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Sinclair Lewis: Die großen Romane . Sinclair LewisЧитать онлайн книгу.

Sinclair Lewis: Die großen Romane  - Sinclair Lewis


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alte Türmatte vom Eingang weg. Und zieh dir dein hübsches braunweißes Hemd an. Warum bist du so spät nach Haus gekommen? Hätt' es dir was geschadet, wenn du dich beeilt hättest? So, jetzt ist schon fast Essenszeit, und von diesen Teufeln ist recht gut zu erwarten, daß sie um sieben statt um acht Uhr kommen. Bitte, tummel dich!«

      Sie war so unvernünftig wie eine Dilettantin, die an einem Premierenabend eine Hauptrolle zu spielen hat, und er mußte klein beigeben. Als sie zum Essen hinunterkam, als sie in der Tür stand, riß er den Mund auf. Sie war in einem Silbergewand, einem Lilienkelch, ihr aufgetürmtes Haar sah aus wie schwarzes Glas; sie hatte die Zerbrechlichkeit und Köstlichkeit eines venezianischen Pokals; ihre Augen strahlten. Er war so erregt, daß er aufstand, um ihr den Stuhl zurechtzurücken; und während der ganzen Mahlzeit aß er sein Brot trocken, weil er das Gefühl hatte, sie würde ihn für gewöhnlich halten, wenn er sagte: »Möchtest du mir die Butter geben?«

      4

      Sie hatte gerade soviel Ruhe gewonnen, um sich keine Sorgen darüber zu machen, ob es ihren Gästen gefallen würde oder nicht, und um auf Beas Technik im Servieren zu vertrauen, da rief Kennicott vom Erkerfenster ins Wohnzimmer: »Da kommt schon wer!« und Herr und Frau Luke Dawson stolperten herein, um drei Viertel acht. Dann kam in einer schüchternen Lawine die ganze Aristokratie Gopher Prairies: alle, die studiert hatten, alle, die mehr als zweitausendfünfhundert Dollar im Jahr verdienten, und alle, deren Großeltern schon in Amerika geboren waren.

      Schon während sie die Überschuhe ablegten, besahen sie sich die neue Einrichtung. Carola sah, daß Dave Dyer die Goldkissen heimlich umdrehte, um einen Preiszettel zu finden, und hörte Herrn Julius Flickerbaugh, den Anwalt, hauchen: »Na da soll mich doch«, als er den Stich sah, der vor der japanischen Stickerei hing. Das amüsierte sie. Aber ihre gute Laune ließ nach, als sie ihre Gäste in langem, schweigendem, unbehaglichem Kreis rings im Wohnzimmer Parade machen sah. Sie hatte das Gefühl, durch einen Zauber in ihre erste Gesellschaft bei Sam Clark zurückgeschleudert zu sein.

      »Muß ich sie aufheben wie schwere Eisenklötze? Ich weiß nicht, ob ich sie glücklich machen kann, aber durcheinander werd' ich sie bringen.«

      Eine silberne Flamme in dem dunklen Kreis, wirbelte sie umher, lockte die Leute mit ihrem Lächeln, sang: »Ich will, daß meine Gesellschaft laut und nicht würdig ist! Das ist die Taufe meines Hauses, und ich möchte, daß Sie alle mir helfen, einen schlechten Einfluß darauf auszuüben, damit es ein lustiges Haus wird. Wollen Sie nicht alle mir zuliebe eine altmodische Quadrille tanzen? Herr Dyer wird kommandieren.«

      Sie legte eine Platte auf das Grammophon; Dave Dyer stellte sich in die Mitte des Zimmers, hager, klein, rotköpfig, spitznasig, klatschte in die Hände und rief: »Drehen – à la main gauche!«

      Sogar die millionenschweren Dawsons, Ezra Stowbody und ›Professor‹ George Edwin Mott tanzten und sahen nur ein klein wenig albern aus; im Zimmer umherflitzend, schüchtern und schmeichelnd zu allen Gästen über fünfundvierzig, konnte Carola einen Walzer und einen Virginia Reel zustande bringen. Als sie es ihnen aber überließ, sich auf ihre eigene Weise zu unterhalten, legte Harry Haydock einen Onestep auf, die jüngeren Leute kamen zu Wort, die älteren zogen sich zu ihren Stühlen zurück, mit einem erstarrten Lächeln, das heißen sollte: »Glaubt nur nicht, daß ich das selber probier' – aber ich schau' gern zu, wie die jungen Leute tanzen.«

      Zur Hälfte schwiegen sie; zur Hälfte nahmen sie ihre Nachmittagsunterhaltungen vom Laden wieder auf. Ezra Stowbody machte Anstrengungen, etwas zu sagen, verbarg ein Gähnen und fragte schließlich Lyman Cass, den Mühlenbesitzer: »Wie seid Ihr mit dem neuen Feuerkasten zufrieden, Lym? He? So.«

      »Ach, laß sie in Frieden. Setz' ihnen nicht zu. Es muß ihnen ja gefallen, sonst würden sie's nicht tun.« Carola verwarnte sich selbst. Aber sie sahen sie alle so erwartungsvoll an, wenn sie vorübertanzten, daß sie wieder zur Überzeugung kam, in ihrem Schwelgen in Wohlanständigkeit hätten sie die Kraft zum Spielen ebenso verloren wie die Kraft, an etwas anderes als Klatsch zu denken. Sogar die Tänzer wurden allmählich von der unsichtbaren Gewalt fünfzig vollkommen braver und negativer Geister erdrückt; Paar für Paar setzte sich. Nach zwanzig Minuten hatte die Gesellschaft wieder die Würde einer Gebetsversammlung erreicht.

      »Wir müssen etwas Lustiges machen«, rief Carola ihrer neuen Vertrauten, Vida Sherwin, zu. Sie bemerkte, daß ihre Worte in der zunehmenden Stille im ganzen Zimmer zu hören gewesen waren. Nat Hicks, Ella Stowbody und Dave Dyer waren geistesabwesend, ihre Finger und Lippen bewegten sich. Sie wußte mit Sicherheit, daß Dave Dyer seine »Nummer« vom Norweger, der die Henne fängt, probte, daß Ella die ersten Zeilen von »Meinem süßen Lieb« wiederholte, und daß Nat mit seiner beliebten Parodie auf Marc Antons Rede beschäftigt war.

      »Aber in meinem Haus soll niemand das Wort ›Nummer‹ aussprechen«, flüsterte sie Fräulein Sherwin zu.

      »Das ist gut. Ich will Ihnen was sagen: lassen Sie doch Raymond Wutherspoon singen.«

      »Raymie? Aber, meine Liebe, der ist doch der sentimentalste Winsler in der ganzen Stadt.«

      »Passen Sie auf, mein Kind! Sie haben sehr gesunde Ansichten übers Wohnungseinrichten, aber Ihre Ansichten über die Menschen sind miserabel. Freilich, Raymie wedelt mit dem Schweif. Aber der arme gute Kerl – er sehnt sich nach etwas, was er ›Ausdruck der Persönlichkeit‹ nennt, und hat doch nichts anderes gelernt als Schuhe verkaufen. Aber er kann singen. Und wenn er einmal die Bevormundung und den Spott Harry Haydocks los ist, wird er etwas Ausgezeichnetes anfangen.«

      Carola bat wegen ihrer Hochnäsigkeit um Entschuldigung. Sie forderte Raymie auf und warnte alle, die »Nummern« vorhatten: »Wir alle möchten gern, daß Sie singen, Herr Wutherspoon. Sie sind der einzige berühmte Künstler, der heute abend bei mir auftreten wird.«

      Während Raymie errötete und murmelte: »Ach, mich will doch kein Mensch hören«, räusperte er sich, zog sein sauberes Taschentuch etwas weiter aus der Brusttasche und steckte die Finger zwischen die Westenknöpfe.

      In ihrer Zuneigung für Raymies Beschützerin, in ihrem Wunsch, »künstlerisches Talent zu entdecken«, bereitete sich Carola darauf vor, von dem Vortrag entzückt zu sein.

      Raymie sang: »Fliege wie ein Vögelchen«, »Du bist mein Täubchen« und »Wenn das Schwälbchen aus dem Nestchen fliegt«, alles mit einem ziemlich schlechten Kirchentenor.

      Nach dem dritten ornithologischen Liedchen richtete Fräulein Sherwin sich aus ihrer Attitüde visionärer Begeisterung auf und hauchte Carola zu: »Mein Gott! Das war reizend! Natürlich hat Raymond keine besonders gute Stimme, aber finden Sie nicht auch, daß er so viel Gefühl hineinlegt?«

      Carola log entschlossen und großartig, doch ohne alle Originalität: »O ja, ich glaube, er hat sehr viel Gefühl!«

      Sie sah, daß die Zuhörer nach der Anstrengung, auf gebildete Weise zuzuhören, zusammengebrochen waren und ihre letzte Hoffnung darauf, sich zu unterhalten, aufgegeben hatten. Sie rief: »Jetzt wollen wir ein blödsinniges Spiel spielen, das ich in Chicago gelernt habe. Zunächst müssen Sie sich alle die Schuhe ausziehen. Und dann werden Sie sich wahrscheinlich die Beine und die Rippen brechen.«

      Große Aufmerksamkeit und Erstaunen. Einige Augenbrauen verkündeten das Urteil, Doktor Kennicotts junge Frau sei laut und unpassend.

      »Die beiden Schlechtesten, Juanita Haydock und ich, sollen die Schäfer sein. Alle andern sind Wölfe. Ihre Schuhe sind die Schafe. Die Wölfe gehen hinaus ins Vorzimmer. Die Schäfer verstreuen die Schuhe hier im Zimmer, dann machen sie alles finster, und die Wölfe kriechen vom Vorzimmer herein und versuchen im Finsteren, den Schäfern die Schuhe wegzunehmen – die Schäfer dürfen alles tun, nur nicht beißen und Totschläger benützen. Die Wölfe werfen die eroberten Schuhe ins Vorzimmer hinaus. Alle müssen mitmachen! Los! Schuhe runter!«

      Einer sah den anderen an, alle warteten darauf, daß jemand den Anfang mache.

      Carola schleuderte ihre Silberpumps ab und ignorierte die allgemeinen Blicke auf ihre Fesseln. Die verlegene, aber getreue Vida Sherwin knöpfte sich die hohen


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