Mehrsprachigkeit im Fremdsprachenunterricht. Sylvie Méron-MinuthЧитать онлайн книгу.
der Lehrpersonen kritisch hinterfragt:
„In einer Analyse der Berichte von Lehrpersonen über ihre Erfahrungen in der Klasse stellt Little (2007) fest, dass das Unterrichten weitgehend außer Sichtweite anderer Lehrpersonen erfolgt. Es gebe daher eine Tendenz, sich auf Erzählungen zu verlassen, um ein gemeinsames Verständnis zu entwickeln. Allzu oft sind Lehrpersonen abhängig von „Kriegsgeschichten“, persönlichen Erlebnissen und dem Vertrauen auf ihre eigene Erfahrung, um ihre persönlichen Präferenzen zu rechtfertigen.“ (Beywl & Zierer 2014: 297; Hervorhebungen im Text)
Une recherche en sciences humaines et sociales est toujours une aventure. L’enquête qualitative de terrain, en particulier, comporte de nombreuses inconnues, car ses opérations ne sont pas aussi prévisibles que, disons, une recherche expérimentale. (Paillé & Mucchielli 2009: 13)
4. Forschungsmethodischer Ansatz und Erhebungsdesign
4.1 Wissenschaftstheoretische Grundlagen – Rahmenbedingungen, Forschungsverfahren und Fragestellungen
Im Zentrum des Forschungsinteresses der vorliegenden empirischen Studie stehen die Diskurse und Erzählungen Fremdsprachenlehrender an Gymnasien, ihre subjektiven Theorien und Einstellungen zu der von ihnen gestalteten und erlebten Unterrichtspraxis im Zusammenhang mit Mehrsprachigkeit. Die Untersuchung geht unter anderem der Frage nach, wie ausgewählte, einzelne Fremdsprachenlehrkräfte in ihrem beruflichen Alltag mit der individuellen, lebensweltlichen Mehrsprachigkeit ihrer Schülerinnen und Schüler umgehen, und wie sie, darüber hinaus, deren durch Schulfremdsprachenunterricht erworbene Fremdsprachenkenntnisse für das Erlernen weiterer Sprachen aktivieren, um dem bildungspolitischen Ziel der Mehrsprachigkeitsförderung gerecht zu werden und das Potenzial der vorhandenen Mehrsprachigkeit für den Unterricht zu nutzen.
Die gewonnenen Erkenntnisse sollen kurzfristig dazu beitragen, Aussagen über den Unterricht ausgewählter Fremdsprachenlehrkräfte, deren Erfahrungen, Sichtweisen und Einstellungen bei der Implementierung respektive Nicht-Implementierung erlebter Mehrsprachigkeit im Klassenraum zu dokumentieren, sowie eine möglichst detaillierte und umfassende Darstellung und Analyse der möglichen Bandbreiten erlebter Praxis eben dieser Lehrkräfte im genannten Forschungsfeld zu liefern (vgl. Méron-Minuth 2015 und 2016).
Anhand von Einzelfallstudien soll aufgezeigt werden, welche Relevanz Lehrerinnen und Lehrer der Mehrsprachigkeit in ihrem Fremdsprachenunterricht zuschreiben. Dabei verfolgt die Studie nicht,
"[…] das Aufdecken allgemeiner Gesetzmäßigkeiten, sondern sie setzt sich eine möglichst detaillierte und zugleich umfassende, interpretative Beschreibung des beruflichen Selbstverständnisses von Fremdsprachenlehrer/inne/n zum Ziel […]." (Caspari 2001: 88f.)
Die Auswertung des zu erhebenden Datenmaterials – qualitative Leitfadeninterviews – setzt sich unter anderem zum Ziel, nicht nur die explizit-reflexiven Vorstellungen von Fremdsprachenlehrkräften, sondern auch die zugrunde liegenden, impliziten Orientierungen zu rekonstruieren. Lehrkräfte sind Handelnde im Rahmen eines schulischen Kontextes, der ihnen selbstbestimmtes Handeln und Entscheidungsprozesse auf der einen Seite ermöglicht, auf der anderen Seite aber auch eine Eigenrationalität besitzt und das Handeln der in ihm Praktizierenden bestimmt (vgl. Radtke 2004: 130ff.). Ziel muss es sein – soweit dies das Datenmaterial ermöglicht – auch die nicht explizit formulierten Annahmen und Vorstellungen zu rekonstruieren, das heißt, die impliziten und sozial determinierten Deutungs- und Argumentationsmuster zu erschließen (vgl. Wieser 2008: 16).
Bei der Datenauswertung gilt es das „Überindividuell-Gemeinsame herauszuarbeiten“ (vgl. Meuser & Nagel 2002: 80) und
„[…] gemeinsam geteilte, gewissermaßen typische Wissensbestände, Relevanzstrukturen und Deutungsmuster zu rekonstruieren. Der jeweilige Interviewtext bzw. der oder die Befragte interessieren uns daher nicht in seiner Besonderheit, vielmehr wird der befragte Experte als Repräsentant seiner „Zunft“ behandelt.“ (Bogner, Littig & Menz 2014: 78)
Insofern liefert die vorliegende Studie subjektzentrierte, exemplarische Einblicke in Überzeugungen und Handlungsmuster von Fremdsprachenlehrkräften als Experten in Bezug auf das Mehrsprachigkeitspostulat. Dabei wird es besonders interessant sein zu zeigen, welche Position die befragten Fremdsprachenlehrkräfte hier insgesamt zu diesem europäischen, sprachenpolitischen Postulat einnehmen. In der europäischen Sprachenpolitik wird Mehrsprachigkeit – politisch überhöht – als Mittel gesehen, gesellschaftliche Kohäsion zu fördern (vgl. Kapitel 2).
« Le plurilinguisme en tant que valeur et finalité des politiques linguistiques et européennes est considéré comme un instrument de cohésion sociale. » (Crochot 2006: 28)
Mit den Interviews soll versucht werden, die Lehrenden zu motivieren, über ihre Einstellungen zur Mehrsprachigkeit, Position zu beziehen. In der Analyse ihrer Stellungnahmen wird auch zu zeigen sein, welche Aspekte hier im Vordergrund stehen und ob es sich eher um homogene Vorstellungen handelt oder ob vielmehr, vor dem Hintergrund einer heterogenen Praxis, differenzierte Sichtweisen vorherrschen. Auch wird zu zeigen versucht werden, inwieweit ihre Einstellungen – bewusst oder unbewusst – mit den Leitgedanken der europäischen Sprachenpolitik übereinstimmen bzw. differieren. Es gilt als Folge dessen zu ermitteln, was unterrichtende Lehrkräfte über ihren beruflichen Alltag und den Umgang mit Mehrsprachigkeit berichten, inwieweit sie diese – den eigenen Berichten nach – praktizieren oder auch nicht, und warum sie in der einen oder anderen Weise handeln.
Es geht auch um die verstehende Deutung und Ursächlichkeit von Einstellungen und sozialem Handeln von Fremdsprachenlehrkräften als Experten (vgl. Gläser & Laudel 2010: 25). Die wissenssoziologische Diskussion über den Expertenbegriff (vgl. Bogner; Littig & Menz 2014: 9f.) soll hier nicht weiter fortgeführt werden. Nur soviel: Fremdsprachenlehrkräfte sind im Gegensatz zu den Politikern, die beispielsweise das hier interessierende europapolitische Postulat „Mehrsprachigkeit“ aufgestellt haben, Experten in der unterrichtlichen Umsetzung beziehungsweise Nichtumsetzung eben jener politischen Forderung und vieler anderer von außen an sie herangetragener Begehrlichkeiten. Ihr Expertenwissen ist gepaart mit den oben genannten Einstellungen und subjektiven Theorien und basiert auf ihrer unterrichtlichen Praxis. Gemäß der wissenssoziologischen Definition sind Experten Personen, die sich
„[…] ausgehend von einem spezifischen Praxis- oder Erfahrungswissen, das sich auf einen klar begrenzbaren Problemkreis bezieht – die Möglichkeit geschaffen haben, mit ihren Deutungen das konkrete Handlungsfeld sinnhaft und handlungsleitend für Andere zu strukturieren.“ (Bogner; Littig & Menz 2014: 13)
Diese relativ verengte Definition, die sich von einer Vorstellung kritisch absetzen will, wie „Alle Menschen sind Experten“ (Bogner; Littig & Menz 2014: 10), vernachlässigt den bereits genannten Aspekt der Einstellungen und subjektiven Theorien. Lehrkräfte sind Experten für pädagogisches Handeln und die Aktionsforschung (vgl. u.a. Moser 1977; Fiedler & Hörmann 1978; Minuth 2008) zeigt Wege zur Beforschung dieses unterrichtlichen Handelns durch die Lehrperson selbst. Ihre Expertise haben sie in der universitären Ausbildung und im Referendariat erworben und diese gleicht sich unablässig mit der täglichen Praxis und den ursprünglichen eigenen Erfahrungen ab.
Allerdings trifft die oben genannte Vermittlungsdimension – die „Macht der Experten“ (Bogner; Littig & Menz 2014: 14) – gegenüber anderen Akteuren nur dann zu, wenn die Experten selbst in ausbildender Funktion tätig sind. Dies ist aber auch immer dann der Fall, wenn die hier befragten Lehrpersonen Mentorentätigkeiten oder Aufgaben in der Referendarausbildung übernehmen, und damit auch ihre eigenen Einstellungen und subjektiven Theorien weitergeben1.
In jedem Fall ist das hier gemeinte Expertenwissen als Deutungswissen zu interpretieren und damit gilt es, die implizierten Handlungsorientierungen und Normen in deren Aussagen zu rekonstruieren und zu dekodieren. Im Sinne der rekonstruktiven Sozialforschung (vgl. Bohnsack 2007, 2014) gilt daher:
„Die Realität ist nicht einfach eine Ansammlung von Dingen und Relationen, sprich: von „einfach“ vorliegenden Fakten, die durch die Forschung möglichst wirklichkeitsgetreu und verzerrungsfrei abgebildet werden kann und soll. Die Wirklichkeit ist vielmehr ein Resultat vielfältiger