Fach- und sprachintegrierter Unterricht an der Universität. Michael SchartЧитать онлайн книгу.
dabei die Abgrenzung zur oben genannten Aktionsforschung leicht. Beide tragen zwar interventionistischen Charakter, aber letztere – so eine verbreitete Sichtweise – werde vornehmlich von Lehrenden selbst betrieben und kümmere sich um die Lösung vermeintlich kleinteiliger praktischer Probleme oder das Verstehen eng begrenzter Situationen (vgl. Bakker 2018:15). Die Entwicklungsorientierte Forschung tritt hingegen mit dem Anspruch auf, pädagogische Innovationen auf der Basis von Theoriewissen zu konzipieren und deren Umsetzung in der Unterrichtspraxis systematisch in einem iterativen Prozess zu untersuchen, um die Ergebnisse dann wieder in die wissenschaftliche Theoriebildung einspeisen zu können.
Ein erstes spezifisches Merkmal der Entwicklungsorientierten Forschung in der Fachdidaktik ergibt sich demnach aus der engen Verknüpfung von theoretischen und unterrichtspraktischen Aspekten. Im Unterschied zum experimentellen Zugang zu Lehr- und Lernprozessen, wie er beispielsweise von der psycholinguistischen Fremdsprachenforschung praktiziert wird, geht es nicht darum, die Faktorenvielfalt des Unterrichtsgeschehens auf laborähnliche Bedingungen zu reduzieren. Vielmehr akzeptiert die Entwicklungsorientierte Forschung die Komplexität gelebter Praxis und versucht, an deren Verbesserung mitzuwirken. Nicht das Überprüfen von Theorien steht im Fokus, sondern das Übersetzen von Theorien in einen konkreten unterrichtlichen Kontext. Als Ergebnis entstehen Ideen für die Entwicklung bzw. Weiterentwicklung unterrichtlicher Arrangements. Sie können zu neuen Materialien ebenso führen wie zu innovativen Lösungen für einzelne Unterrichtsaktivitäten oder komplette Programme. Immer jedoch wird die Intervention holistisch gedacht. Sie ergibt sich erst aus der Abwägung der im betreffenden Praxisumfeld wirkenden Faktoren und Interessen. In diesem Sinne muss sie als ein „Produkt eines Kontextes“ (Reimann 2005:63) gesehen werden. Die Qualität der Entwicklungsorientierten Forschung zeigt sich daher zunächst – und dabei deutliche Parallelen zur Aktionsforschung aufweisend – an der Innovationskraft der eingebrachten Ideen, der Nützlichkeit der Intervention und auch ihrer Nachhaltigkeit (Bakker/van Eerde 2015:6; Reinmann 2005).
Die zentrale Frage bei diesem Forschungsansatz ist somit, ob es den Handelnden tatsächlich gelingt, sich auf die Komplexität eines unterrichtlichen Kontextes einzulassen und erfolgreich Weiterentwicklungen in der Unterrichtspraxis anzustoßen. Dem steht die Gefahr entgegen, die Rolle des Interventionsdesigns überzubetonen, wie Richter/Allert (2017) anmerken. Denn das würde den Forschungsprozesses auf seine technologischen Aspekte verengen. Er empfiehlt daher als naheliegende Maßnahme, die Handelnden in der Praxis möglichst umfassend zu beteiligen, womit er freilich auf eine weitere Verbindungslinie zur Aktionsforschung verweist.
Das zweite spezifische Merkmal der Entwicklungsorientierten Forschung wird darin gesehen, dass die Akteurinnen und Akteure im folgenden Schritt auch die Verantwortung für ihre theoriebasierten Entwürfe übernehmen und der Frage nachgehen, welche Folgen sich aus diesen für den unterrichtlichen Alltag ergeben. Dafür steht ihnen die gesamte Palette der empirischen Verfahren zur Verfügung, denn die Entwicklungsorientierte Forschung versteht sich nicht als eine Forschungsmethode, sondern eher als ein forschungsmethodologischer Rahmen. Es wird ein iterativer Prozess in Gang gesetzt, um die Auswirkungen der Intervention gleichlaufend zu ihrer praktischen Umsetzung zu erfassen und auf der Grundlage datenbasierter Einsichten das Design immer wieder neu anzupassen. Die Unterschiede zur Aktionsforschung ergeben sich dabei wohl vor allem durch die Konsequenz, mit der die Instrumente empirischer Sozialforschung Anwendung finden und sind somit nicht grundsätzlicher, sondern allenfalls gradueller Natur.
Dass die Ergebnisse aus solchen praktischen Problemlösungen dann wiederum – vor allem in Form von Design-Prinzipien – in die Theoriebildung einfließen, macht das dritte spezifische Merkmal der Entwicklungsorientierten Forschung aus.2 Dieser Anspruch erzeugt jedoch ein Spannungsfeld zwischen der bereits genannten praktischen Relevanz als Gütekriterium und jenen Anforderungen, die an die Qualität wissenschaftlicher Theoriebildungsprozesse gestellt werden. Als Lösungsmöglichkeit bietet es sich an, die unterschiedlichen Perspektiven von Forschung und Praxis zum ersten anzuerkennen und zum zweiten zielgerichtet als Quelle für den Erkenntnisgewinn zu nutzen (Brahm/Jenert 2014:50). Mit ihrer Akzentuierung der Genese theoretischen Wissens hebt sich die Entwicklungsorientierte Forschung also zunächst deutlich von der Aktionsforschung ab, um sich ihr jedoch im nächsten Schritt gleich wieder anzunähern.
Diese Widersprüchlichkeit tritt auch an der Frage zu Tage, welche Reichweite die aus Entwicklungsorientierter Forschung resultierenden Theorien anstreben sollten. Während etwa Prediger (2018) den lokalen Charakter der Theorien erwähnt und damit – der Aktionsforschung gleich – die ökologische Validität betont, sehen andere Autorinnen und Autoren (z.B. Barab/Squire 2004; Collins et al. 2004; McKenney/Reeves 2012:8) den Wert dieses Vorgehens gerade in der externen Validität der Forschungsergebnisse. Sie verweisen auf das Potenzial, auch solche Theorien bzw. Gestaltungsprinzipien zu formulieren, die weit über den begrenzten Kontext hinausweisen, in dem sie entstanden sind.
Diese beiden Interpretationen zur Reichweite der Theoriebildung bei Entwicklungsorientierten Forschungsprojekten schließen sich bei genauerer Betrachtung allerdings nicht aus. Es muss vielmehr von einem Kontinuum an Möglichkeiten ausgegangen werden.3 Sie sind mithin eher ein Zeichen für die Variabilität des Ansatzes. Sowohl bei den Zielsetzungen als auch bei den Gegenständen und den beteiligten Personen bieten sich verschiedenartige Konstellationen an (Cobb et al. 2003:9f; van den Akker 2013:62ff).
So kann diese Art von Forschung beispielsweise eingesetzt werden, um theoretische Prinzipien in ein konkretes Umfeld zu überführen. Diese Variante findet sich beispielsweise dann, wenn – wie bereits eingangs dieses Kapitels erwähnt – Entwicklungsorientierte Forschung in die Ausbildung angehender Lehrender integriert wird (z.B. Gess et al. 2017; Grünewald et al. 2014; Prediger 2018). Der Ansatz erfüllt in solchen Fällen in erster Linie die Funktion, den Studierenden die Relevanz wissenschaftlicher Konzepte für Belange des Unterrichtsalltags näher zu bringen und damit ihren Professionalisierungsprozess zu unterstützen.
Eine ganz andere Situation ergibt sich, wenn es zu Kooperationen zwischen Akteuren aus der Wissenschaft und der schulischen Praxis kommt, wenn also Lehrende oder auch Schulverwaltungen nach Lösungen für ein bestehendes Problem in ihrem lokalen Kontext suchen und dabei auf akademische Expertise zurückgreifen (z.B. Sloane 2014:116). Nicht nur die Zielsetzung der Entwicklungsorientierten Forschung verschiebt sich dadurch, sondern vor allem auch die Rollenverteilung der Beteiligten. Dass letztlich die Definition der Rollen aller Beteiligten auch in der Entwicklungsorientierten Forschung ein entscheidendes Moment darstellt, wie Euler (2014b:20) hervorhebt, tritt an dieser Stelle besonders deutlich zum Vorschein. So spricht prinzipiell nichts dagegen, dass Lehrende diesen Forschungsansatz selbstverantwortlich anwenden, ohne zusätzlich externe Forschende als Experten hinzuzurufen. Gerade wenn sich die Untersuchung auf die Praxis des Hochschulunterrichts selbst bezieht, liegt diese Variante natürlich besonders nahe und sie wird im Bereich der Fremdsprachendidaktik der letzten Jahre auch zunehmend praktiziert (Aguado et al. 2013; Egbert et al. 2015; Hung 2017; Moreno/Kilpatrick 2018).
Allerdings verdeutlicht diese Tendenz auch einmal mehr, wie schwierig es ist, die Entwicklungsorientierte Forschung von der Aktionsforschung abzugrenzen.4 Für die vorliegende Studie lässt sich aus diesen Überlegungen der Schluss ziehen, dass sie an der Grenze dieser beiden Forschungsansätze anzusiedeln ist. Wie ich im vorangegangenen Abschnitt zeigte, folgt sie einerseits einem aktionsforschenden Impetus. Ich wollte als Lehrer der betreffenden Klassen in Erfahrung bringen, was eigentlich die Interaktion in meinem Unterricht ausmacht und welche typischen Muster sich erkennen lassen. Es ging also zunächst um das Verstehen, Erklären und Verbessern einer konkreten unterrichtlichen Situation. Andererseits untersucht dieses Forschungsprojekt aber nicht nur, was ist, sondern auch, was sein könnte, um eine prägnante Definition Entwicklungsorientierter Forschung von Schwartz et al. (2005:2) aufzugreifen. Damit schließt sie sich deren Anspruch an, auch Vorhersagen über Lehr- und Lernprozesse zu treffen und Designprinzipien zu formulieren (Bakker 2018:8).
Die Studie macht sich somit die Synergieeffekte nutzbar, die sich durch die Grenzgänge zwischen Forschungsansätzen ergeben. Den Prinzipien der Entwicklungsorientierten Forschung folgend, bindet sie Theorien an einen konkreten Kontext, sie beschreibt, wie auf dieser Basis Innovationen entwickelt wurden und begleitet deren Umsetzung aus verschiedenen Perspektiven. Die Untersuchung soll effektive praktische Lösungen für die Integration fachorientierter