Fremdsprachendidaktische Professionsforschung: Brennpunkt Lehrerbildung. Группа авторовЧитать онлайн книгу.
hingegen muss vom Individuum selbst geleistet werden. Aus- und Fortbildung können diesen Prozess anstoßen und unterstützen, indem kontinuierlich Möglichkeiten und Anreize geschaffen werden, die Selbstkompetenzen als Lehrkraft weiterzuentwickeln. Dazu zählt beispielsweise, sich der eigenen Werte und Überzeugungen bewusst zu werden, die berufliche Motivation zu klären oder charakterliche Eigenheiten zu erkennen. Kubaniyova (2012: 101) zeigt in ihrer Studie, wie wichtig es für die Weiterentwicklung von Lehrpersonen, für ihre Offenheit gegenüber neuen Ideen und pädagogischen Innovationen ist, eine persönliche berufliche Vision zu haben. Lehrende müssen für sich entscheiden, inwieweit ihre persönliche Identität in ihrer professionellen Identität aufgehen soll und wann es sinnvoll ist, Grenzen zwischen beiden zu ziehen. Die Beschäftigung mit den wissenschaftlichen Erkenntnissen zur Selbstregulation oder Selbstwirksamkeit im Lehrberuf (Schwarzer/Warner 2014) kann dazu wichtige Impulse liefern.
Wie stark subjektive Theorien und das berufliche Selbstverständnis das didaktische Denken und Handeln beeinflussen können, wurde seit den 1990er Jahren in zahlreichen empirischen Forschungsarbeiten dokumentiert (z.B. Grotjahn 1998; Caspari 2003; Kubaniyova 2012; Schart 2003; Viebrock 2007). Es liegt daher auf der Hand, dass die im vorangegangenen Abschnitt beschriebenen Kompetenzen zum Lehren und Lernen nur im engen Zusammenhang mit individuellen Erfahrungen und Überzeugungen herausgebildet werden können. Für die fremdsprachlichen Fächer kommt als Alleinstellungsmerkmal hinzu, dass auch die eigenen Fähigkeiten in der Fremdsprache als zentraler Bestandteil der professionellen Identität betrachtet werden müssen (Barkhuizen 2016, Pennington 2016). Die Tätigkeit von Fremdsprachenlehrenden vollzieht sich immer zwischen verschiedenen Kulturen, ob sie in ihrem beruflichen Alltag nun selbst in einer Fremdsprache handeln oder ihre Muttersprache in einem mehr oder weniger fremden kulturellen Umfeld unterrichten. Wie intensiv dabei die gesamte Persönlichkeit involviert sein kann, verdeutlichen sehr lebendig die biografischen Erzählungen in Nunan/Choi (2010).
An konkreten Fällen geben Benitt und Gerlach/Steiniger im vorliegenden Band Einblicke in das Zusammenspiel von fremdsprachlichen Fähigkeiten und Identitätsbildung. Gerlach/Steiniger widmen sich in ihrem Beitrag in besonderer Weise der Herausbildung von Rolle und Identität im Lehrberuf. Ihr Untersuchungsfeld ist der Vorbereitungsdienst und gemeinsam zeichnen sie anhand von Vignetten nach, wie sich sowohl aufseiten der angehenden Lehrkräfte als auch aufseiten der Ausbildungskräfte bzw. Mentoren/Mentorinnen das Rollenverständnis in dieser Phase der Ausbildung entwickelt und welche Elemente die gegenseitige Wahrnehmung prägen. Sie verdeutlichen in ihrem Beitrag, weshalb die aktive Auseinandersetzung mit der eigenen Rolle und die Gestaltung der beruflichen Identität zu den Kompetenzen angehender und bereits praktizierender Lehrkräfte gezählt werden muss. In der Aus- und Fortbildung sollten sie Unterstützung dabei finden, eine berufliche Vision zu entwickeln, die ihrer Persönlichkeit entspricht. Weshalb dieser sehr individuelle Prozess zugleich aber auch als ein kollektiver gedacht werden muss, werden wir im folgenden Abschnitt diskutieren.
2.6 Kooperation und Entwicklung
In den vorangegangenen Abschnitten wurde aus verschiedenen Perspektiven dargestellt, weshalb der Erwerb von Wissen und Fähigkeiten eingebettet ist in einen sozialen, historischen und politischen Kontext, vermittelt durch die Interaktion mit anderen, durch gemeinsames Handeln und die Auseinandersetzung mit kulturellen Artefakten. Aus dieser Erkenntnis ergeben sich natürlich nicht nur Konsequenzen für die Gestaltung des Fremdsprachenunterrichts. Wie alle akademischen Fächer, die sich neben der Erforschung pädagogischer Prozesse auch mit der Ausbildung von Expertinnen und Experten für pädagogisches Handeln befassen, muss sich die Fremdsprachendidaktik fragen, ob ihre eigene Praxis dem Forschungsstand nicht zuwiderläuft. Wird also auch in der Aus- und Fortbildung etwa das Potenzial von Kooperation genutzt? Wird damit ein Gegenmodell geschaffen zur Lehrperson als Einzelkämpfer und zur Tendenz der Privatisierung von Klassenräumen? Wird also für Novizen der Lehrberuf als eine professionelle Gemeinschaft (Lave/Wenger 1991) erfahrbar, in die sie bereits während der Ausbildung durch aktive Teilnahme hineinwachsen?
Der soziokulturelle Ansatz hat in besonderer Weise dazu beigetragen, dass kooperativen Prozessen in der Aus- und Fortbildung ein zunehmend größerer Stellenwert beigemessen wird (Crandall/Christison 2016; Johnson 2009; Johnson/Golombek 2011), was sich nunmehr auch in verstärkter empirischer Forschungstätigkeit zu diesem Themenbereich niederschlägt. Die Studie von Wipperfürth (2016) ist dafür ein wegweisendes Beispiel. In ihr wird darstellt, wie sich Lehrende in einem „Lernenden Lehrernetzwerk“ selbstgesteuert über Videomitschnitte aus dem eigenen Unterricht austauschen und sich dabei ihre Selbstwahrnehmung ebenso positiv verändert wie ihr unterrichtliches Handeln.
Auch mehrere der in diesem Band versammelten Beiträge verdeutlichen diese Forschungstendenz anhand konkreter Lehr- und Lernszenarien. So schildern Abendroth-Timmer/Schneider, wie sich zukünftige Fremdsprachenlehrende im Rahmen des CONFORME-Projekts in multikulturellen und mehrsprachigen Kleingruppen mit wissenschaftlichen Konzepten auseinandersetzen und durch die Interaktion professionelles Wissen ko-konstruieren. An ihrer Darstellung lässt sich besonders gut nachvollziehen, weshalb Studierende bei ihren individuellen Reflexionsprozessen vom Austausch mit anderen profitieren. Gemeinsam werden Unterschiede in der Wahrnehmung und Interpretation aufgedeckt, neue Sichtweisen entwickelt und letztlich die wissenschaftlichen Konzepte tiefer durchdrungen.
Im Bereich der Fortbildung ist die Studie von Heinrich verortet. In dem Beitrag wird das Spannungsverhältnis deutlich, in dem die Inhalte der Lehrerbildung und deren methodischer Gestaltung stehen. Heinrich dokumentiert die empirische Begleitforschung zu einem Fortbildungsangebot für Englischlehrkräfte im Sekundarbereich I und II. Sie sollten gezielt dabei unterstützt werden, kooperatives Sprachlernen häufiger und theoriebasierter anzuwenden. Inhaltlich wird zum einen handlungsorientiertes Wissen sowie konkretes Instruktions- und Sprachverhalten vermittelt. Zum anderen werden bestimmte Kognitionen, die die Umsetzung der Lehr-Lernform fördern oder behindern können, positiv beeinflusst. Die Autorin geht in ihrem Beitrag unter anderem auch darauf ein, wie das kooperative Lernen als Gegenstand der Fortbildung zugleich in den Fortbildungsveranstaltungen selbst erfahrbar gemacht werden kann. Erste Ergebnisse der Längsschnittstudie deuten auf positive Trainingseffekte bezüglich bedeutsamer Kognitionen sowie der Häufigkeit und Qualität der Umsetzung kooperativen Sprachlernens im Englischunterricht hin.
Das Potenzial der Kooperation erhellt auch Knorr in ihrer Studie, für die sie Studierende bei der Vorbereitung von Tagespraktika begleitete und deren gemeinschaftliche Planung von Unterrichtsstunden analysierte. Auch hier zeigt sich, wie die Zusammenarbeit Lernprozesse unterstützt, indem sich die Studierenden gegenseitig hinterfragen, zu neuen Ideen anregen oder auch emotionalen Rückhalt bieten. Da Knorrs Studie an der Schnittstelle zwischen fachdidaktisch-theoretischer und schulpraktischer Ausbildung verortet ist, ermöglicht sie zugleich Einsichten in das Zusammenspiel von theoretischem Wissen und unterrichtlichem Handeln. Dabei wird unter anderem deutlich, dass die konkrete Unterrichtsvorbereitung anders verläuft, als die in der Ausbildung zuvor gelernten Planungsmodelle es vorzeichnen.
Es sind solche Erfahrungen, die dazu beitragen, dass die Übergänge zwischen den einzelnen Ausbildungsphasen als Bruch wahrgenommen werden. Mit Blick auf Fachpraktika konnten sie von Gabel (1997) ebenso beschrieben werden wie von Schädlich (2015). Und auch Gerlach/Steiniger kommen in ihren Untersuchungen zum Vorbereitungsdienst in dieser Hinsicht zu diesem kritischen Fazit.
Aus einer soziokulturellen Perspektive ist dieser viel zitierte Praxisschock unvermeidlich, solange die Begegnung mit wissenschaftlichen Konzepten während der fachdidaktischen Ausbildungsphase nicht eingebettet wird in situiertes Lernen (Lave/Wenger 1991), also die Möglichkeit, sich der Relevanz dieser Konzepte für konkrete Handlungssituationen bewusst zu werden, sie vor dem Hintergrund der eigenen Vorstellungen und Erfahrungen zu reflektieren und sich mit anderen darüber auszutauschen. Eine Überlegung, die unmittelbar das Verhältnis zwischen Theorie und Praxis als einem der am intensivsten diskutierten Probleme der Pädagogik berührt. Gestärkt wird die Differenzthese, der zufolge die Frage danach, wie sich wissenschaftliche Theorien und Modelle effektiver in die Unterrichtspraxis implementieren lassen, grundsätzlich falsch gestellt ist. Denn für die beiden gesellschaftlichen Bereiche „Wissenschaft“ und „Schule“ sind sehr unterschiedliche Wissensformen prägend. Professionelle Forschung zielt auf Abstraktion, Systematisierung,