Kompetenzentwicklung und Mehrsprachigkeit. Gisela MayrЧитать онлайн книгу.
meint Kramsch weiter, entstehen durch Sprache auch gemeinsame Erfahrungen. Folglich formt Sprache die kulturelle Realität und stellt sie durch ihre Zeichen symbolhaft dar (vgl. auch Byram 2000: 33). Wenn also eine Sprache Ausdruck einer bestimmten Kultur ist, dann kann die Erfahrung über diese Kultur ausschließlich über deren Sprache erfolgen (vgl. hierzu auch Bredella & Christ 2007, 1995; Bredella et al. 2000; Bredella 2000, 2004, 2010,).
Geht man jedoch von der transkulturellen Auffassung von Welsch aus (Welsch 2009: 60), so bedeutet dies, dass über die Sprache(n) Erfahrungen über mehrere Kulturen gleichzeitig gemacht werden können, da Sprachen keinem Reinheitsgebot folgen, sondern hybride Formen sind. Die Dichotomie eigenkulturell vs. fremdkulturell wird somit aufgehoben zugunsten eines sprach- und kulturübergreifenden Denkens, das den Lernprozess umgestaltet. Der transkulturelle Vergleich vollzieht sich vor allem und zuerst auf sprachlicher Ebene durch Sprachvergleich und in der Mehrsprachigkeit. Wenn also Lernende ein Gespür für ihre eigene Transkulturalität entwickeln sollen, dann kann das notwendigerweise nur im mehrsprachigen Kontext geschehen und nicht in einer monolingualen Lernumgebung.
2.3.1 Pluralistische didaktische Ansätze
Bereits in den einleitenden Worten des FREPA wird festgestellt, dass pluralistische Ansätze in der Didaktik nicht immer die Anerkennung haben, die sie verdienen, weil ihr Potenzial nicht erkannt wird (Candelier et al. 2012: 8f.). Es wird ihnen im Unterricht lediglich die Funktion der Sensibilisierung für Mehrsprachigkeit zugesprochen, sicherlich ein wichtiger Aspekt, aber angesichts der Vielzahl an Lernprozessen, die durch den mehrsprachigen Unterricht initiiert werden, bei weitem nicht ausreichend. Ein Grund dafür ist laut Candelier darin zu finden, dass die Verbindung zwischen pluralistischen, aus der kommunikativen Tradition stammenden und kompetenzorientierten Ansätzen bislang gefehlt hat. Die in Europa entwickelte sog. pluralistischen Ansätze sind: das Tertiärsprachenlernen, die Interkomprehension und das integrierte Sprachenlernen (Aronin & Singleton 2012: 128). Sie entwickelten sich aus dem interkulturellen Ansatz nach Hawkins ( Hawkins 1985; Oomen-Welke 2016), beschränken sich jedoch auf Momente des Vergleichs auf grammatischer, lexikalischer und syntaktischer Ebene und sind daher nur begrenzt im Unterricht einsetzbar.
Der Referenzrahmen stützt sich bei der Ausformulierung der Deskriptoren ausschließlich auf die oben angeführten Ansätze, also auf das, was bereits vorhanden und im Unterricht erprobt worden ist. Es wird nicht, wie es hingegen in dieser Studie der Fall ist, der Versuch unternommen, andere Aspekte – insbesondere den psycholinguistischen, soziolinguistischen und emotionalen – miteinzubeziehen. Erklärt wird diese Entscheidung mit der Tatsache, dass es zu wenige wissenschaftlich fundierte Forschungsprojekte auf diesem Gebiet gibt (ibid.: 15). Der FREPA als ein Instrument zur Verbreitung und Implementierung bereits vorhandener kommunikativer Ansätze stützt sich bei der Ausformulierung der Indikatoren ausschließlich auf Erfahrungswerte. Es liegt ihm daher im Gegensatz zu dieser Studie keine empirisch fundierte Studie zugrunde. Die Deskriptoren sind zwei Bereichen zugeordnet: einem epistemologischen und einem praxeologischen. Folglich gibt es einen erkenntnistheoretischen Aspekt, der eine möglichst vielschichtige Erfassung des Phänomens anstrebt, und einen praxisbezogenen, der als ein konkretes Instrument für die Umsetzung im Unterricht gedacht ist (ibid.: 16) .
Bereits nach einer ersten Lektüre wird klar ersichtlich, dass es sich um eine sehr umfangreiche und komplexe Kompetenzbeschreibung handelt. Bei näherem Hinsehen bemerkt man außerdem, dass ein Großteil der Indikatoren (an die 1900) den epistemologischen Aspekt betrifft und für den Unterricht zum Zweck der Unterrichtsevaluation oder Lernstanderhebung nicht nutzbar ist. Außerdem wurde auch keine klar erkennbare Unterscheidung zwischen epistemologischen und praxeologischen Beschreibungen vorgenommen (ibid.: 19). Daher bleibt es den Schulen und Lehrkräften überlassen, sich auf die Suche nach den für Lernstanderhebungen oder Curricula verwendbaren Indikatoren zu machen, wobei die objektive Erfassbarkeit eine ausschlaggebende Rolle spielt. Es war nötig, den Lehrkräften, Schulen und bildungspolitischen Einrichtungen Orientierungshilfen im Umgang mit dem FREPA an die Seite zu stellen, die allerdings bezüglich des Umgangs mit den Deskriptoren keine Erleichterung bringen.
Daher verstehen sich die in den letzten Jahren ausgearbeiteten Zielvorgaben für schulischen Unterricht sowie die Leitfäden für die Ausarbeitung mehrsprachiger Schulcurricula (Beacco et al. 2015a/b/c; Bono & Melo-Pfeifer 2011b; Breidbach 2003; Council of Europe 2014a/b, 2016; Daryai-Hansen et al. 2014) als Ergänzung und Erläuterung zu den Vorgaben und Deskriptoren der Rahmenrichtlinien für Mehrsprachigkeit FREPA (Candelier et al. 2012).
Es stellt sich auch hier die Frage, wie die Bedingungen im Unterricht geschaffen werden können, um den Erwerb mehrsprachiger Kompetenzen zu fördern. Martinez plädiert als erste, und ganz im Sinne dieser Studie, für ein aufgaben- und kompetenzorientiertes Sprachenlernen, da Lernautonomie gefordert und im Verlauf der Problemlösungsprozesse autonomes Lernen unterstützt wird. „Kompetenzorientiertes Lernen leiten die Lernenden an, Ressourcen zu mobilisieren. (Martinez & Schröder-Sura 2011: 75). Dabei sollten die Lernenden im Sinne der Task awareness in der Lage sein, die Aufgabe bewusst zu bewältigen und die Ziele und Ressourcen klar vor Augen haben.
2.3.2 Savoir s’engager – ein unberücksichtigter Kompetenzbereich
Die Mobilisierung mehrsprachiger Ressourcen entlang eben dieses kompetenzorientierten Lernens ist die große Herausforderung der Mehrsprachigkeitsdidaktik heute. Genaue Vorstellungen darüber, wie ein solcher Unterricht geplant und gestaltet werden soll, gibt es bislang jedoch nicht. Hier soll die vorliegende Studie Abhilfe schaffen: Anhand eines konkreten Unterrichtsverfahrens wurde mehrsprachiger kompetenzorientierter Unterricht im Klassenzimmer durchgeführt und evaluiert. Durch ein empirisch angelegtes Forschungsdesign wurde erforscht, welche MKK sich im Verlauf des Projektes entfalten und inwiefern sie im Unterricht erhoben werden können. In einem Abstraktionsprozess werden Deskriptoren ausformuliert, die sich nicht ausschließlich auf Best-practice-Beispiele und Erfahrungswerte stützen, sondern empirisch erforscht und in Form eines Modells übersichtlich dargestellt werden. Sie können daher alle der Kategorie der praxeologischen Deskriptoren zugeschrieben werden, jenen Deskriptoren also, die unmittelbar für den Unterricht nutzbar gemacht werden können. Anhand der fünf Savoirs werden durch die Datenanalyse Kompetenzbereiche identifiziert und die gewonnenen Deskriptoren zugeordnet.
Es ist explizites Ziel, in diese Modellierung, im Gegensatz zum FREPA, auch das Savoir s’engager miteinzubeziehen. In Byrams Modell von 1997 ist das Savoir s’engager von zentraler Wichtigkeit. Es steht im Zentrum des Modells und wird von den anderen Savoirs umgeben. Es ist daher nur schwer verständlich, weshalb dieses Savoir vom FREPA und folglich auch vom MSCS ausgeklammert bleibt:
Abb. 2.2.
Dieses Savoir integriert die politische Erziehung in den Unterricht, weil jeglicher Erziehung eine politische Dimension innewohnt. Kulturkritische Bewusstheit wird deklariertes Bildungsziel des Fremdsprachenunterrichts. Byram selbst bezeichnet diese Fähigkeit als “an ability to evaluate critically on the basis of explicit criteria perspectives, practices and products in one’s own and other cultures and countries“ (Byram 1997: 53) und unterscheidet drei Teilbereiche:
1 Die Fähigkeit, implizite und explizite Wertehaltungen der eigenen und fremder Kulturen in Texten und Aussagen zu identifizieren.
2 Die Fähigkeit, eine evaluative Analyse von Dokumenten und Gegebenheiten aufgrund präziser Perspektiven und Kriterien vorzunehmen.
3 Die Fähigkeit der Interaktion und Mediation im interkulturellen Austausch anhand spezifischer Kriterien sowie die Befähigung zur Aushandlung und Akzeptanz aufgrund des erworbenen Wissens, Fähigkeiten und Haltungen. (ibid. 53)
Da im Alltag das Savoir s’engager die Umsetzung aller anderen Savoirs impliziert und somit auch den Weg vom schulischen Handeln in das lebensweltliche Handeln bahnt, soll es nicht vom schulischen Alltag ausgeklammert bleiben. Das Savoir s’engager kann als Kernkompetenzbereich nicht einfach aufgebrochen und, in einige wenige Teilbereiche beschränkt, auf die anderen Savoirs,