Argumentation. Kati Hannken-IlljesЧитать онлайн книгу.
Antaki, 1994).
2.1.5 Status von Argumentation: Funktion oder Textsorte?
In der Unterscheidung von Argumentieren und ErklärenErklären wird eine weitere grundlegende Frage in der Untersuchung von Argumentation deutlich: Lässt sich Argumentation an Hand textueller Merkmale oder über die Funktion eines Textes bestimmen?
In der Linguistik befassen sich in erster Linie die Pragmatik und die Textlinguistik mit Argumentation. Dabei wird Argumentation unterschiedlich eingeordnet: als Diskurseinheit (Hausendorf & Quasthoff, 1996), als Form der Themenentfaltung (Brinker & Sager, 2006) oder auch als VertextungsmusterVertextungsmuster (Eggs, 2008). Argumentation wird dann als ein VertextungsmusterVertextungsmuster neben den anderen Mustern NarrationNarration, Deskription und Explikation gesehen (vgl. Brinker, Antos, Heinemann et al., 2008). Grundlegend für die Einordnung von Argumentation als ein VertextungsmusterVertextungsmuster ist die Annahme, dass Argumentation durch spezifische sprachliche Verfahren gekennzeichnet ist. Als sprachliche Indikatoren für Argumentation werden häufig KonnektorenKonnektoren wie „weil“, „daher“, „da“, „deshalb“ etc. genannt. Diese markieren die Verbindung von einzelnen Aussagen im Sinne einer argumentativen Verknüpfung als Grund und Konklusion. Dabei ergeben sich allerdings einige Probleme. In natürlicher Argumentation bleiben, wie bereits dargelegt, einzelne Anteile einer Argumentation oft implizit, so dass einzelne Aussagen zwar als Teile einer Argumentation fungieren, aber nicht als solche markiert werden. Im Beispiel der „zwölf Geschworenen“ ist die grundlegende Frage, auf die sich die meisten Äußerungen beziehen, ob der Junge schuldig ist oder nicht. Diese Konklusion wird aber nicht in jedem Fall geäußert. Doch auch wenn Grund und Konklusion einer Äußerung explizit geäußert werden, müssen sie nicht durch sprachliche KonnektorenKonnektoren verbunden sein, um als argumentativer Text kenntlich zu sein. Dies zeigt sich im folgenden Beispiel:
JUROR 3: Unsere Waisenhäuser sind okay. Wir zahlen Steuern dafür.
Diese Äußerung lässt sich klar als ein Komplex von Konklusion und Grund analysieren: Unsere Waisenhäuser sind okay, denn wir zahlen Steuern dafür. Dies wird aber nicht sprachlich markiert. Zudem sind sprachliche KonnektorenKonnektoren, wenn sie auftreten, oft vage (eine argumentative Verbindung kann durch sprachliche KonnektorenKonnektoren markiert werden, diese Markierung ist aber nicht hinreichend, um den Text sicher als Argumentation zu identifizieren) und polyfunktional (durch einen sprachlichen Indikator kann eine argumentative, aber auch eine explikative Verbindung angezeigt werden) (vgl. Deppermann, 2006). Die Bestimmung von Argumentation als VertextungsmusterVertextungsmuster oder Funktion von Texten ist wichtig für verschiedene aktuelle Forschungsfragen in der Argumentationswissenschaft. Dieser Aspekt wird in Kapitel 6.1 noch einmal genauer aufgenommen, wenn das Verhältnis von Argumentation und NarrationNarration diskutiert wird.
2.2 Wenzels Modell der drei Perspektiven auf Argumentation
Um das Feld stärker zu ordnen, bevor in den folgenden Kapiteln dann einzelne Ansätze genauer vorgestellt werden, soll hier das Modell der drei Perspektiven auf Argumentation von Wenzel (1980) eingeführt werden. Es wird in der Argumentationswissenschaft – nur halb im Scherz – oft auch die „Heilige Dreifaltigkeit der Argumentationstheorie“ genannt. Dieses Modell ist als Heuristik zu verstehen, d.h. es bietet klare analytische Abgrenzungen zwischen verschiedenen Bereichen. Diese Abgrenzungen sind in der Analyse natürlicher Argumentation nicht mehr so leicht zu ziehen und können verwischen.
2.2.1 Die Entwicklung des Modells der drei Perspektiven auf Argumentation
Für die Einführung des Modells von Wenzel ist es sinnvoll, sowohl einen kurzen Abriss seiner Entwicklung zu geben als auch einen historischen Rückgriff auf seine Grundlagen zu unternehmen.
2.2.1.1 Die drei Perspektiven bei Aristoteles
Das Modell der drei Perspektiven lässt sich zurückbinden an die drei Schriften, in denen Aristoteles sich zur Argumentation äußert. Von Aristoteles liegt zur Argumentation keine eigene, umfassende Beschreibung oder Theorie vor. Er thematisiert das, was wir heute unter Argumentationswissenschaft fassen, in drei seiner Schriften: der „Analytik“, der „TopikTopik“ und der „Rhetorik“. In der „Analytik“ behandelt Aristoteles logische Schlüsse, in der „Topik“ die dialektische Methode und die unterschiedlichen Topoi, die der Argumentation zu Grunde liegen können, und in der „Rhetorik“ schließlich werden das EnthymemEnthymem und ParadigmaParadigmaals Schlussverfahren als rhetorische Schlussverfahren sowie wiederum die Topik, hier mit der Unterscheidung in allgemeine und spezielle Topoi, behandelt. Dies korrespondiert begrifflich und konzeptionell mit der Unterscheidung der drei Perspektiven, die Wenzel vorgeschlagen hat. Wichtig ist aber, dass diese Unterscheidung keine aristotelische ist!
Aristoteles behandelt Argumentation in den drei Werken „Analytik“, „TopikTopik“ und „Rhetorik“. Er verfasste aber keine eigene, umfassende Theorie der Argumentation.
2.2.1.2 Von einer zu drei Perspektiven
Das Modell der drei Perspektiven auf Argumentation hat eine Entwicklungsgeschichte, die zugleich einiges über die verschiedenen Ansätze der Argumentationswissenschaft erzählt. Daher soll die Geschichte des Modells der drei Perspektiven hier etwas ausführlicher an Hand von drei Aufsätzen dargestellt werden. Interessanterweise kommen die Autoren dieser Aufsätze alle aus derselben Disziplin, den Communication Studies. Diese firmierte bis in die 90er Jahre des 20. Jahrhunderts als Speech Communication und ist die deutlich größere und stärker differenzierte Schwesterdisziplin der Sprechwissenschaft. Eine Teildisziplin der Speech Communication (wie der Sprechwissenschaft) ist die Rhetorik. Zudem waren alle drei Autoren – wie auch der Großteil der anderen rhetorisch geprägten Argumentationswissenschaftlerinnen in den USA – Leiter akademischer, universitärer Debattenteams und hatten dadurch nicht nur einen theoretischen, sondern auch einen spezifisch praktisch ausgerichteten Blick auf Argumentation.
2.2.1.3 Der Sonderfall argument<i>argument</i>
1974 hielt Wayne Brockriede einen Vortrag auf der Alta Conference mit dem Titel „Where is Argument?“. Der Vortrag (und der daraus resultierende Artikel) verortet argument an sechs Stellen. Argument ist demnach
1 „an inferential leap from existing beliefs to the adoption of new beliefs or the reinforcement of an old one“
2 „a perceived rationale to support that leap“
3 „a choice among two or more competing options“
4 „a regulation of uncertainty“
5 „a willingness to risk confrontation of a claim with peers“
6 „a frame of reference shared optimally“
In Brockriedes Ansatz wird deutlich, was weiter oben schon betont wurde. Argumentation ist immer zweierlei: die Bearbeitung von DissensDissens und die Verhandlung von Geltung. Insbesondere Punkt 1, 2 und 6 beziehen sich auf geteiltes Wissen und die Etablierung von Geltung, wohingegen sich 3, 4 und 5 eher auf die Bearbeitung von StrittigkeitStrittigkeit beziehen.
Zudem ist der Aufsatz von Brockriede exemplarisch für das terminologische Problem, das der englische Begriff argument<i>argument</i> mit sich bringt. Nicht alle der sechs Punkte beziehen sich auf Argumentation im Sinne von Begründungshandeln. So lassen sich die Punkte 3 bis 6 zwar auf Argumentation beziehen, sie sind aber nicht spezifisch für Argumentation. Sie lassen sich allgemein auf rhetorisches Handeln beziehen, innerhalb dessen argumentiert werden kann, aber nicht muss. Nun nimmt Brockriede auch nicht in Anspruch, dass die sechs Punkte Argumentation und Argumentieren abschließend definieren, dass es sich also hier um die notwendigen und hinreichenden Bedingungen handelt, um von argument zu sprechen. Die Unklarheit in Bezug auf die sechs Punkte beruht auf der semantischen Breite des Begriffs argument im Englischen, der neben Argument oder Argumentation auch agonale Interaktionsformen wie Streit oder Auseinandersetzung einbezieht.
Der