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Übersetzungstheorien. Radegundis StolzeЧитать онлайн книгу.

Übersetzungstheorien - Radegundis Stolze


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Gestaltungs- und oft Überbietungswillen, was durch das literarkritische Konzept der aemulatio, der konkurrierenden Nachbildung, bedingt ist. Seine theoretischen Reflexionen über das ÜbersetzenÜbersetzen sind von starkem patriotischem Selbstbewusstsein getragen. So warnt Cicero stets vor allzu sklavischer Nachahmung des originalen Wortlauts. In aller Schärfe fasst er die Antithese „non ut interpres sed ut orator“, man orientiere sich als Dolmetscher nicht wie ein Ausleger am Wortlaut der Vorlage, sondern wie ein Redner an seinen Zuhörern.

      Er fordert also nicht wörtliche Abbildung, sondern sinngemäße Wiedergabe. Gleichzeitig aber bemüht er sich insbesondere auf der Ebene des Wortschatzes um möglichst präzise Umsetzung der philosophischen TerminologieTerminologie der Griechen und legt darüber in zahlreichen Äußerungen übersetzerischer Selbstreflexion Rechenschaft ab.3Seele Die nachklassische Zeit hat dem theoretisch nicht viel hinzuzufügen. Weittragende ÜbersetzungsverfahrenÜbersetzungsverfahren sind entwickelt worden. Man kann feststellen,

      daß der antike ÜbersetzerÜbersetzer sich vor eine ganz ähnliche Typologie von Übersetzungsschwierigkeiten gestellt sah wie der moderne: vor lexikalische Lücken, semantische Ambivalenzen, divergierende Sprachsysteme, unübersetzbare Idiomatismen, Bilder und Metaphern, metrische Zwänge, glossierungsbedürftige Stellen usw.

      Auch wenn der antike ÜbersetzerÜbersetzer sich bei der Übersetzung ganzer Texte oft unbefangen über solche Schwierigkeiten hinwegsetzte, so hat er doch zumindest punktuell schon ein weites Spektrum von Lösungsmöglichkeiten erarbeitet (SEELESeele 1995:17).

      Nachstehend werden einige ÜbersetzungsverfahrenÜbersetzungsverfahren der Antike genannt (vgl. SEELESeele 1995:24ff). Im Umgang beispielsweise mit der lexikalischen Lücke, dem Fehlen eines passenden Ausdrucks in der ZielspracheZielspraches. ZS, haben die ÜbersetzerÜbersetzer verschiedene Strategien entwickelt:

      1. Das Übersetzungslehnwort (exprimi verbum e verbo), das in der Regel einen zielsprachlichen Neologismus darstellt. So wurde der lateinische Wortschatz erweitert, indem Worbildungsgesetze imitiert und nach Analogie der griechischen Komposita lateinische Zusammensetzungen geformt wurden: omnipotens, altivolans, altisonus. Auch in der deutschen Übersetzung der Odyssee von J.H. Voß finden wir solche Ausdrücke: die schönäugige Jungfrau Nausikaa, die rosenfingrige Morgenröte. Produktiv sind auch die Zusammensetzungen mit Präfix: ανεφελοϛ – innubilus – wolkenlos.

      2. Bei Bedeutungslehnwörtern wurden bereits existente lateinische Wörter mit neuen Bedeutungen gefüllt, so wenn z.B. griechische Götternamen (Ερμειαϛ) durch lateinische ersetzt wurden (Mercurius).

      3. Manchmal wurden lexikalische Lücken auch geschlossen, indem das griechische Wort einfach als Fremdwort, als Exotismus in den lateinischen Text aufgenommen wurde,

      4. oder mit mehreren lateinischen Wörtern umschrieben wurde (ParaphraseParaphrase). (Quod uno Graeci … idem pluribus verbis exponere).

      Grundsätzlich neue Gedanken fügt der übersetzungstheoretischen Tradition erst die christliche Ära der Spätantike hinzu. Hier wird nach der Autorität von Texten unterschieden. Bei „heiligen Texten“ wie der Bibel darf nichts verändert oder verschoben werden. So entstand die „Interlinearversion“, das ist eine zwischen die Zeilen geschriebene Wort-für-Wort-Übersetzung, besonders auch in frühen mittelalterlichen Handschriften. Wichtig war insbesondere die berühmte Epistel des HIERONYMUS (348–420) an Pammachius4Störig, wo der lateinische Bibelübersetzer einräumt:

      Ich gebe es nicht nur zu, sondern bekenne es frei heraus, daß ich bei der Übersetzung griechischer Texte – abgesehen von den Heiligen Schriften, wo auch die Wortfolge ein Mysterium ist – nicht ein Wort durch das andere, sondern einen SinnSinn durch den anderen ausdrücke; und ich habe in dieser Sache als Meister den Tullius (Cicero) (…).

      Diese spezielle Problematik der Übersetzung der Bibel, in der schon die Wortstellung ein (unantastbares) Mysterium sei, sollte freilich auch die ÜbersetzerÜbersetzer weltlicher LiteraturLiteratur beeinflussen. Nachdem nämlich die Übersetzer biblischer Schriften durch ihr gewissenhaftes Bemühen um adäquate Nachbildung der Originale das sprachliche Instrumentarium geschaffen hatten, konnten auch die Übersetzer weltlicher Schriften sich um ausgangssprachlich genaues ÜbersetzenÜbersetzen bemühen. Die Kirchenväter hatten im 4. Jh. n. Chr. die Lehre vom mehrfachen Schriftsinn entwickelt, und die mittelalterliche Tradition hat daran angeknüpft.5 Bis zur Neuzeit erfolgt dann ein allmählicher Übergang von der mittelalterlichen Allegorese hin zur modernen Hermeneutik, indem der Buchdruck neue Kommunikationsformen ermöglichte.

      1.4 Verdeutschende Übersetzung (LutherLuther)

      Der deutsche Bibelübersetzer Martin LUTHERLuther (1483–1546) entschied sich dann sogar bei der Heiligen Schrift für die freiere Formulierung: „rem tene, verba sequentur“ (erfasse die Sache, dann folgen die Worte von selbst), wie schon Cato gesagt haben soll. Für ihn war es wichtig, dass der ÜbersetzerÜbersetzer eine innere Nähe zum Gegenstand der Aussage hat und ein sensibles SprachgefühlSprachgefühl für den Rhythmus und die Melodie des Textganzen, damit die Übersetzung auch die rechte Wirkung erzielen kann. Bei seiner zehnjährigen Arbeit an der Psalmenübersetzung wünschte er sich z.B. eine hebräische Stilkunde, die über die von ihm verwendete reine GrammatikGrammatik und das Lexikon Reuchlins hinausgehen würde. In seinem „Sendbrief vom Dolmetschen“ (1530)1Störig verteidigt er sein Vorgehen mit vielen Beispielen gegen Kritiker, die ihm eine zu freie Übersetzung vorwarfen.

      Martin LutherLuther erklärt: „… man muß die Mutter im Hause, die Kinder auf der Gassen, den gemeinen Mann auf dem Markt darum fragen, und denselbigen auf das Maul sehen, wie sie reden und darnach dolmetschen; da verstehen sie es denn und merken, daß man deutsch mit ihnen redet.

      So wenn Christus spricht: ‘Ex abundántia cordis os lóquitur’ [Matth. 12, 34]. Wenn ich den Eseln soll folgen, die werden mir die Buchstaben vorlegen und so dolmetschen: aus dem Überfluß des Herzens redet der Mund. Sage mir: ist das deutsch geredet? Welcher Deutsche verstehet solches? Was ist Überfluß des Herzens für ein Ding? Das kann kein Deutscher sagen, es sei denn, er wollte sagen es bedeute, daß einer ein allzu groß Herz habe oder zu viel Herz habe; wiewohl das auch noch nicht recht ist. Denn ‘Überfluß des Herzens’ ist kein Deutsch, so wenig als das Deutsch ist: Überfluß des Hauses, Überfluß des Kachelofens, Überfluß der Bank, sondern s o redet die Mutter im Haus und der gemeine Mann: Wes das Herz voll ist, des gehet der Mund über. Das heißt gutes Deutsch geredet, des ich mich beflissen und leider nicht allwege erreicht noch getroffen habe. Denn die lateinischen Buchstaben hindern über die Maßen sehr, gutes Deutsch zu reden“ (Sendbrief, S. 21f).

      Von LUTHERLuther stammt die BezeichnungBezeichnung „Verdeutschen“, mit der er sein Übersetzungsprinzip umreißt.2 Eine solche Übersetzung ist dann sinngemäß, „frei“. Natürlich kann eine solche Einstellung immer auch zu Fehlleistungen führen, wie das gängige Diktum „traductions – les belles infidèles“ andeutet.3Originals. Ausgangstext Dagegen wirkt eine Übersetzung, die sich wort„getreu“ an der FormForm der Vorlage orientiert, meist „verfremdend“, weil sie für den zielsprachlichen LeserLesers. Empfänger befremdlich, fremdartig wirkt; es ist nicht „seine Sprechweise“. Aus diesem Spannungsverhältnis ist das Bedürfnis nach der Festlegung gültiger Maximen des Übersetzens entstanden.

      Wie ein roter Faden zieht sich seither die Auseinandersetzung über die Methode der übersetzerischen Tätigkeit durch die Geschichte der ÜbersetzungstheorieÜbersetzungstheorie. Im deutschen Sprachraum hat sie sich in den beiden einander entgegenstehenden Grundforderungen nach „wörtlicher, getreuer, verfremdender Übersetzung“ einerseits und nach „freier, eindeutschender Übersetzung“ andererseits verdichtet. Schon Hieronymus beschrieb das Dilemma (Epistel, S. 2):

      Es ist schwierig, nicht irgend etwas einzubüßen, wenn man einem fremden Text Zeile für Zeile folgt, und es ist schwer zu erreichen, daß ein gelungener AusdruckAusdruck in einer anderen SpracheSprache dieselbe


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