Fremdsprachendidaktische Professionsforschung: Brennpunkt Lehrerbildung. Группа авторовЧитать онлайн книгу.
in jüngster Zeit angenommen (Roters/Trautmann 2014 mit Überblick).
Diesen Umstand könnte man so deuten, als seien die positiven Effekte der Programme, die Angemessenheit der Inhalte und Lehr- und Lernarrangements über viele Jahre hinweg im deutschsprachigen Raum als gegeben angenommen worden. Ein Blick in die internationale fremd- und zweitsprachliche Lehr- und Professionsforschung legt hingegen nahe, die Wirkungsmechanismen in Aus- und Fortbildungsprogrammen zu hinterfragen: Sie stellen aus gutem Grund einen genuinen Forschungsgegenstand dar. In den letzten vierzig Jahren haben Studien zur Lehrerbildung (second/foreign language teacher education and professional development) erheblich an Bedeutung gewonnen und dabei unter anderem verdeutlicht, weshalb Urteile über den Erfolg von Aus- und Fortbildungsprozessen auf empirischen Erkenntnissen beruhen sollten (z.B. Singh/Richards 2006; Wideen u.a. 1998).
Die Diskussion wird allerdings in auffälliger Weise durch Englisch als Fremd- und Zweitsprache dominiert. Forschungen, das Lehren anderer Sprachen betreffend, und nicht englischsprachige Publikationen finden international durchweg keine Beachtung. Da ein umfassender Forschungsbericht den Rahmen dieser Einleitung sprengen würde, verweisen wir auf die einschlägigen Artikel zum State-of-the-Art (Man 2005, Wright 2010) und vergleichbare Überblicksdarstellungen (Burns/Richards 2009, Benitt 2016: 28–77, Crandall/Christison 2016). Wie Crandall/Christison aufzeigen, lassen sich innerhalb der anglo-amerikanischen Forschungen seit den 1990er Jahren die folgenden Schwerpunkte identifizieren, an denen die gesamte Breite des Forschungsfelds deutlich wird:
Language teacher cognition, teacher experience, and novice teacher development
Teacher identity, globalization, and non-native English speaking teachers
Reflection and reflective teaching
Classroom research, action research, and teacher research
Language teacher learning, collaboration, communities of practice (…) and professional learning communities (Crandall/Christison 2016: 6)
Bei der Durschicht der Forschungsberichte fällt auf, dass sich auch unter den englischsprachigen Publikationen so gut wie keine Studien finden lassen, die die Prozesse der universitären und postuniversitären Lehrerbildung selbst, die dort zum Einsatz kommenden Lehr- und Lernformen in Verbindung mit den erarbeiteten und vermittelten fachdidaktischen und fachwissenschaftlichen Inhalten untersuchen. Auf dieses deutliche Manko weist auch Karen Johnson hin, wenn sie, gestützt auf soziokulturelle Lerntheorien, für eine Forschung plädiert, die sich mit dem befasst „what happens inside the the practices of L2 teacher education“ (Johnson 2015: 515). Wie wir im Folgenden darlegen werden, schreiben auch wir dieser Frage eine zentrale Bedeutung zu, und Antworten aus verschiedenen Kontexten von Aus- und Fortbildung finden sich in mehreren Beiträgen dieses Bandes.
Auch wenn, wie oben angedeutet, die fremdsprachendidaktische empirische Lehrerbildungsforschung im deutschsprachigen Raum kaum entwickelt ist, lässt sich während der letzten dreißig Jahre parallel zur internationalen Entwicklung ein zunehmendes Interesse an der Lehrperson feststellen; die Fachdidaktik beginnt sich zum einen für den Zusammenhang von Lehrerwissen (Erfahrungswissen) und praktischer Unterrichtskompetenz zu interessieren (Appel 2000), zum anderen versuchen Forschende aus unterschiedlichen fachdidaktischen Perspektiven zu ergründen, „was in den Köpfen von Fremdsprachenlehrer(inne)n vorgeht“ (Caspari 2014). Untersucht werden u.a. subjektive Sichtweisen von Lehrkräften zu interkulturellem Lernen und zur Mehrsprachigkeit, zum beruflichen Selbstverständnis. Gegenstand sind Reflexionsprozesse und Kognitionen, Berufsbiographien, das Erfahrungswissen oder die Verarbeitung und Einschätzung der universitären Ausbildung in den ersten Phasen selbständiger Berufstätigkeit (Überblick und Zusammenfassung bei Caspari 2014). Ohne Frage haben diese Studien Implikationen für die Aus-, Fort- und Weiterbildung von Fremdsprachenlehrkräften; sie werden vielfach am Ende der Studien zu Empfehlungen gebündelt oder sie sind aus Vorschlägen für weitere Forschungen, mit denen die Studien enden, abzuleiten. Solche Einsichten systematisch zusammenzustellen und auszuwerten, könnte die Lehrerbildungsforschung sicher bereichern. Wir werden im Folgenden auf einige von ihnen Bezug nehmen.
Neben dem deutlich gewachsenen Interesse an der Lehrperson sind wenige Arbeiten zu nennen, die fremdsprachliche Lehrerbildungsprozesse explizit untersuchen. Dem Bereich Lehrerfortbildung zuzuordnen sind beispielsweise Paul Meyermanns Fallstudie zur Qualifizierung von Deutschlehrkräften in Costa Rica (1995) und Marita Schockers vergleichende Mehrfachfallstudie zur teilnehmerorientierten Fortbildung (Schocker-v. Ditfurth 1992). Die Rolle der schulpraktischen Studien als zentraler Baustein der Ausbildung wurde von Gabel (1997), Schocker-v. Ditfurth (2001), Elsner (2010) und Schädlich (2011, 2015) untersucht. In einer vergleichenden Studie ermittelte Roters (2012) die Reflexionsniveaus von Novizen, indem sie Lerngelegenheiten für Studierende an einer deutschen und einer US-amerikanischen Universität herausarbeitete, um dann die unter diesen Lernbedingungen entstandenen studentischen Reflexionen zu analysieren. Im Kontext eines innovativen Blended-learning Master Programms für Primarschullehrkräfte im Fach Englisch erforschten Zibelius kooperatives Lernen als ein Kernelement der Ausbildung (Zibelius 2015) und Benitt die Funktion von Aktionsforschungsprojekten für die Ausbildung von Lehrkompetenz und die Stärkung professionellen Selbstvertrauens (Benitt 2015). Forschungen, die sich der zweiten Ausbildungsphase, dem Referendariat, widmen, sucht man vergeblich. Dieses neue Forschungsfeld eröffnet der Beitrag von Gerlach/Steiniger im vorliegenden Band.
Alle bisher genannten Studien, einschließlich der von Caspari (2014) zusammengestellten, sind Einzelarbeiten, sie sind also in keinem größeren Forschungsverbund entstanden. Ferner handelt es sich fast ausschließlich um Qualifikationsarbeiten, d.h. sie wurden von Forschungsnovizen geleistet. Diese Bestimmungsmerkmale sprechen keinesfalls gegen ihre Qualität, belegen jedoch, dass sich die etablierten Fachdidaktiker und Fachdidaktikerinnen dem Forschungsfeld bisher nicht angenommen haben. Dem Mangel an Engagement für die Erforschung der eigenen Lehre (einschließlich ihrer institutionellen Bedingungen und dynamischen Prozesse), die ja eine zentrale Aufgabe der Wissenschaftler ausmacht, stehen allerdings zahlreiche Positionspapiere gegenüber, mit denen etablierte Vertreter der Fachdidaktik den Reformprozess der letzten Jahrzehnte kommentieren und dabei Forschungsperspektiven skizzieren, die bis heute allerdings nicht konkretisiert wurden (z.B. Zydatiß 1996; Bausch u.a. 1997, 2003).
Am Beginn unserer Bestandsaufnahme bleibt somit festzuhalten, dass die Fremdsprachenforschung über Jahrzehnte hinweg die Aus- und Fortbildungspraxis bestenfalls als einen Nebenschauplatz empirischer Forschung behandelte. Damit manövrierte sie sich gerade in den letzten Jahren zunehmend in einen Widerspruch, werden doch Studierende in den Fremdsprachendidaktiken in den BA und MA Programmen immer öfter zum forschenden Lernen angehalten. Und auch der Umfang an Publikationen, in denen das Potenzial von Aktionsforschung für das Verstehen und die Weiterentwicklung von Lehr- und Lernsituationen aus theoretischer Perspektive dargestellt wird, hat beträchtlich zugenommen. Positiv ist indes zu vermerken, dass das Forschungsfeld in jüngster Zeit bewusster wahrgenommen und aktiver erschlossen wird (vgl. z.B. Klippel 2016). Davon zeugen nicht zuletzt die Beiträge dieses Bandes. Welche neuen Akzente sie setzen und wie sie an Vorhandenem anschließen, möchten wir im Folgenden verdeutlichen, indem wir sie im Rahmen einer zeitgemäßen Aus- und Fortbildung verorten.
2 Professionelle Kompetenzen von Fremdsprachenlehrenden
2.1 Tendenzen in der empirischen Kompetenzforschung
Modelle, die das professionelle Wissen und Können von Lehrenden veranschaulichen und damit der Ausbildung als Orientierung dienen können, beziehen sich zumeist auf Shulmans (1987) Typologie und seine Unterscheidung von Fachwissen, fachdidaktischem Wissen und pädagogischem Wissen (z.B. Baumert/Kunert 2006: 482; Blömeke 2011:15; Hallett 2006: 36). Eine Aufgliederung, die sich auch deshalb weitgehend durchsetzen konnte, weil sie die Grenzverläufe zwischen den an der Lehrerausbildung beteiligten akademischen Disziplinen nachzeichnet. Gleichwohl handelt es sich zunächst nur um ein theoretisches Konstrukt, von dessen empirischer Begründung wir gerade im Bereich der Fremdsprachendidaktik noch weit entfernt sind. Für die Forschung sind Shulmans Typologie und die auf ihr basierenden Modelle vor allem deshalb von besonderem Interesse, weil sie – als eine