Fremdsprachenunterricht in Geschichte und Gegenwart. Группа авторовЧитать онлайн книгу.
als „durch die Lehrerinnen geprägte Konstante“ (ebd., 339) bis in die Jetztzeit hinein kontinuierlich wirken. Dies zeigt sich etwa in der Betonung des Mündlichen oder der Kommunikationsfähigkeit, welche früher mit dem Terminus der weiblichen ‚Parlierfähigkeit‘ versehen oder von männlicher Arroganz als ‚Plappermethode‘ abgekanzelt wurde (ebd., 398). Eingeübt wurde sie traditionell in sogenannten Konversationsstunden, in denen Mädchen sich während leichter Handarbeiten in der Fremdsprache unterhielten, wobei sie häufig ein ‚Sprachmeister‘ bzw. eine Gouvernante anleitete. In diesem Zusammenhang formuliert Doff die These einer „eigenständigen weiblichen Didaktik des Unterrichts in den neueren Fremdsprachen“ (ebd., 377), wie sie von Gouvernanten, Hauslehrerinnen und schließlich „Oberlehrerinnen“ entwickelt und tradiert wurde. Diese alternativen Traditionen haben frühe Methoden der Reformer des Englischunterrichts am Ende des 19. Jahrhunderts entscheidend geprägt. Es gab starke konzeptuelle Ähnlichkeiten mit und Einflüsse auf Formen des Fremdsprachenunterrichts, wie er „an den höheren Mädchenschulen schon seit Jahren, zum Teil seit Jahrzehnten erprobt und optimiert worden war“ (ebd., 385).
6 „Sensualistische“ Positionen der Reformbewegung um 1880
Dass die so genannte Parliermethode allerdings nicht allein weiblich konnotiert war, zeigt der hier nur skizzenhaft vorgetragene Rückblick weiter oben zum Fremdsprachenlernen in den Kreisen von Kaufleuten und Händlern. Sprachmeister waren zudem seit dem 18. Jahrhundert an den meisten Universitäten in Deutschland tätig. Mit dem Wachsen der wirtschaftlichen Bedeutung Großbritanniens im Zeitalter der Industriellen Revolution konnte Englisch dann bekanntlich im 19. Jahrhundert seine erste Verbreitung als Wahlfach an Schulen erlangen und wurde Mitte das 19. Jahrhunderts Pflichtfach an preußischen Real- und höheren Bürgerschulen (die Gymnasien schlossen sich in den 1890er Jahren an).
Die Reformbewegung der 1880er Jahre, wie die Etablierung des Englischunterrichts an höheren Schulen gewissermaßen eine Reaktion auf den Pragmatisierungsdruck der sich rasant verbreitenden Industrialisierung und Internationalisierung im späten 19. Jahrhundert, gipfelte in dem viel beachteten Traktat Viëtors Der Sprachunterricht muss umkehren von 1882. Sie stellte sich, wie Hüllen (1987, 32) es formulierte, gegen die vorherrschende „rationalistische“ Position und trat dagegen für eine „sensualistische“ Position ein. Sie betonte sprachpraktisches Handeln in kontextualisierten Lehr-Lernsituationen vermittels ‚direkter‘ Methoden, vor allem im Umgang mit Kommunikationsmitteln sowie durch Präsentieren bzw. Wahrnehmen und Üben (vgl. ebd.). In der propagierten direkten Methode erhielten Lexiskenntnisse einen größeren Stellenwert als Grammatikkenntnisse, der neue Wortschatz sollte idealerweise durch natürliche Interaktion angeeignet werden, unterstützt durch Bilder, Imitation und Realien. Die in fortgeschrittenen Lernphasen eingeführten abstrakten Wörter sollten beispielsweise nach semantischen Feldern gruppiert werden.
Über die Verwerfungen der Weltkriege und der Naziherrschaft hinaus ergab sich im Grunde genommen bis in die 1970er Jahre eine Gemengelage von drei konkurrierenden Verfahren: die Lektüre von Originaltexten der großen Literatur, welche wir im nächsten Abschnitt beispielhaft skizzieren werden; die Konversationsmethode mit praxisnahen Übungen; und schließlich konventionelle Formen einer Gedächtnis- und Grammatiklernmethode, die „über das Auswendiglernen von Vokabeln und Grammatikregeln auf Lernfortschritte“ setzte (Gehring 2004, 10).
7 Sinnerschließung mit Literatur und/oder Fremdsprachenerwerb?
Eine weitere Kernfrage der Fremdsprachenvermittlung bis in die Gegenwart hinein betrifft die Rolle der Literatur bei deren Vermittlung. Hier gab die Grammatik-Übersetzungsmethode eine richtungsweisende Antwort: Vermittelt wurde die Fremdsprache durch die Lektüre von und Arbeit an den jeweiligen kulturtragenden Textzusammenstellungen, die sich historisch aus der Bibel und kanonisierten christlichen Texten speisten und sich im voranschreitenden Zeitalter des Säkularen aus literarisch-ästhetischen Texten der ‚Höhenkammliteratur‘ zusammensetzten. Sie galten als sprachliche wie bedeutungstragende Exemplaria – an ihnen wurden Sprachregeln erschlossen und man führte Sinnexegese durch. Praktiziert wurde dies bis weit in das 20. Jahrhundert hinein nicht allein in der Zielsprache (vgl. eingehender Volkmann 2016). Literatur wurde eher einer erweiterten Definition gemäß für den kommunikationsorientierten Unterricht brauchbar gemacht, gerade mit Bezug auf die von Hellwig so bezeichneten ‚Einfachen Formen‘. Karlheinz Hellwig (2000, 23 f.) betont, dass bereits in der Renaissance Sentenzen, Prosastücke, nursery rhymes und Lerngedichte verwendet wurden, die im 17. bis zum 19. Jahrhundert in Großbritannien beispielsweise durch so genannte chap books ergänzt wurden. Mit Hilfe von Kurztexten, unterstützt von kleinen Bildgeschichten und anderen visuellen scaffoldings, bot man damit Lernhilfen an. Der folgende Textauszug aus einem Lernbüchlein des Jahres 1840 diente offenkundig dem Lernen des Alphabets:
A was an apple-pie
B bit it
C cut it,
D dealt it,
E Eat it,
F fought for it,
G got it,
H had it,
I inspected it,
J jumped for it,
K kept it, […] (ebd., 23)
Es sollte nicht vergessen werden, dass auch die Vertreter der Reformbewegung gerade die hochrangige Literatur als Sprech- und Diskussionsanlass verstanden (vgl. die Ausführungen hierzu in Volkmann 2016). Allerdings wurde mit der zunehmenden, sich in historischen Schüben vollziehenden Hinwendung zur Vermittlung pragmatischer und funktionaler Fremdsprachenkenntnisse vor allem in den 1960er bis 1980er Jahren eine Konfliktlage entlang eines Bildung-gegen-Ausbildung-Gegensatzes offenkundig und in entsprechenden fremdsprachendidaktischen Organen diskutiert. Zugespitzt formuliert Brusch (1996, 140) diese Inkompatibilität als in der damaligen Zeit so erkannte Unmöglichkeit, im Fremdsprachenunterricht die großen Werke der Literatur mit den beschränkten kommunikativen Fähigkeiten der Lernenden in der Fremdsprache zu behandeln – die Prinzipien „des Bildungswertes und des Gebrauchtwertes“ von Literatur schienen inkongruent (Hüllen 1970, 367).
Die Diskussion der 1960er bis 1980er war damit im Grunde genommen eine Wiederholung der Gegensätze von pragmatischen Fremdsprachenkompetenzen und analytischer Auseinandersetzung mit Bildungsgut, wie sie sich als Konflikt zwischen Reformern und Traditionsbewussten am Ende des 19. Jahrhunderts zugespitzt hatte. Einerseits beklagten fortschrittliche Didaktiker den Mangel an kommunikativen Fähigkeiten bei deutschen Schülerinnen und Schülern und benutzten den pejorativen Begriff des ‚Schulenglischen‘, welches in der realen Welt wenig zu verwenden sei. Andererseits mokierten sich die nach altphilologischen Usancen sozialisierten Gymnasialprofessoren und -professorinnen dieser Jahrzehnte, die die philologisch exakte, bisweilen immer noch in deutscher Sprache vollzogene Interpretation einer Shakespeare-Tragödie in der Oberstufe als krönenden Abschluss der Schullaufbahn definierten, über ein allzu idiomatisches Allerweltsenglisch und taten es als ‚Oberkellner-Englisch‘ ab (Brusch 1996, 187). Derart obsolete Vorstellungen verloren dann über die nächsten Jahrzehnte zunehmend ihre Salonfähigkeit in didaktischen Debatten. Sukzessiven Bedeutungsverlust erlebten sie in den Schüben der Kommunikativen Wende, der Hinwendung zum interkulturellen Lernen, der Forderung nach Pragmatisierung und Outputorientierung sowie dem neuen Paradigma der interkulturellen kommunikativen Kompetenz und den Ausrichtungen der neokommunikativen Methodenpluralität (Reinfried 2001) – so dass die Literaturdidaktik gegenwärtig eher unter einem gewissen Legitimationsdruck mit Bezug auf Kompetenzorientierung steht.
8 Das neue Paradigma: Mentales Lexikon und Semantisierungstechniken
Die audio-linguale Methode mit ihrem behavioristischen Ansatz sowie kognitive Ansätze und pragmatische Kommunikationstheorien à la Noam Chomsky, Dell Hymes und Jürgen Habermas mündeten, stark vereinfacht formuliert, in die pragmatische Kommunikative Wende der 1970er Jahre. Die Aufwertung lexikalischer Kompetenzen in den folgenden Jahrzehnten erscheint als eine logische Konsequenz des neuen praxisbezogenen Paradigmas, welches in Deutschland vor allem durch den Gießener Didaktiker Hans-Eberhard Piepho