DSA 109: Hjaldinger-Saga 3 - Eis. Daniel JödemannЧитать онлайн книгу.
und Vater genommen. Skidis Mutter hatte zudem seine Pflegeeltern auf dem Gewissen und sein Vater …
»Skidi!« Katla Oddasduhter kam auf sie zu, ihr jüngstes Kind, das sie erst vor wenigen Monden zur Welt gebracht hatte, im Arm, eingewickelt in eine Decke. Eine rüstige ergraute Frau begleitete sie und musterte ihn skeptisch durch zusammengekniffene Augen – Katlas Mutter Odda.
Wie immer, wenn Vardur die Hersirin sah, ihr weißblondes Haar und die geradezu durchscheinende weiße Haut, setzte sein Herz einen Schlag aus. Andere mochten Katla schätzen, bewundern und achten – sie schien auch die Einzige zu sein, die Gautaz, zumindest gelegentlich, im Zaum halten konnte –, bei ihm erweckte ihr Anblick keine Hochachtung. Er sollte Katla für das, was sie seinen Pflegeeltern angetan hatte, hassen, doch es fiel ihm weiterhin schwer. Er hatte die Hersirin bislang nur als gerechte und kluge Anführerin kennengelernt.
Sie nickte ihm nach kurzem Zögern zu. »Hjaldingafridhur.«
Er erwiderte die Geste. »Die Gunna-Sippe ist vollzählig eingetroffen, hoffe ich? Es gab keine Schwierigkeiten auf dem Weg?«
»Die gab es nicht. Ich danke dir für deine Gastfreundschaft. Möge Drawina deine Sippe segnen.«
Er bedeutete ihr vorauszugehen und folgte Katla durch die weit offen stehenden Giebeltüren in die Halle. Wärme empfing sie im Inneren. Die Vertreter der versammelten Sippen saßen auf den Bänken entlang des Mittelgangs oder standen dahinter, wenn sie keinen Platz gefunden hatten. Wieder andere drängten sich an den Wänden. Es herrschte ein lautes Stimmengemurmel. Die Halle hatte noch nie so viele Menschen aufnehmen müssen – ganz sicher nicht so viele Hersire auf einen Schlag.
Vardur und Horm bahnten sich einen Weg durch die Menge. Sie blickten in angespannte Gesichter. Nur wenige wirkten wahrlich hoffnungsvoll – vor allem natürlich die Vertreter der Isleif-Sippe. Ein Kind Isleifs brauchte keine Imperja, die es jagten, um voller Zuversicht zum Horizont aufzubrechen.
Horm trat zu Arnthrud, die an der Wand lehnte. Die Miene der jungen Frau hellte sich auf. Das waren schon einmal zwei Stimmen, auf die Vardur zählen konnte.
Der Feuerschein reichte nicht weit genug, um alle Anwesenden zu erreichen. Er fand die besorgten Gesichter der rundum sitzenden Hersire, schaffte es noch gerade so zu den Mienen der Berater hinter ihnen, erreichte aber kaum die Übrigen, die dahinter an den Wänden warteten.
Solweig Thordisduhter, die Hersirin der Isleif-Sippe, erschien ihm am zuversichtlichsten. Doch in den Adern aller Kinder Isleifs floss das Entdeckerblut ihres Sippenbegründers, des ersten Hjaldingers, der jemals auf dem Westweg fuhr. Sie sah ihrem Vorhaben mit offenkundiger Begeisterung entgegen. Die bereits ergraute Hersirin saß gegenüber dem leeren Platz, auf dem seit dem Tod von Vardurs Großmutter Salbjerg keiner mehr gesessen hatte. Solweig stützte sich auf einen geschnitzten Gehstock, das Feuer ließ die Falten in ihrem Gesicht wie tiefe Furchen erscheinen. Dennoch zweifelte niemand daran, dass sie notfalls das ganze Immermeer schwimmend überqueren würde, wenn auf der anderen Seite die Aussicht auf Abenteuer und ein unentdecktes Land warteten.
Solweig hatte Jurga auch ihr eigenes Schiff, die Blajazehwa geschenkt. Sie selbst würde auf dem zweiten Kriegsschiff der Sippe fahren, der Rhidawega.
Katla überließ den ihr zustehenden Platz am Feuer ihrer Mutter. Die Hersirin wiegte ihr neugeborenes Kind im Arm, das die Tragweite dieser Zusammenkunft nicht erahnte und schlief.
Die Skaldin Solwa, einst Salbjergs wichtigste Beraterin, saß zur Linken des Hersirssitzes und starrte ins Feuer. Wie immer trug sie ihr aschblondes Haar offen und nur an den Schläfen zu zwei dünnen Zöpfen geflochten.
Jurga saß zur Rechten des Sitzes, neben ihrem älteren Bruder Hasgar, einem hageren, hochgewachsenen Krieger mit rotblondem Bart und grünen Augen. Beide hatten sich leicht zu Thidrik umgewandt. Der Runaman mit dem langen, feuerroten Haar redete leise auf die Geschwister ein. Das aus geschliffenen Halbedelsteinen gebildete Stirnauge auf seiner Ledermaske gleißte. Es sollte das eigentliche dritte Auge der Zauberer verbergen. Vardur erschauderte unwillkürlich.
Mit Hasgar hatte er bislang nur wenige Worte gewechselt. Nach allem, was er wusste, hatten sich viele in der Hagni-Sippe für ihn als Nachfolger ihres Hersirs ausgesprochen, bis sich Jurgas Bruder vehement für seine Schwester eingesetzt hatte.
Vardur wartete, bis Jurga ihn bemerkte, ehe er sich räusperte und auf Katla wies. »Die Gunna und Hallaz sind eingetroffen – sieben weitere Schiffe. Es ist immer noch nichts von den Airikir zu sehen. Ich fürchte, die Imperja haben sie tatsächlich eingeholt.«
Sie nickte langsam. Das Feuer warf keine Schatten in ihrem ebenmäßigen, blassen Gesicht. Sie trug ihr blondes Haar auch heute in mehreren unterschiedlich hoch angesetzten Zöpfen und schien aus sich selbst heraus zu leuchten. Sie erschien eher wie ein Geist, eine Erscheinung, als ein Mensch aus Fleisch und Blut – doch dieser Eindruck mochte von Vardurs Gefühlen beeinflusst sein.
»Wir können nicht länger warten«, warf Solweig ein, während Jurga noch grübelte. »Mit jedem verstreichenden Tag bringen die Imperja zehn weitere Schiffe in Stellung, um die Odalwik abzuriegeln. Sobald die Kämpfe um Hjaldingafjord vorbei sind, segeln ihre Ottas als Nächstes zu uns. Je früher wir aufbrechen, desto besser. Es ist nicht wahrscheinlich, dass Ullbjern sie besiegen wird. Nutzen wir also die Zeit, die uns sein Widerstand verschafft, zu unseren Gunsten.«
Jurga erhob sich. »Wenn die anwesenden Hersire zustimmen, setzen wir im Morgengrauen Segel.«
»Verwenden wir die Nacht, um uns an ihnen vorbei nach Süden zu schleichen«, warf jemand aus der Runde ein – Hallerna, die Hersirin der Kjora. »Die Imperja rechnen nicht damit, wenn wir der Küste folgen und Eyjattur passieren.«
»Nein.« Jurga schüttelte vehement den Kopf. »Wir waren uns über unsere Fahrtroute bereits einig: Wir schlagen den Weg ein, der mir gewiesen wurde, direkt hinaus auf das Eiwara. Eyjattur ist fest in der Hand der Imperja. Niemand weiß das besser als die Hagni.«
Eine raue Stimme, in der kaum verhohlene Verachtung mitschwang, meldete sich zu Wort. »Und wie gedenkt dein Schutzgeist, uns an den Ottas der Imperja vorbeizuführen?« Gautaz’ wölfisches Grinsen schälte sich als erstes aus der Dunkelheit. Danach seine Hand, die ein Trinkhorn hielt, sein langes, dunkelblondes Haar und schließlich seine kleinen grauen Augen und die zahllosen Narben und Kriegerrunen auf seinem bloßen Oberkörper.
Ein junger Krieger seiner Sippe, Hrok, der Gautaz stets wie ein abgerichteter Vargaz folgte, stand einen Schritt hinter ihm.
Jurga sammelte sich für einen Moment. Sie sprach nicht gerne das Wirken ihres Schutzgeistes direkt an. Es gab immer noch zu viele, denen ihr ständiger Begleiter nicht geheuer war. Sie zogen es vor, der kühnen Vision einer mutigen und glücklichen Anführerin zu folgen, anstatt den Weisungen eines Wesens, das sie nicht greifen oder hinterfragen konnten.
»Mein Schutzgeist«, setzte sie dann doch an, »lag noch nie falsch und er wird es auch dieses Mal nicht. All das haben wir bereits zur Genüge besprochen, Gautaz Dagurssun: Unser Weg führt direkt nach Osten, auf das Immermeer. Wir werden nicht mit einhundert Schiffen versuchen, uns einen Weg durch das Inselgewirr der Eyjattur zu suchen. Auch du weißt, dass es aussichtslos wäre.«
»Ich will hoffen, dass dein Geist recht behält«, entgegnete der Aasa. »Oder aber, er führt meine Sippe, deine und vierzig andere – alles, was von unserem Volk noch übrig ist – direkt in die wartenden Arme der Imperja.«
Vardur hob überrascht die Brauen. Für Gautaz Dagurssun war dies geradezu versöhnlich.
»Andererseits hast du kaum Erfahrung mit Kriegszügen«, setzte der Hersir der Aasa nach. »Ich sehe nur wenige Speere Firns an deinen Armen.« Er ließ seine eigenen Muskeln spielen, die mit Hautbildern übersät waren. »Warum wirst ausgerechnet du uns in diese Schlacht führen? Es wäre sicher klug, die Führung einem erfahreneren Hersir zu überlassen – zumindest, bis wir das offene Meer erreichen haben.«
Vardur ballte die Fäuste. Ein Hersir, der danach bestimmt darauf pochen wird, den Verband auch weiterhin anzuführen, wenn wir dank ihm die Blockade durchbrochen haben.
»Ein offener Kampf