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Sinclair Lewis: Die großen Romane . Sinclair LewisЧитать онлайн книгу.

Sinclair Lewis: Die großen Romane  - Sinclair Lewis


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Austen, George Eliot, Scott, Hardy, Lamb, De Quincy und Frau Humphry Ward, die, wie es den Anschein hatte, die Verfasser der belletristischen und essayistischen Literatur Englands waren.

      Erst als sie den Warteraum sah, wurde sie wieder Fanatikerin. Sie hatte oft einen Blick auf das Speichergebäude geworfen, das man in einen Raum verwandelt hatte, wo die Bauernfrauen warten konnten, während ihre Männer die Geschäfte durchführten.

      Sie hatte Vida Sherwin und Frau Warren ein Loblied darauf singen hören, daß der Thanatopsisklub so tugendhaft gewesen war, den Warteraum einzurichten, und sich mit dem Stadtrat in die Unterhaltungskosten teilte. Doch bis zu diesem Märztag war sie nie hineingekommen.

      Sie hörte der Wirtschafterin, einer rundlichen Witwe namens Nodelquist zu, die ihr erzählte, wieviele Tausende von Bauernfrauen alljährlich in das Wartezimmer kämen, und wie sehr sie »für die Freundlichkeit der Damen, ihnen dieses hübsche Lokal zur Verfügung zu stellen, und ganz umsonst«, dankbar seien, und dachte dabei: »Unsinn, Freundlichkeit! Die Männer der freundlichen Damen machen mit den Farmern Geschäfte. Das ist nur kaufmännisch gedacht. Und hier ist es schrecklich. Das müßte der entzückendste Raum in der Stadt sein, damit die Frauen, die die Prärie satt haben, sich behaglich fühlen. Vor allem gehörte ein großes Fenster her, damit sie das Stadtleben sehen können. Ich werde schon eines Tages einen besseren Warteraum einrichten, einen Klubraum. Es gehört ja auch zu meinem neuen Rathaus.«

      Am nächsten Nachmittag überfiel sie Frau Lyman Cass, die hochnäsige Frau des Mühlenbesitzers.

      Frau Cass' Wohnzimmer war im überladenen victorianischen Stil gehalten (so wie Frau Luke Dawsons im kahlen victorianischen Stil). Es war nach zwei Grundsätzen eingerichtet: erstens, jeder Gegenstand muß nach etwas anderem aussehen. Ein Schaukelstuhl hatte einen Rücken wie eine Lyra, einen Sitz aus kunstvoll imitiertem Leder, der wie aufgerauhtes Tuch wirken sollte, und Lehnen wie die Löwen der schottischen Presbyterianer, mit Knöpfen, Schrauben, Schildchen und Lanzenspitzen an Teilen des Stuhles, wo man sie am wenigsten erwartete. Der zweite Grundsatz dieses Stils war, daß jeder Zoll im Zimmer mit überflüssigen Gegenständen bedeckt sein müsse.

      Die Wände in Frau Cass' Wohnzimmer waren gepflastert mit »handgemalten Bildern«, mit Bildern von Birken, Zeitungsjungen, jungen Hunden und weihnachtlichen Kirchtürmen; mit einer Porzellanplakette, auf der das Ausstellungsgebäude in Minneapolis zu sehen war, mit in Brandmalerei ausgeführten Porträts von Indianerhäuptlingen, die keinem bestimmten Stamm angehörten, einem stiefmütterchenverzierten Motto, mit einem Rosengarten und den Flaggen der Erziehungsinstitute, welche die beiden Söhne der Familie Cass besuchten – das Handelscollege in Chicopee Falls und die Mc Gillicuddy-Universität. Auf einem kleinen viereckigen Tisch waren ein Kartenbehälter aus bemaltem Porzellan mit einem Ornamentenrand aus vergoldetem Blei, eine Familienbibel, die Memoiren des Generals Grant, der letzte Roman von Frau Gene Stratton Porter, das Holzmodell eines Schweizerhäuschens, das auch als Sparbüchse für Zehncentstücke diente, eine polierte Muschel, in der eine Stecknadel mit schwarzem Kopf und eine leere Spule lagen, ein samtenes Nadelkissen in einem vergoldeten Metallpantoffel, dessen Spitze den Stempel »Erinnerung aus Troy, N. Y.« trug, und eine unerklärliche rote Glasschale, die Warzen hatte.

      Frau Cass' erste Worte waren: »Ich muß Ihnen alle meine hübschen Sachen und Kunstgegenstände zeigen.«

      Als Carola sich alles vom Herzen geredet hatte, flötete Frau Cass:

      »Ich verstehe. Sie halten die neuenglischen Dörfer und die Häuser im Kolonialstil für viel hübscher als diese Städte im Mittelwesten. Es freut mich, daß Sie so denken. Es wird Sie interessieren, daß ich in Vermont geboren bin.«

      »Und glauben Sie nicht, daß wir versuchen sollten, aus Gopher Prai –«

      »Du Grundgütiger, nein! Wir können uns das nicht leisten! Die Steuern sind schon jetzt zu hoch. Wir müssen sparen und den Stadtrat nicht einen Cent mehr ausgeben lassen. Äh – Finden Sie nicht, daß der Vortrag von Frau Westlake über Tolstoi großartig war? Ich hab' mich so gefreut, daß sie gezeigt hat, wie er mit allen seinen dummen sozialistischen Ideen nichts ausgerichtet hat.«

      Was Frau Cass gesagt hatte, wiederholte Kennicott an diesem Abend. Auch nicht in zwanzig Jahren werde der Stadtrat die Finanzierung für ein neues Rathaus vorschlagen, noch Gopher Prairie dafür stimmen.

      5

      Carola hatte es vermieden, Vida Sherwin ihre Pläne zu verraten. Sie hatte Angst vor ihrer bemutternden Art; Vida würde sie entweder auslachen oder den Gedanken aufgreifen und ummodeln, bis er ihr paßte. Aber es gab keine andere Hoffnung. Als Vida zum Tee kam, skizzierte ihr Carola ihre Utopie.

      Vida war freundlich, aber entschieden:

      »Meine Liebe, Sie haben ganz unrecht. Ich würde es gerne sehen: einen schönen Ort mit Gärten, die die Stürme abhalten. Aber es läßt sich nicht machen. Was könnten die Klubdamen erreichen?«

      »Ihre Männer sind die wichtigsten Leute in der Stadt. Sie sind überhaupt die Stadt!«

      »Aber die Stadt als Ganzes für sich ist nicht der Mann vom Thantatopsisklub. Wenn Sie wüßten, wieviel Ärger wir gehabt haben, bis wir den Stadtrat soweit bringen konnten, daß er das Geld für die Weinspaliere am Pumpenhaus ausgeworfen hat! Sie können von den Frauen in Gopher Prairie denken, was Sie wollen, aber sie sind doppelt so fortschrittlich wie die Männer.«

      »Aber können sie nicht die Männer dazu bringen, daß sie sehen, wie häßlich die Stadt ist?«

      »Sie halten die Stadt nicht für häßlich. Und wie könnte man ihnen das beweisen? Das ist Geschmackssache! Und warum sollte ihnen gefallen, was einem Bostoner Architekten gefällt?«

      »Was ihnen gefällt, ist der Handel mit Pflaumen!«

      »Na ja, warum nicht? Auf jeden Fall handelt es sich darum, daß man von innen heraus arbeiten muß, mit dem, was wir haben, und nicht von außen, mit fremden Ideen. Die Schale darf nicht dem Geist aufgedrängt werden. Das ist unmöglich! Die leuchtende Schale muß aus dem Geist herauswachsen und ihn ausdrücken. Das heißt Geduld haben. Wenn wir den Stadtrat noch weitere zehn Jahre bearbeiten, dann wird er vielleicht die Mittel für eine neue Schule bewilligen.«

      »Ich weigere mich zu glauben, daß die großmächtigen Männer, wenn sie es nur einsähen, zu geizig sein würden, um je ein paar Dollars für den Bau eines Hauses herzugeben – bedenken Sie doch! – Bälle und Vorlesungen und Theatervorstellungen, alles aus genossenschaftlichen Beiträgen!«

      »Sprechen Sie vor den Kaufleuten das Wort ›genossenschaftlich‹ aus, und Sie werden gelyncht! Sie fürchten nur eines mehr als Postbestellfirmen, und das ist die Möglichkeit, daß die Farmer genossenschaftliche Schritte unternehmen könnten.«

      »Die heimlichen Spuren, die zu ängstlichen Brieftaschen führen. Immer! In allem! Ich bin mit Mauern von Dummheit umgeben. Ach, ich weiß, ich bin ein Narr. Ich träume von Venedig, und ich lebe in Archangelsk und schimpfe darüber, daß die nordischen Meere keine zarten Farben haben. Aber wenigstens sollen sie mich nicht daran hindern, Venedig lieb zu haben, und einmal werde ich durchbrennen – Erledigt. Schluß.«

      Mit einer verzichtenden Gebärde streckte sie die Arme aus.

      6

      Anfang Mai; der Weizen schoß in Halmen hoch wie Gras; Mais und Kartoffeln wurden gepflanzt. Das Land summte. Zwei Tage lang hatte es geregnet. Auch innerhalb der Ortschaft waren die Straßen ein gefurchtes Schlamm-Meer, häßlich anzusehen und schwer zu überschreiten. Die Hauptstraße war von Randstein zu Randstein ein schwarzer Sumpf; in den Wohnstraßen triefte das neben den Bürgersteigen hervorsprießende Gras von grauem Wasser. Es war stechend heiß, ein düsterer Himmel drückte auf die Stadt.

      Als Carola sich heimschleppte, blickte sie mit Ekel auf ihre schmutzverschmierten Galoschen, den bespritzten Saum ihres Rocks. Sie durchwatete eine gelbe Pfütze. In diesem Sumpf war sie nicht zu Hause, dachte sie. Ihre Heimat und ihre schöne Stadt, die existierten in ihrer Phantasie. Sie waren bereits geschaffen. Die Aufgabe


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