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Zur Professionalität der Professionalisierenden. David GerlachЧитать онлайн книгу.

Zur Professionalität der Professionalisierenden - David Gerlach


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von Neuem“ in Unterrichtsprozessen und sieht Professionalisierung von Lehrpersonen im reflexiven Umgang damit: „Solche Erfahrungskrisen nicht abzuwehren, sondern für die eigene Entwicklung und Erkenntnis zu nutzen und mit ihnen umzugehen lernen, wäre eine zentrale Kompetenz eines lernenden Lehrers.“ (Combe 2005: 82) Combe und Buchen (1996) beziehen sich strukturtheoretisch in ihrer Deutung von Unterrichtsprozessen nicht nur auf die Interaktion zwischen Lehrenden und Lernenden, sondern verknüpfen in ihrer Sichtweise die Sachinhalte und Unterrichtsgegenstände, welche ursächlich Brüche in den Interaktionsprozessen bewirken und Auswirkungen auf die Schülerinnen und Schüler in ihrer Rolle haben können. Hericks (2009) bewertet es daher als „nur konsequent, auch die Professionalisierungsbedürftigkeit des Lehrerhandelns an dessen primäre Funktion, d.h. an die Wissens- und Normenvermittlung, selbst anzubinden“ (ebd.: 67). Wagner (1998) vertritt ebenfalls eine strukturtheoretische Sichtweise professionellen Lehrerhandelns und sieht zentral eine „Verflechtung von diffusen und spezifischen Sozialbeziehungen“ (ebd.: 159), stellt allerdings zudem die Sachinhalte des Unterrichtsprozesses in den Mittelpunkt, dessen professionelle Aufarbeitung den „Erwerb eines pädagogischen Habitus [erfordert], in dem Fallverstehen, Wissenschaftswissen, professionelle Deutungsschemata und das intuitive Verstehen feldspezifischer pädagogischer Probleme verbunden werden“ (Helsper 2014: 223, in Rückgriff auf Oevermann 2002).

      Insbesondere die strukturtheoretische Deutung der Lehrerprofessionalität Oevermanns war wiederholt Gegenstand der Kritik, am weitreichendsten wohl durch den offenen Streit in der Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, in der Baumert und Kunter (2006) den strukturtheoretischen Ansatz grundlegend kritisieren3, Helsper (2007) ein Jahr später dann diesen Ansatz (und Oevermann) jedoch dezidiert verteidigt. Die Kritik Baumerts und Kunter zielt primär auf die psychoanalytisch-therapeutische Komponente des strukturtheoretischen Ansatzes ab4, da er ihnen zum einen nicht weit genug geht und darüber hinaus eine diffuse Sozialbeziehung zwischen Lehrkräften und einzelnen Schülerinnen und Schülern überbetont, ohne zu beantworten,

      wie Unterricht möglich ist und auf Dauer gestellt werden kann, systematisches und kumulatives Lernen über Kindheit und Jugend hinweg erreichbar und die kognitiven und motivationalen Voraussetzungen beruflicher, politischer, kultureller und zivilgesellschaftlicher Teilhabe für die gesamte nachwachsende Generation zu sichern sind und welche Anforderungen sich daraus für das Kompetenzprofil einer Lehrkraft ergeben. (Baumert/Kunter 2006: 472)

      Auch die von Helsper zentral diskutierte Antinomie von Nähe und Distanz relativieren Baumert und Kunter, indem pädagogisches Handeln und Fürsorge für sie keinen Bezug zu therapeutischen Ansätzen und Konzepten oder gar Intimität bedeuten. Sie sehen strukturell in „der Organisation systematischen Lernens und des langfristigen Wissenserwerbs eine … bemerkenswerte Erfolgsgeschichte“ (ebd.: 473) und beziehen sich hier auf Prange (2000) und Tenorth (2006), kritisieren dabei gleichzeitig die von Oevermann und Helsper postulierten Elemente bzw. Momente des Scheiterns, der Krisen oder Brüche im Lehrer*innenhandeln, welche in ihren Augen eine zu negative Sicht einnehmen.

      In seiner Replik auf Baumert und Kunter (2006) verteidigt Helsper (2007) den strukturtheoretischen Ansatz und relativiert unter anderem das sogenannte „Scheitern“ der Lehrperson, dass dieses von Baumert und Kunter zu drastisch dargestellt worden sei, es lediglich bedeute, dass aus strukturtheoretischer Sicht professionelles Handeln wie das einer Lehrperson „anfällig für Verwicklungen ist und dass es gerade einer gelassenen, reflexiven Haltung im Umgang damit bedarf“ (Helsper 2007: 570). Diese reflexive Haltung dürfe dann aber nicht nur allgemeinen Kriterien folgen, sondern müsse von Einzelfall zu Einzelfall neu betrachtet, individuell bestimmt werden und sei demnach nicht generalisierbar.

      Helsper (2007) nimmt auch Stellung zu Baumert und Kunters zentraler Kritik des vermeintlichen Therapieverständnisses von Unterricht bzw. des „therapeutisch-prophylaktischen“ (Oevermann 1996: 142) Ansatzes, räumt Lehrpersonen ebenfalls (wie Baumert/Kunter 2006) eine hohe Bedeutung im Rahmen von schulischer Wissensvermittlung ein, stellt aber dennoch klar, dass Lehrende außerdem dafür verantwortlich seien, einen Bildungsprozess zu begleiten, bei dem die Schülerinnen und Schüler „noch nicht zwischen diffuser und spezifischer Handlungslogik unterscheiden und die Bedeutung des Lehrers nicht spezifisch eingrenzen“ (Helsper 2007: 568). Gleichzeitig vertrete der strukturtheoretische Ansatz „keine generalisierten Erziehungserwartungen“ (ebd.: 569), dennoch müsse das diffuse Verhältnis zwischen Lehrenden und Lernenden, die nach Helsper nicht strukturbedingt, sondern pädagogisch sei (ebd.: 569), ständig „reflektiert und begrenzt werden“ (ebd.: 569). Daher sei das Fallverstehen im strukturtheoretischen Verständnis keine grundlegend therapeutische, d.h. biographisch-individuelle Aufarbeitung, sondern „die Rekonstruktion konkreter Schul- und Unterrichtsszenen“ (ebd.: 571).

      Helspers Replik unterstellt Baumert/Kunter (2006) ein weitreichendes Missverständnis und eine falsche Darstellung des strukturtheoretischen Ansatzes sowie wenig Innovation in der Darstellung ihres eigenen Ansatzes (s. kompetenztheoretischer Bestimmungsansatz im nächsten Kapitel), der nach Helsper primär „Ansätze der Expertise- und Lehrerforschung [systematisiert]“ (Helsper 2007: 574). Er sieht im Versuch eines Vergleichs in diesem Modell verschiedener Konzeptionierungen von Wissen auch durchaus Anknüpfungspunkte für die strukturtheoretische Position, welche von anderen bereits aufgezeigt wurden, „von Baumert und Kunter aber weitgehend übergangen [werden]“ (ebd.: 574). Trotzdem empfiehlt Helsper auf Grundlage von Baumert/Kunter (2006) eine Erweiterung der strukturtheoretischen Position insbesondere dahingehend, „die Antinomie von Person und Sache“ (ebd.: 576), d.h. das eigentliche Unterrichten, sowie „den Erwerb und die Handlungsrelevanz ‚kasuistischen Wissens‘“ (ebd.) stärker in den Fokus zu stellen, was bis zu dem Zeitpunkt nur in geringem Maße umgesetzt worden sei.

      Trotz der Kritik an Oevermanns strukturtheoretischer Sichtweise und Helspers Unternehmung, die in seinen Augen oft falsch rezipierten Grundannahmen in ein rechtes Licht zu rücken, verstehen viele weitere Pädagoginnen und Pädagogen schulisches und unterrichtliches Handeln als durch Strukturen bestimmt, schwächen Oevermanns und Helspers möglicherweise drastische Sichtweise aber ab, integrieren besonders Sachinhalte oder sehen andere Aspekte des Lehrerhandelns strukturtheoretisch als professionalisierungsbedürftiger als die Lehrer-Schüler-Interaktion. Professionelles Handeln im Rahmen eines strukturtheoretischen Ansatzes ist folglich zwar primär mit Wissens- und Normenvermittlung verknüpft, versteht sich in der pädagogischen Praxis aber auch in der Diskussion und Interpretation der durch die vorgegebene Struktur und den dadurch vorliegenden Antinomien entstehende Interaktion zwischen Lehrpersonen und Schülerinnen/Schülern sowie den Unterrichtsgegenständen. Die Rollen, die die Akteure im Unterrichtsgeschehen einnehmen, sind hier zentral und daher von den Positionen und ihren Begründungen oft auf zwei Personen (Lehrperson – Lerndende/r) beschränkt, während Unterrichtsalltag meist die Interaktion einer Gruppe oder der Lehrperson mit einer Gruppe darstellt. Der strukturtheoretische Ansatz verfolgt demnach hier einen ständigen Dialog zwischen den handelnden Personen auf verschiedenen Ebenen und sieht Professionalisierungsbedürftigkeit darin, die persönliche Integrität der Klienten im Bildungsprozess – oder trotz des Bildungsprozesses – insbesondere auch durch Zwänge und Vorbestimmungen der Institution Schule und anderer formaler Vorgaben zu wahren (vgl. Hericks 2009).

      2.1.2 Kompetenztheoretischer Bestimmungsansatz

      Kompetenztheoretische Ansätze beziehen sich in der Regel auf die ursprüngliche Definition von Weinert, welche auch im Rahmen der Kompetenzorientierung in Schulen nach PISA verbreitet die Grundlage für didaktisch-methodische Überlegungen und Standardentwicklung geboten hatte. Nach Weinert (2001b) versteht man unter Kompetenzen die

      bei Individuen verfügbaren oder durch sie erlernbaren kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten, um bestimmte Probleme zu lösen sowie die damit verbundenen motivationalen, volitionalen und sozialen Bereitschaften und Fähigkeiten, um die Problemlösungen in variablen Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen zu können (ebd.: 27f.).

      Folglich liegt in einer Kompetenzorientierung nach Weinert der Fokus auf dem Lösen eines Problems bzw. einer Problemstellung, welche/s spontan im Handeln auftritt, bewusst in einem Lehr-/Lernprozess aufgeworfen wird und dann für diesen Prozess genutzt werden kann. Die Kompetenzen zum Lösen dieser Problemstellungen werden jedoch


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