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Sinclair Lewis: Die großen Romane . Sinclair LewisЧитать онлайн книгу.

Sinclair Lewis: Die großen Romane  - Sinclair Lewis


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von Mützen reden, hab' ich euch schon erzählt, was ich mit Will für 'nen Spaß gehabt hab'? Der Doktor da glaubt, daß er 'n ganz guter Fahrer ist, wirklich, er glaubt, daß er fast 'nen Menschenverstand hat, aber einmal war er mit seinem Wagen im Regen draußen, und das arme Huhn hat nicht mal Ketten angelegt gehabt, und da hab' ich gedacht –«

      Carola hatte die Geschichte ziemlich oft gehört. Sie floh zu den Tänzern zurück, und bei Dave Dyers Meisterstreich – er steckte Frau McGanum einen Eiszapfen in den Rücken – applaudierte sie wie hysterisch.

      Sie saßen auf dem Fußboden und verschlangen das Essen. Die Männer kicherten freundlich, wenn sie die Whiskyflasche weiterreichten, und lachten: »Das ist wirklich tüchtig!« als Juanita Haydock einen Schluck nahm. Carola wollte ihr nachahmen; sie glaubte, sie habe den Wunsch, sich zu betrinken und ausgelassen zu werden; aber der Whisky erstickte sie, und als sie Kennicott die Stirn runzeln sah, gab sie die Flasche reuig weiter. Etwas zu spät fiel ihr ein, daß sie nicht mehr brave Ehefrau sein und nicht mehr bereuen wollte.

      »Stellen wir Scharaden!« sagte Raymie Wutherspoon.

      »O ja, das wollen wir«, sagte Ella Stowbody.

      »Das ist fein«, rief Harry Haydock.

      Sie vergaßen, daß sie wohlgesittet waren. Sie heuchelten; nach der ersten Scharade war Carola so angeregt, daß sie rief:

      »Gründen wir einen Theaterklub und machen wir eine Aufführung, ja? Es ist heute abend so lustig gewesen!«

      Alle zeigten freundliche Mienen.

      »Freilich«, sagte Sam Clark.

      »Ach ja, das wollen wir! Es wäre doch entzückend, ›Romeo und Julia‹ aufzuführen!« schmachtete Ella Stowbody.

      »Das wäre ein Heidenspaß«, rief Dr. Terry Gould.

      »Aber wenn wir das tun,« sagte Carola vorsichtig, »dürfen wir nicht so albern sein, lauter Dilettantenaufführungen zu machen. Wir müssen selbst die Dekorationen malen und wirklich was Schönes leisten. Es würde viel schwere Arbeit geben. Was meinen Sie, würden Sie – würden wir alle pünktlich zu den Proben kommen?«

      »Klar!«, »Freilich«, »Na selbstverständlich«, »Bei Proben muß man doch pünktlich sein«, riefen alle.

      »Dann wollen wir in der nächsten Woche zusammenkommen und die Theatergesellschaft Gopher Prairie gründen!« jubelte Carola.

      Als sie heimfuhr, liebte sie diese Freunde, die durch den mondbeschienenen Schnee liefen, lustige Bohemiengesellschaften hatten und Schönheit auf dem Theater schaffen wollten. Alles war gelöst. Sie würde wirklich in der Stadt aufgehen und doch der Lähmung durch den Dorfbazillus entrinnen … Sie würde von Kennicott wieder frei sein, ohne ihm weh zu tun, ohne daß er es wüßte.

      Der Mond stand jetzt hoch und war klein.

      2

      Obgleich sie alle überzeugt gewesen waren, daß sie sich nach dem Vorrecht sehnten, Komiteesitzungen und Proben beizuwohnen, bestand die Theatergesellschaft in ihrer endgültigen Zusammensetzung nur aus Kennicott, Carola, Guy Pollock, Vida Sherwin, Ella Stowbody, den Harry Haydocks, den Dave Dyers, Raymie Wutherspoon, Dr. Terry Gould und vier neuen Kandidaten: der koketten Rita Simons, Dr. und Frau Harvey Dillon, und Myrtle Cass, einem neunzehnjährigen Mädchen, das sich mehr durch Eifer als durch Anmut auszeichnete. Von diesen fünfzehn erschienen nur sieben bei der ersten Zusammenkunft. Die übrigen telephonierten ihr unvergleichliches Bedauern über ihre Abhaltungen und Krankheiten und teilten mit, daß sie zu allen anderen Zusammenkünften in aller Ewigkeit kommen würden.

      Carola wurde zur Vorsitzenden und Geschäftsführerin erwählt.

      Sie hatte die Dillons gebracht. Trotz Kennicotts Vermutung waren der Zahnarzt und seine Frau von den Westlakes nicht aufgenommen worden, sie waren ebenso außerhalb der wirklich eleganten Gesellschaft geblieben wie Willis Woodford, der in Stowbodys Bank Hilfskassierer, Buchhalter und Pförtner war. Carola hatte während einer Bridgepartie bei der Lustigen Siebzehn einmal beobachtet, daß Frau Dillon am Haus vorbeikam und in schmerzlicher Sehnsucht zum Glanz der Aufgenommenen hinaufgeblickt hatte. Daraufhin lud sie die Dillons zur Sitzung des Theatervereins ein, und als Kennicott grob zu ihnen war, legte sie besondere Herzlichkeit an den Tag und kam sich tugendhaft vor.

      Das half ihr darüber hinweg, daß so wenige zur Zusammenkunft erschienen waren, und daß Raymie Wutherspoon immer wiederholte: »Das Theater muß gefördert werden« und: »Ich glaube, in einigen Stücken sind große Lehren«.

      Ella Stowbody, die vom Fach war, weil sie in Milwaukee die Sprechkunst studiert hatte, war mit Carolas Begeisterung für neue Stücke nicht einverstanden. Fräulein Stowbody sprach das Grundprinzip des amerikanischen Theaters aus: die einzige Möglichkeit, künstlerisch zu sein, besteht darin, daß man Shakespeare spielt. Als kein Mensch auf sie hörte, lehnte sie sich zurück und setzte eine Lady Macbeth-Miene auf.

      3

      Die Kleinbühnen, die drei bis vier Jahre später das amerikanische Theater beleben sollten, waren noch im Embryonalzustand. Doch Carola ahnte diesen bevorstehenden Umsturz voraus. Sie wußte aus einem vereinzelten Magazinartikel, daß es in Dublin Neuerer gab, die sich »The Irish Players« nannten. Sie hatte verworrene Kenntnis davon, daß ein Mann namens Gordon Craig Dekorationen gemalt hatte – oder hatte er Stücke geschrieben? In einer Zeitung aus Minneapolis fiel ihr ein Inserat in die Augen:

      Die Kosmos-Schule für Musik, Sprechkunst und Theater. Nächstes Programm: Vier Einakter von Schnitzler, Shaw, Yeats und Lord Dunsany.

      Da mußte sie dabei sein! Sie bat Kennicott, mit ihr »einen Sprung in die Stadt« zu machen.

      »Na, ich weiß nicht. Es wär' ja ganz nett, sich 'ne Vorstellung anzusehen, aber, verdammt noch mal, warum willst du denn die dummen ausländischen Stücke sehen, die da von Dilettanten gespielt werden? Warum willst du nicht auf 'n richtiges Stück warten? Es kommen bald paar blendende Sachen: ›Lottie von der Schießfarm‹ und ›Polizei und Verbrecher‹, richtige Broadwaysachen mit der New Yorker Besetzung. Was ist denn der Schmarrn, den du sehen möchtest? Hm. ›Wie er ihren Mann belog‹. Das klingt nicht schlecht. Scheint pikant zu sein. Und, äh, na ja, da könnt' ich ja auch in die Automobilausstellung gehen. Das neue Hupmobil-Modell würd' ich mir gern ansehen. Schön –«

      Ob ihn das Theater oder die Automobilausstellung zum Entschluß brachte, erfuhr sie nicht.

      Kennicott ging herum und ließ nebenbei durchblicken, daß er »'nen Sprung in die Stadt machen und sich ein bißchen Theater ansehen wollte.«

      Während der Zug über die graue Prärie keuchte, an einem windlosen Tag, an dem der Rauch von der Maschine in ungeheuren Schwaden über den Feldern hing und ihre Schneedecke verhüllte, sah sie nicht ein Mal aus dem Fenster. Sie hatte die Augen geschlossen und summte vor sich hin, ohne zu wissen, daß sie summte.

      Sie war die junge Dichterin, die sich den Ruhm und Paris erobern wollte.

      Auf dem Bahnhof in Minneapolis verwirrten sie die Mengen von Holzfällern, Farmern und schwedischen Familien mit zahllosen Kindern, Großeltern und Papierpaketen, das Durcheinander und der Lärm machten sie fassungslos. In dieser ihr einst so vertrauten Stadt kam sie sich provinziell vor, nach eineinhalb Jahren in Gopher Prairie. Sie war überzeugt, daß Kennicott in die falsche Elektrische stieg. In der Dämmerung sahen die Flaschenspeicher, die jüdischen Kleiderläden und die Pensionshäuser in der unteren Hennepin Avenue verräuchert, scheußlich und verdrossen aus. Der Lärm und das Rütteln in der Stunde des Hauptverkehrs betäubten sie. Als ein Kommis in einem Paletot, der in der Taille zu eng geschnitten war, sie anstarrte, drängte sie sich näher an Kennicotts Arm. Der Kommis war eingebildet und städtisch. Er war ihr überlegen, war diesen Tumult gewohnt. Lachte er über sie?

      Einen Augenblick lang sehnte sie sich nach dem sicheren Frieden Gopher Prairies.

      In der Hotelhalle war sie verlegen. Sie war nicht an Hotels gewöhnt; voll Eifersucht dachte sie


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