Fach- und sprachintegrierter Unterricht an der Universität. Michael SchartЧитать онлайн книгу.
ausführlich diskutiert zu werden. Ich möchte mich hier auf die beiden zentralen Kritikpunkte an einer von Lehrenden in Eigenregie betriebene Forschung konzentrieren: Sie betreffen zum einen das methodische Vorgehen beim Forschungsprozess und zum anderen die Art des generierten Wissens.
Im Hinblick auf die wissenschaftlichen Gütekriterien ist die Kritik an der Aktionsforschung leicht nachvollziehbar. Daten zu sammeln und sie zu strukturieren, ergibt noch keine Wissenschaft, wie Greenwood (2002:136) treffend bemerkt. Wer einen bestimmten Wissenschaftsbereich mit neuen Erkenntnissen bereichern will, kommt nicht umhin, die Vorleistungen anderer Forscherinnen und Forscher zu rezipieren und sich mit den methodologischen und methodischen Gepflogenheiten des betreffenden Gebietes auseinanderzusetzen. Gütekriterien wie die Objektivität, verstanden als Distanz zum untersuchten Gegenstand, und die Validität, verstanden als Gültigkeit und Generalisierbarkeit der Ergebnisse, können dabei – je nach Fragestellung und Gegenstand – unerlässliche Qualitätskriterien darstellen.
Die Schwäche dieser Argumentation zeigt sich jedoch, sobald man die Beweggründe forschender Lehrerinnen und Lehrer in Augenschein nimmt. Einen Beitrag zur Wissenschaft zu leisten, gehört sicher nicht zu ihren dringlichsten Anliegen. Ihr Fokus ist vielmehr auf das eigene Arbeitsumfeld gerichtet. Der Versuch, persönliche Distanz zum Untersuchungsfeld zu schaffen, wäre somit geradezu kontraproduktiv. Und auch die Forderung nach generalisierbaren Erkenntnissen erscheint aus dieser Perspektive wenig zielführend. Ausschlaggebend ist letztlich, ob bzw. in welcher Weise der Forschungsprozess dazu beiträgt, die Praxis besser zu verstehen und sie weiterzuentwickeln.
Deshalb können forschende Lehrkräfte auch auf den zweiten der oben genannten Kritikpunkte – die Zweifel am Wert des generierten Wissens – mit Gelassenheit reagieren, liegt es doch im Wesen von Aktionsforschungsprojekten begründet, dass idiosynkratische Erkenntnisse entstehen. Eine enge Bindung des Wissens an einen lokalen Kontext erscheint unabdingbar und es ist für die Qualität solcher Unternehmungen vollkommen unerheblich, ob dabei der Stand des wissenschaftlichen Diskurses letztlich nur ein weiteres Mal bestätigt wird. Diese Sichtweise „demystifiziert“ (Bray et al. 2014) den akademischen Betrieb und stellt das traditionelle Prestigefälle zwischen Wissenschaft und Unterricht in Frage: eine nicht zu unterschätzende Triebkraft für das professionelle Selbstbewusstsein von Lehrenden.
Möglich wird diese Form von Aktionsforschung aber erst dadurch, dass Lehrende für ihre Untersuchungen auf Instrumente zur Datengewinnung und -analyse zurückgreifen können, die sie trotz ihrer vielfältigen Arbeitsaufgaben handhaben können. Prinzipiell steht ihnen zwar der gesamte Werkzeugkasten der empirischen Sozialforschung zur Verfügung, doch die begrenzten Ressourcen erfordern eine sehr genaue Abwägung von Aufwand und Nutzen. Und so sind in den letzten Jahren vielfältige alltagskompatible Ansätze von Aktionsforschung entstanden. Sie sollen Lehrende dabei unterstützen, die kritische Reflexion des eigenen Arbeitsumfeldes mit Evidenz anzureichern, ohne dafür einen wissenschaftlich fundierten und dementsprechend aufwändigen Forschungsprozess initiieren zu müssen. Zu solchen alltagskompatiblen Verfahren gelangt man beispielsweise, indem man übliche Lernaufgaben zugleich auch nutzt, um Daten über Lernprozesse zu gewinnen4, oder indem man Modelle bereitstellt, an denen sich Lehrende bei ihren Untersuchungen orientieren können5.
Sofern Lehrende ihre Aktionsforschung als eine Strategie der beruflichen Weiterentwicklung und der Verbesserung von Schule und Unterricht konzipieren, brauchen sie akademischen Qualitätsstandards nur sehr bedingt gerecht zu werden. Sie müssen weder generalisierbares Wissen anstreben noch sich punktgenau im wissenschaftlichen Diskurs verorten. Was in erster Linie zählt, ist die ökologische Validität des hervorgebrachten lokalen Wissens im Sinne der Bewährung im Unterrichtalltag. Der Frage, mit welcher Intention Lehrerinnen und Lehrer beginnen, ihr berufliches Umfeld systematischer in den Blick zu nehmen, und in welcher Rolle sie sich selbst dabei sehen, kommt somit eine maßgebliche Bedeutung zu. Diesem Punkt möchte ich mich daher genauer zuwenden.
2.2.3 Rollenfindung
Für mich als einen der Lehrer in all jenen Kursen, aus denen die Daten für dieses Forschungsprojekt stammen, nahm die Studie ihren Ausgang an der Reflexion des eigenen Unterrichts. Ich wollte wissen, inwiefern es mir gelingt, durch das Zusammenspiel von Aufgaben, Materialien und Lehrerhandeln Räume für dialogische Lernprozesse zu schaffen. Wie ich weiter unten (Kap. 2.6) noch ausführlicher beschreiben werde, ging es mir also darum, zu einem besseren Verständnis der interaktiven Prozesse im Klassenraum zu gelangen. Damit sind zunächst zwei zentrale Merkmale der Aktionsforschung angesprochen: die Studie setzt an Themen an, die sich unmittelbar aus der Unterrichtspraxis ergeben und sie wird von den betroffenen Lehrenden selbst konzipiert und durchgeführt. Meine Rolle verstand ich somit von Beginn als die eines forschenden Lehrers. Ich kann mich also im weiteren Textverlauf nicht als vermeintlich objektiver Beobachter hinter der Analyse eines Geschehens verbergen, an dessen Zustandekommen ich unmittelbar beteiligt war. Die persönliche Einbindung in die untersuchten Prozesse werde ich daher immer wieder thematisieren.
Eine weitere Besonderheit der Aktionsforschung liegt darin, dass sie auf langfristige Forschungszyklen setzt. Auch das trifft auf diese Arbeit zu, denn sie ist – wie im Detail noch zu zeigen sein wird – eng verknüpft mit weiteren Studien, die sich demselben Unterrichtskontext widmen. Als im Jahr 2003 mit der empirischen Erforschung des Intensivprogramms für Deutschlandstudien an der Juristischen Fakultät der Keio Universität Tokio begonnen wurde, geschah dies unter dem Leitbild der Nachhaltigkeit und in der Überzeugung, dass eine kontinuierliche Entwicklung von Curriculum und Unterrichtsgestaltung nur auf dem Fundament evidenzbasierter Entscheidungen möglich sein würde (siehe Kap. 3). Dass dieses Fundament durch unterschiedliche Perspektiven auf das Geschehen und methodische Herangehensweisen an Stabilität gewinnen würde, lag auf der Hand. Und so wurden von Beginn an kleinere Aktionsforschungsprojekte, die ich in einzelnen Lerngruppen durchführte, durch umfassendere Untersuchungen ergänzt, an denen auch andere Forschende teilnahmen.
Auch in der vorliegenden Studie war es daher ein naheliegender Schritt, nach Möglichkeiten zu suchen, weitere interne und externe Kolleginnen und Kollegen in den Forschungsprozess zu integrieren. In diesem Bestreben, verschiedene Sichtweisen einzubinden und das Projekt zugleich in der professionellen Gemeinschaft von Lehrenden zu verankern, spiegeln sich typische Eigenarten von Aktionsforschung. Zugleich führt diese Erweiterung jedoch auch dazu, dass der Charakter der Studie mit dem Begriff der Aktionsforschung nur unzureichend beschrieben werden kann. Da wir uns als Forschungsgruppe verstehen, die neben der kontinuierlichen Programmentwicklung auch einen Beitrag zum Wissensgenese in den Bereichen Deutsch als Fremdsprache bzw. in der Fremdsprachenforschung leisten möchte, weist unser Projekt ebenso einige Gemeinsamkeiten zum Konzept der Entwicklungsorientierten Forschung auf, was ich im Folgenden detaillierter begründen werde.
2.2.4 Entwicklungsorientierte Forschung
Es gibt eine Reihe guter Gründe dafür, weshalb sich die vorliegende Studie neben der Aktionsforschung zugleich auch der Entwicklungsorientierten Forschung1 zugerechnet werden kann. In der Fremdsprachenforschung der letzten Jahre trifft dieser Ansatz auf stetig wachsende Resonanz, was sich meines Erachtens auf die Hoffnung zurückführen lässt, endlich einen Weg gefunden zu haben, die oft beschriebene und viel kritisierte Kluft zwischen Theorie und Praxis zu überwinden. Die Entwicklungsorientierte Forschung verheißt somit dem akademischen Betrieb, seine Legitimation gegenüber der Praxis zu stärken.
Auch die Fachdidaktiken haben diesen Ansatz im Rahmen ihrer Bestrebungen, das forschende Lernen zu fördern, für sich entdeckt (z.B. unter der Bezeichnung „Fachdidaktische Entwicklungsforschung“, Prediger et al. 2012). Er wird als eine effektive Möglichkeit wahrgenommen, um Studierende mit dem Einsatz empirischer Methoden vertraut zu machen, die Herausbildung einer „forschenden Grundhaltung“ bei angehenden Lehrerinnen und Lehrern zu fördern (Wissenschaftsrat 2001, siehe auch Fichten 2017; Lehmann/Mieg 2018) und nicht zuletzt, um Brücken aus der Welt der Theorie in den unterrichtlichen Alltag zu schlagen (z.B. (Grünewald et al. 2014; Lindner/Mayerhofer 2017). Die wissenschaftlich reflektierte Auseinandersetzung mit dem Design von Praxis wird so zu einem wichtigen Element der Vorbereitung auf die künftige Berufstätigkeit, wodurch sich wiederum die Lehramtsausbildung ihrem Charakter nach anderen Professionswissenschaften wie etwa die Architektur oder