Kompetenzentwicklung und Mehrsprachigkeit. Gisela MayrЧитать онлайн книгу.
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In der Folge wird einleitend das geschichtliche und gesellschaftliche Umfeld umrissen, in dem die Studie durchgeführt wurde (5.1.). Zunächst wird die komplexe sprachliche und bildungspolitische Situation in Südtirol zusammengefasst, indem ein geschichtlicher Abriss vom Ende des Ersten Weltkrieges bis in die Gegenwart aufzeigen soll, wie ein Sprachtrauma, das unsere Region zum Teil auch heute noch prägt, zustande kam und wie auf politischer Ebene versäumt wurde oder nicht möglich war, hier mit gezielten Maßnahmen einzugreifen, um Aufarbeitungsarbeit zu leisten. Erst in den letzten Jahren wurde das Diktat des getrennten Sprachenunterrichtes in dieser Region aufgebrochen, da erstens die Europäische Union die Mehrsprachigkeit mit Nachdruck fordert und zweitens die sprachliche Situation so komplex geworden ist, dass auf bildungspolitischer Ebene reagiert werden muss, und nicht zuletzt, weil immer mehr Eltern Mehrsprachigkeit in der Schule fordern.
Die Situation dieser Region ist durch Besonderheiten gekennzeichnet, die sich maßgeblich auf den Kompetenzerwerb der einzelnen Lernenden auswirkt. Immer noch beeinflussen die geschichtlichen und sozialen Ereignisse, die dieses Land geprägt haben, jede bildungspolitische Entscheidung hinsichtlich Sprachen und Sprachenlernen maßgeblich mit. Bislang waren GER und FREPA im Bereich der Mehrsprachendidaktik Bezugspunkt für Schülerbewertung und Unterrichtsevaluation auch in Südtirol die einzigen Orientierungsrahmen. Es wird deshalb kurz darauf eingegangen, in welcher Form diese Empfehlungen in den letzten Jahren in Südtirol rezipiert wurden, wie die Südtiroler Rahmenrichtlinien für den Sprachenunterricht entstanden sind und wie der Südtiroler Referenzrahmen für die Mehrsprachigkeit aus dem FREPA abgeleitet wurde (Schwienbacher et al. 2017). Des Weiteren werden in diesem Abschnitt das Projekt und seine Forschungsschwerpunkte umrissen und in seinem Umfeld verortet.
Im darauffolgenden Abschnitt wird nach einer allgemeinen Einführung zum aufgabenorientierten Unterricht auf die Besonderheiten der komplexen Kompetenzaufgabe eingegangen und in ihren Eigenschaften erklärt (6.1.). Anschließend wird auf das Forschungsdesign übergeleitet. Zunächst wird der schulische Datenerhebungskontext umrissen, der Wechsel von der LehrerInnen in die ForscherInnenrolle kritisch reflektiert und in diesem Zusammenhang die Gütekriterien, die dieser Arbeit unterliegen, erläutert. Im Folgenden wird die Dokumentation und Analyse der Datensätze detailliert in allen ihren Aspekten transparent gemacht (6.3.).
Anschließend wird eine Unterrichtseinheit in ihrem Modellcharakter vorgestellt und ihr Aufbau beschrieben. Dabei wird die ursprünglich für den einsprachigen Fremdsprachenunterricht konzipierte Komplexe Kompetenzaufgabe von W. Hallet (; Hallet 2006, 2008, Hallet & Krämer 2012a/b) für den mehrsprachigen Unterricht adaptiert. Es wird im Einzelnen angeführt, wie die Kompetenzziele im mehrsprachigen Unterricht z. T. neu definiert werden, indem Aspekten der lebensweltlichen Mehrsprachigkeit mehr Raum im Unterricht zugesprochen wird. Da die Auswahl der Texte für die einzelnen Module u.a. literarische Texte im weiteren Sinne vorsah, kommt auch den literarischen Kompetenzen, so wie sie in der Tradition der rezeptionsästhetischen Literaturdidaktik (Burwitz-Melzer 2007) verstanden werden, große Bedeutung zu, da diese im Zusammenhang mit der Lese- und kommunikativen Kompetenz in einem mehrsprachigen Forschungsrahmen in Bezug auf Informationsentnahme und Verarbeitungsprozesse Bestandteil der Modellierung von mehrsprachiger kommunikativer Kompetenz sind (6.4.).
Darauf folgen die Einzelanalysen der Aushandlungsprozesse. In den auszugsweisen Aufzeichnungen der Aushandlungsprozesse werden für den Lernprozess relevante Stellen im Diskurs hervorgehoben und diskursanalytisch untersucht. Es werden Auszüge analysiert, die in besonderem Maße den Kompetenzerwerb im Bereich der MKK aufzeigen. Die Analyse der Aushandlungsprozesse soll eine Perspektivenvielfalt ermöglichen, die die SchülerInnenauswertung ergänzt und so die Validität der Daten garantiert (7.1.). Auf die Auswertung der Aushandlungsprozesse folgen die vier SchülerInnenauswertungen (8). Sie beinhalten die Auswertungen der Fragebögen zur Sprachbiographie und Auszüge aus den Aushandlungsprozessen. Diese ergeben zusammen mit den Ergebnissen der drei Stimulated Recalls, des abschließenden Leitfadeninterviews, des Forschungstagebuches und der Analyse der selbst verfassten Texte, ein Gesamtbild der individuellen Lernprozesse und der im mehrsprachigen Unterricht geforderten Strategien, Fähigkeiten und Fertigkeiten der einzelnen Probandinnen. Hier wird die dokumentarische Methode (Bohnsack 2013) herangezogen, da sie aufgrund ihrer Eigenschaften als besonders geeignet erachtet wird, die Entwicklung der symbolischen Kompetenz in ihrer Prozessmäßigkeit im mehrsprachigen Diskurs zu erfassen.
Besondere Berücksichtigung finden in diesem Zusammenhang die persönlichen, kulturellen und sprachlichen Voraussetzungen der einzelnen Lernenden. Ihr Einfluss auf den Kompetenzzuwachs steht in diesem Kontext im Fokus. Dies wirft die Frage auf, welchen Kompetenzzuwachs Lernenden mit unterschiedlichen sprachlichen und kulturellen Voraussetzungen erfahren, wie dieser individuelle Lernprozess sich in Anbetracht der unterschiedlichen kognitiven Voraussetzungen von zwei- bzw. mehrsprachigen und einsprachigen SchülerInnen gestaltet und welche Wechselwirkungen entstehen, wenn mehrsprachige und einsprachige Lernende in einem mehrsprachigen Setting zur gemeinsamen mehrsprachigen Arbeit veranlasst werden. Es stellt sich die Frage, wie sich in diesem Kontext mehrsprachiges soziales Lernen gestaltet und welcher Kompetenzzuwachs sich für alle Beteiligten daraus ergeben kann. Im dann folgenden Abschnitt werden die Ergebnisse aller Teilanalysen im Vergleich zueinander in einem systematischen Überblick dargelegt (10.1.). Die verschiedenen Aspekte und Daten werden systematisch verglichen und miteinander vernetzt, um neue Erkenntnisse zu gewinnen, die für die konkrete Durchführung mehrsprachigen Unterrichts ebenso wie für den Erkenntnisgewinn des gesamten Forschungsprojekts von Interesse sind. In einem Abstraktionsprozess werden die so erhaltenen Daten in Indikatoren umformuliert, um Kompetenzbereiche herauskristallisieren zu können. Daraus ergeben sich folgende Forschungsfragen:
1 Wie lässt sich mehrsrapchige kommunikative Kompetenz definieren?
2 Welcher Kompetenzzuwachs im Bereich MKK kann in einem mehrsprachigen aufgabenorientierten Lernsetting beobachtet werden?
3 Wie hängt dieser Kompetenzerwerb mit den (sprach-) biographischen Voraussetzungen der einzelnen Lernenden zusammen?
4 Welche Kompetenzbereiche können identifiziert und welche Deskriptoren formuliert und werden?
Im Abgleich der Daten mit der theoretischen Modellierung werden alle Entsprechungen in tabellarischer Form dargestellt und Leerstellen bzw. neue Erkenntnisse aufgezeigt (9). Aus diesem Datenvergleich lassen sich Ähnlichkeiten, Unterschiede, aber auch Besonderheiten herausarbeiten, die kritisch beleuchtet werden. Ziel ist es aufzuzeigen, inwieweit die Ergebnisse der Datenauswertung mit denen der theoretischen Modellierung übereinstimmen bzw. differieren. Es werden außerdem jene neuen aus der Datenanalyse hervorgegangenen Kompetenzbereiche aufgezeigt und umrissen, die in der theoretischen Modellierung noch nicht vorhanden waren.
Anschließend wird ein erster Ansatz einer Kompetenzbeschreibung einer mehrsprachigen kommunikativen Kompetenz für einen mehrsprachigen kompetenzorientierten Unterricht ausgearbeitet und in Hinblick auf die Operationalisierung im Unterricht transparent gemacht (10). Es werden anhand von Tabellen die aus dem Datenvergleich gewonnenen Deskriptoren anhand von Kompetenzbereichen den fünf Savoirs zugeordnet. Diese vermitteln ein Gesamtbild des erkenntnistheoretischen Wertes der Studie und können in die Diskussion über Sinnhaftigkeit und Durchführbarkeit mehrsprachigen Unterrichts eingebunden werden. In der Zusammenschau der einzelnen Elemente der Studie werden Eigenschaften und Merkmale nochmals gebündelt und – nicht zuletzt in Hinblick auch auf die bildungspolitische Diskussion und die Verankerung des mehrsprachigen Unterrichts an Südtirols Schulen durch die Öffnung der einzelnen Curricula und Schulprogramme in Richtung Mehrsprachigkeit – in ihrem erkenntnistheoretischen Wert offengelegt.
2. Sprachenvielfalt und Sprachenlernen in der EU
Die vorliegende Studie orientiert sich bei der Ausarbeitung der Deskriptoren für mehrsprachige kommunikative Kompetenz maßgeblich an zwei Vorbildern: an der GER und der FREPA. Auf den nach Abschluss der Datenauswertung 2018 erschienenen Ergänzungsband zum GER (Concil of Europe CEFR/CV 2018) wird ebenfalls eingegangen, da hier der Bereich der Sprachmediation eine prominente Rolle einnimmt. Dieser Bereich kristallisiert sich auch in der Datenanalyse als ein besonders wichtiger und facettenreicher heraus. Die entsprechenden Deskriptoren wurden den Kernkategorien Soziales Lernen und Gesprächsstrategischer