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Sinclair Lewis: Die großen Romane . Sinclair LewisЧитать онлайн книгу.

Sinclair Lewis: Die großen Romane  - Sinclair Lewis


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dick aus, aber angenehm ländlich, als er, romantisch gestimmt, aus dem Fenster seines Pullmanwagens auf die Felder Virginiens hinaussah. »Ole Virginny – ole Virginny« summte er selig vor sich hin. Zäune, Negerhütten, feurige Pferde auf steinigen Weiden, Sehnsucht danach, den Landadel zu sehen, der solche Pferde ritt, und immer die blauen Berge. Es war eine ältere Welt als sein dürres Kansas, älter als das Mizpah-Seminar, und er verspürte den Wunsch, ein Glied des sagenhaften Geschlechts zu sein, dem Sharon angehörte. Dann, als die Meilen, die ihn noch von Broughton trennten, sich allmählich hinter ihn legten, vergaß er in den Gedanken an sie das Land mit seinen warmen Farben.

      Er besann sich darauf, daß sie Aristokratin war, um so mehr hier in der Gesellschaft der ihr befreundeten ersten Familien Virginiens. Er war ängstlicher als sonst … und stolzer als sonst auf seine Eroberung.

      Einen Augenblick lang, auf dem Bahnhof, dachte er, sie wäre ihn nicht abholen gekommen. Dann sah er ein Mädchen neben einem alten Landeinspänner stehen.

      Sie war jung, wirklich ein Mädchen, in tief ausgeschnittener Matrosenbluse, plissiertem weißem Rock, weißen Schuhen. Ihre rote Wollmütze war flott, mit einem ländlichen Lächeln winkte sie ihm zu. Und dieses Mädchen war Schwester Falconer.

      »Herrgott, Sie sind zum Anbeten!« murmelte er ihr zu, während er seinen Koffer fallen ließ; zart und weich war sie in seinen Armen, als er sie küßte.

      »Nicht mehr«, flüsterte sie. »Sie gelten als mein Vetter, und sogar sehr nette Vettern küssen nicht mit so viel Verständnis!«

      Während der Wagen über die Hügel holperte, während das Geschirr knarrte und das weiße Pferd schnaubte, hielt er ihre Hand leicht, in schmetterlinghafter Begeisterung.

      Beim Anblick von Hanning Hall schrie er leise auf, als sie zwischen dunklen Kiefern hindurch, über schäbige Grasflecken, zu dem glatten, abschüssigen Rasenplatz kamen. Es war wie aus einem Geschichtenbuch; ein Ziegelgebäude, nicht sehr groß, mit schlanken weißen Säulen, weißer Kuppel und kleinscheibigen Dachfenstern; drüben, hinter dem Rasen stolzierte ein Pfau in der Sonne umher. Aus einem Geschichtenbuch waren auch die zwei alten Neger, die sich auf der Veranda verbeugten und die Stufen hinuntereilten – der Hausmeister mit dem weißen Schnurrbart, der seinen Mund fast ganz umschloß, in grünem Schwalbenschwanzrock, und die Alte in grünem Kattun, mit einem ungeheueren Grinsen und einem theatralischem Knix.

      »Die haben immer für mich gesorgt, seitdem ich ein ganz kleines Baby war«, flüsterte Sharon. »Ich hab' sie lieb – ich hab' dieses liebe alte Fleckchen gern. Deshalb –« Sie zauderte, dann trotzig: »Deshalb hab' ich Sie hergebracht!«

      Der Hausmeister trug seinen Koffer hinauf und packte aus, während Elmer, gerührt, sanft glücklich, in dem alten Schlafzimmer umherging. Die Wände waren eine Reihe verblaßter Landschaftsbilder: Herrenhäuser hinter Ulmenalleen. Ein großes Himmelbett stand in der einen Ecke; die Seitenwände und der Sims des Kamins waren weiß glasiert; und auf den großen, von Generationen vergessener Füße polierten Eichendielen des Fußbodens lagen Teppiche aus den Tagen der Krinoline.

      »Herrgott, bin ich glücklich! Ich hab' heim gefunden!« seufzte Elmer.

      Als der Hausmeister gegangen war, sprang Elmer zum Fenster und sagte noch einmal: »Herrgott!« Im Wagen hatte er nicht gemerkt, daß sie so hoch gestiegen waren. Hinter gewellten Wiesen und Gehölzen schimmerte der Shenandoah-Fluß in der Nachmittagssonne.

      »Shen-an-doah!« sang er leise.

      Plötzlich kniete er am Fenster, und zum ersten Mal, seit er Jim Lefferts, dem Fußball und der fröhlichen Zotenreißerei entsagt hatte, war seine Seele frei von allem Niedrigen, das sie besudelt hatte – vom Rednerehrgeiz, den Gefühlsübertreibungen, den dürren Redensarten langweiliger Propheten, von Dogmen und falscher Frömmigkeit. Der gewundene, golden schimmernde Fluß zog ihn an sich, der Himmel hob ihn empor, und mit ausgestreckten Armen betete er um Erlösung vom Gebet.

      »Ich hab' sie gefunden. Sharon. Ach, ich werd' diese Evangelistenphrasendrescherei aufgeben. Schwachköpfe mit scheinheiligen Possen einfangen! Nein, bei Gott, ich will ehrlich sein! Ich werd' sie unter den Arm nehmen, hinausgehen und kämpfen. Geschäft. Siegen. Was Großes aufbauen. Und lachen, nicht heucheln und Kirchenmitgliedern die Hand drücken! Ich werd's tun!«

      Und damit war seine Rebellion auch zu Ende.

      Ein Nebel von Kompromissen verbarg ihm die Vision vom schönen Fluß … Wie konnte er sich von den Evangelistenkomödien fernhalten, wenn er Sharon haben wollte? Und Sharon zu haben, war der einzige Lebenszweck. Sie liebte ihre Meetings, sie würde nie von ihnen lassen, und ihn würde sie beherrschen. Und – er war begeistert von seiner eigenen Rhetorik.

      » Übrigens! Es ist doch 'ne Menge an diesem Religionszeug. Wir tun wirklich Gutes. Vielleicht foppen wir die Leute zu sehr in Rührung hinein, aber schmeißt sie das denn nicht aus ihrer gewohnten Bahn? Na, natürlich!«

      Er zog einen weißen Sweater mit hohem Kragenstück an und ging mit festem, selbstgefälligem Schritt hinunter, um Sharon aufzusuchen.

      Sie wartete im Flur, ganz hell und jung in Matrosenbluse und Mütze.

      »Wir wollen nichts Ernstes reden. Ich bin nicht Schwester Falconer – heute bin ich Sharon. Himmel, zu denken, daß ich mal vor fünftausend Leuten gesprochen hab'! Los! Wir laufen um die Wette den Hügel hinauf!«

      Der große Flur im Erdgeschoß, in dem traditionsgemäß Stahlstiche und ein Säbel aus dem Bürgerkrieg hingen, führte von der Vordertür, unter dem Treppenpodest hindurch, zum hinten gelegenen Garten, der noch im Schmuck roter Astern und goldgelber Zinnien stand.

      Sie flog durch den Flur, durch den Garten, an der steinernen Sonnenuhr vorbei und über das lange, dicke Gras zum Obstgarten, auf den sonnenbeschienenen Hügel; keine feierliche Juno jetzt, sondern eine Nymphe; er folgte ihr nach, schwer, anmutlos, aber unaufhaltsam vorwärtsstampfend; seine Gedanken beschäftigten sich weniger mit ihrer dahinfliehenden Schlankheit als mit der Tatsache, daß es mit seinem Atem entschieden besser geworden war, seitdem er zu rauchen aufgehört hatte – ganz entschieden bedeutend besser.

      »Sie können aber laufen!« sagte sie, als sie keuchend an einer Gartenmauer mit Spalierbirnen stehenblieb.

      »Und ob ich kann! Ich bin auch ein großer Fußballspieler, ein Bär im Sturm, meine junge Freundin!«

      Er hob sie auf, sie strampelte mit den Beinen und gestand widerwillig ihre Bewunderung ein: »Sie sind fürchterlich stark!«

      Aber dieser Tag stiller Oktobersonne war zu ruhig heiter für seine Ausgelassenheit, und friedlich stiegen sie den Hügel hinan, die ineinandergelegten Hände schwingend; friedlich redeten sie (er gab sich große Mühe, den der Falconerfamilie, einem alten Herrenhaus und schwarzen Ammen angemessenen Stil zu treffen) über die weltbedrohenden Gefahren der höheren Bibelkritik und E. O. Excells Genialität im Komponieren heiliger und doch packender Melodien.

      3

      Während er sich umzog, das heißt, während er sich mit dem braunen Anzug und einer schönen neuen Krawatte schmückte, machte Elmer sich Sorgen. Diese friedliche Vertraulichkeit war zu vollkommen. Irgend etwas würde sie stören. Sharon hatte etwas von Brüdern, von hochnasigen Tanten und Vettern erzählt, von einer Menge von Paten, und das Haus war geräumig genug, um an seinen Korridoren eine Schar Verwandter zu verbergen. Stand es ihm bevor, beim Dinner feindlich gesinnte Familienreliquien vorzufinden, die ihn anstieren, zum Reden verleiten und als Terwillinger-Provinzialen demütigen würden? Er sah schon die schweigenden Andeutungen in ihren leeren, matten Augen; er sah schon Sharon von dieser Verachtung gepackt, der ungewissen Bezauberung entrückt, die seine Frische und Dreistigkeit über sie geworfen hatte.

      »Verdammt!« sagte er. »Ich bin genau so gut wie die!«

      Langsam ging er die Treppen hinunter in den rührenden Salon mit den Nippes auf der Etagere – ein Porzellanpantoffel, ein aus schwarzem Nußbaum geschnitzter Hirsch, eine Muschel aus Madagaskar – mit dem verdorrten Schilf im Krug, dem alten Schreibpult, dem Spieltisch und einem freundlichen


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