, dass sich Berge von Geld auf Offshore-Konten sammelten und Medienkonzerne stetig Verluste schrieben, aber niemals geschlossen wurden.

      Der Silberstreif bei unserem Staatsbankrott 2010 war, dass der Trog, aus dem die Bauunternehmer gefüttert wurden, sich leerte und ihre Sprachrohre auf einmal für sich selbst sorgen mussten, eine unmögliche Aufgabe, weil die Erlöse aus Werbung schwanden und ein nicht tragfähiges Geschäftsmodell unterging. Trotzdem schloss in dem Krisenjahr nur ein Sender, der Rest machte weiter, obwohl sich die Verluste auftürmten. Wie war das möglich? Aris und ein oder zwei andere Banker liefern die Antwort.

      Ganz einfach: Die Banker übernahmen die Finanzierung der Medien, um die öffentliche Meinung zu manipulieren und so das politische Spiel zu beeinflussen, das ihnen die Kontrolle über ihre bankrotten Banken sicherte. Aber im Gegensatz zu den Bauunternehmern waren die Banker so clever, dass sie es vermieden, Eigentümer der insolventen Fernsehsender und Zeitungen zu werden. Stattdessen hielten sie die Medien am Leben, indem sie ihnen lächerliche Summen dafür bezahlten, dass sie Werbung für ihre Banken machten, und, noch wichtiger, indem sie ihnen immer wieder verlängerte große Kredite gewährten, genau wie die Kredite, die sie sich gegenseitig gaben, und wie die Kredite von EU und IWF an unseren Staat.

      Damit war das sündige Dreieck komplett: Die insolventen Medien wurden von Zombie-Banken in einem Zombie-Zustand erhalten, die Zombie-Banken wurden von einer bankrotten Regierung in ihrem untoten Zustand erhalten, und die Regierung wurde von den Rettungskrediten der EU und des IWF im Zustand des permanenten Bankrotts gehalten. Ist es da ein Wunder, dass die Medien von Bailoutistan die Vorzüge der Rettung besangen und die Banker als Opfer eines unzuverlässigen Staats darstellten, während sie zugleich jeden dämonisierten, der zu sagen wagte, was wirklich vor sich ging?

      Während ich mitten in meinem Kampf steckte, brachte mich Bill Black, ein amerikanischer Kollege, der eine führende Rolle bei der Aufdeckung des Savings-and-Loan-Schwindels in den 1980er- und 1990er- Jahren in Amerika gespielt


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