Fach- und sprachintegrierter Unterricht an der Universität. Michael SchartЧитать онлайн книгу.
setzen sich die Studierenden mit dem Begriff Wohlstand auseinander. Sie untersuchen beispielsweise anhand des Glücksatlas der Deutschen Post die Faktoren für die Zufriedenheit bzw. Unzufriedenheit der Menschen mit ihrem Leben in unterschiedlichen Regionen Deutschlands. Sie entwickeln anschließend eigene Parameter für den Wohlstand eines Landes und recherchieren Informationen dazu. Auf dieser Grundlage vergleichen sie dann die Situation in Deutschland und Japan. Das auf diese Weise entstehende, vielschichtige Bild von Wohlstand bietet schließlich den Anknüpfungspunkt, um das Bruttoinlandsprodukt als gängiges Maß zu hinterfragen und sich gemeinsam in alternative Modelle von Wohlstandsindikatoren einzuarbeiten.
Die zweite Unterrichtssequenz hat einen juristischen Schwerpunkt. Sie nimmt ihren Ausgang an dem vom Grundgesetz geforderten Schutz der Würde des Menschen. Gemeinsam wird zunächst rekonstruiert, wie sich dieser in Institutionen und Gesetzen widerspiegelt. Als ein konkretes Beispiel kommen dann die gesetzlichen Vorgaben zum Pfänden ins Spiel. Dieses Gesetz ist aus zwei Gründen von besonderem Belang für die Zielgruppe. Zum einen wurde das entsprechende Regelwerk in Japan gegen Ende des 19. Jahrhunderts direkt aus dem Deutschen übersetzt. Es bietet sich daher an, diesen Übertragungsprozess zu beleuchten: An welchen Stellen wurde beispielsweise der Text variiert, um den kulturellen Besonderheiten Rechnung zu tragen? Zum anderen ist die Frage, welche Dinge einer Person gepfändet werden dürfen und welche nicht, ein ergiebiger Unterrichtsgegenstand für politische Bildung, weil sich das Gesetz über die vielen Jahrzehnte seines Bestehens hinweg beständig den gesellschaftlichen Entwicklungen anpassen musste. So reflektiert es kulturelle und technologische Veränderungen ebenso wie sich wandelnde ethische Urteile.
2.4.5 Umsetzung
In den bisherigen Ausführungen kam immer wieder das große Potenzial zur Sprache, das dem fach- und sprachintegrierten Unterricht im Hinblick auf die Förderung einer ganzen Reihe von Kompetenzen beigemessen wird. Auch auf empirische Erkenntnisse, die solche Hoffnungen zumindest teilweise rechtfertigen, konnte verwiesen werden. Gleichwohl besteht kein Anlass für überzogene Erwartungen. Didaktische Konzepte, so überzeugend und faszinierend sie auch wirken mögen, gewinnen ihre Kontur erst in der praktischen Umsetzung – und der unterrichtliche Alltag kann sich dabei zuweilen als äußerst widerspenstig erweisen. Für dieses Problem bietet auch der fach- und sprachintegrierte Unterricht durchaus Anschauungsmaterial.
Betrachtet man beispielsweise nur das Ausmaß, in dem sich bilinguale Zweige in den europäischen Schulsystemen seit den 1990er Jahren verbreiteten konnten, scheinen die oben erwähnten institutionellen Beharrungskräfte längst bezwungen. Blickt man hingegen in die unterrichtliche Praxis, bietet sich ein deutlich anderes Bild. Dort zeigt sich, was unweigerlich passiert, wenn hohe Erwartungen auf nicht weniger hohe Hürden treffen: das erhoffte Lernpotenzial schrumpft beträchtlich. So wird der bilinguale Unterricht entgegen aller theoretischen Entwürfe als stoff- und lehrerzentriert (Bonnett/Breitbach 2013:190) oder transmissionsorientiert (Coyle 2007:548) beschrieben. Empirische Untersuchungen illustrieren, wie durch die Gestaltung der Interaktion die Räume für selbstständiges Denken und Argumentieren verengt und Aushandlungsprozesse unter den Lernenden verhindert werden (Nikula et al. 2013:73ff; Dalton-Puffer 2007:253ff; Llinares et al. 2012:76). Es dominiert der triadische Dialog, also die beständige Abfolge von Impulsen der Lehrperson, auf die einzelnen Lernende mit eher wenig komplexen Äußerungen reagieren (auch IRE- bzw. IRF-Sequenz, recitation script, tryadic structur; Walsh 2011:17).
Ein „schlecht gemachtes fragend-entwickelndes Unterrichtsgespräch“ (Leisen 2015:132) beschneidet jedoch die Möglichkeiten des fach- und sprachintegrierten Unterrichts erheblich. Das ist vor allem auf die doppelte Herausforderung zurückzuführen, der sich die Lernenden gegenübersehen. Ihnen begegnen in solchen unterrichtlichen Settings fortwährend fachliche Konzepte in der Fremdsprache, die sie sich auch in der Muttersprache erst erschließen müssen. Und gerade diese Konzeptentwicklung kann durch ein diskursives Miteinander im Klassenraum unterstützt werden (vgl. Leisen 2015). Dafür müssen die Lernenden jedoch vielfältige Möglichkeiten erhalten, ihre Vorstellungen und ihr Vorwissen einzubringen, Hypothesen zu formulieren, ihre Ideen zu vergleichen oder zu hinterfragen und gemeinsam zu Lösungen zu kommen. Ein solcher Prozess der Bedeutungsaushandlung gilt daher als Motor der Kompetenzentwicklung in fach- und sprachintegrierten Unterrichtssettings (Donato 2016; Palmer/Ballinger/Peter 2014; siehe auch Kap. 2.6).
Die Planung fach- und sprachintegrierten Unterrichts darf sich demnach nicht darauf beschränken, relevante Inhalte auszuwählen und kohärent aneinander zu reihen. So wesentlich dieser erste Schritt auch ist: eine nicht weniger große Sorgfalt sollte in einem zweiten Schritt der Frage gelten, wie sich diese Inhalte in Verbindung mit Aktivitäten und Interaktionsformen zu herausfordernden Lernsituationen arrangieren lassen. Erst die Verbindung von substanziellen Themen mit angemessenen Aktivitäten ermöglicht es den Lernenden, mit der Fremdsprache zu experimentieren, Neues zu entdecken und nicht zuletzt: sinnvoll zu interagieren. Meine Ausführungen zur Unterrichtskonzeption haben an dieser Stelle daher nur eine Zwischenstation erreicht und richten sich den beiden folgenden Abschnitten auf die Gestaltung von Aufgaben und Interaktion.
2.5 Unterrichtskonzeption II: Die Aufgaben
“I find it impossible to imagine how one could have a contend-based course without tasks, because one has to do something with the content.” (Nunan 2017:130)
Auch das einleitende Zitat für diesen Abschnitt ist nur scheinbar trivial. Aus der Perspektive der Unterrichtspraxis betrachtet formuliert Nunan tatsächlich wohl nicht viel mehr als eine Binsenweisheit. Dass er es dennoch für notwendig erachtet, in einer aktuellen Publikation zum fach- und sprachintegrierten Unterricht auf die symbiotische Beziehung von Inhalten und Lernaktivitäten zu verweisen, wirft daher vor allem ein Licht auf die akademischen Diskussionen. Nunan thematisiert eine der zentralen Bruchlinien, von denen die Fremdsprachendidaktik durchzogen wird. Sie trennt zwei Forschungsbereiche voneinander, die eigentlich eng verbunden sein sollten. Da sind auf der einen Seite die Forschungen, die sich mit der inhaltlichen Dimension des Fremdsprachenunterrichts beschäftigen und denen sich Kap. 2.4 widmete. Auf der anderen Seite der Bruchlinie hat sich die empirische Aufgabenforschung eingerichtet.
Eine entscheidende Ursache für diese Aufspaltung liegt zweifellos in der zu eng gefassten Vorstellung davon, was eine Aufgabe im Fremdsprachenunterricht eigentlich leisten sollte. So definieren Samuda/Bygate (2008:67) sie als eine Herausforderung, die die sprachliche Entwicklung der Lernenden fördere. Weshalb ein solches, weit verbreitetes Verständnis von Aufgaben, das die inhaltliche Dimension ausklammert, zu kurzsichtig ist, möchte ich in diesem Abschnitt eingehender darstellen.
2.5.1 Probleme der Aufgabenforschung
Kritik an der aus unterrichtspraktischer Sicht kontraproduktiven Trennung von Aufgaben und Inhalten wurde in den zurückliegenden Jahrzehnten in vielfältiger Form geäußert. So verwies beispielsweise Snow, eine frühe Exponentin des Content-based Language Teaching, auf diese Problematik als sie bemängelte, dass die Methoden eine häufig vernachlässigte Komponente in inhaltsbasierten Programmen darstellten (Snow 1993:44). Und auch van Lier (z.B. 1996:205) mahnte in seinen Arbeiten an, Inhalte und Aufgaben als Einheit zu betrachten, weil nur so vermieden werden könne, dass ein an Inhalten orientierter Unterricht in Transmissionsprozesse abgleite.
In pädagogisch ausgerichteten Publikationen zum aufgabenbasierten Ansatz finden sich gleichfalls immer wieder Stimmen, die vor einseitiger Betonung entweder der inhaltlichen oder der methodischen Dimension warnen (z.B. Nunan 2009; Rösler 2006). Und gerade im deutschen Sprachraum lassen sich rückblickend vielfältige Initiativen ausmachen, die dem Auseinanderdriften der beiden Diskussionsstränge entgegenarbeiteten: etwa die Überlegungen von Piepho (2003) zu einer Szenariendidaktik oder Legutkes Anstöße zur Integration der Projektidee in die Fremdsprachendidaktik (Legukte/Thomas 2001; Legutke 2006, siehe auch Beckett 2005).
Weshalb die getrennte Betrachtung von Inhalten und Aktivitäten aus der Perspektive der Praxis so bedenklich erscheint, lässt sich gerade am Beispiel des Projektunterrichts sehr gut veranschaulichen. Natürlich blieb auch dieses Thema nicht frei von einseitigen Betrachtungen. So werden Projekte zuweilen auf die Abfolge bestimmter methodischer Schritte reduziert (vgl. die