Sinclair Lewis: Die großen Romane . Sinclair LewisЧитать онлайн книгу.
einer Liebe abgetan hat, sah Carola, daß er ein Fremder war. Sie sah, daß er nie etwas anderes gewesen war als ein Gestell, das sie mit schimmernden Gewändern behängte. Wenn sie zugegeben hatte, daß er ihr schüchtern den Hof machte, so war das nicht deshalb, weil ihr etwas daran lag, sondern weil ihr nichts daran lag, weil es ihr gleichgültig war.
Sie lächelte ihm mit dem aufreizenden Takt einer Frau zu, die einem Flirt ein Ende macht; mit einem Lächeln, das wie ein leichter Schlag auf den Arm war. Sie seufzte: »Es ist sehr lieb von Ihnen, daß Sie sich meine eingebildeten Sorgen von mir erzählen lassen.« Sie sprang auf und rief; »Sollen wir den Röstmais jetzt zu ihnen hineinbringen?«
Guy blickte ihr trostlos nach.
Während sie Vida und Kennicott aufzog, wiederholte sie sich: »Ich muß weiterarbeiten.«
5
Miles Bjornstam, der Paria und »Rote Schwede« hatte seine Kreissäge und kleine Gasolinmaschine ins Haus gebracht, um die Pappelholzklötze für den Küchenherd zu schneiden. Den Auftrag hatte Kennicott gegeben; Carola wußte nichts davon, bis sie das Klingen der Säge hörte, aus dem Fenster sah und Bjornstam erblickte, der, in schwarzer Lederjacke, mit ungeheuren zerrissenen, roten Fäustlingen, Holzstücke gegen das wirbelnde Sägeblatt drückte und die geschnittenen Stücke auf einen Haufen warf. Das Singen der Säge steigerte sich, bis es klang wie das Gellen einer Feueralarmsirene in der Nacht, aber immer wieder gab es dann ein munteres metallisches Klingen, und in der Stille hörte sie das Poltern, mit dem das abgeschnittene Stück auf den Stapel fiel.
Sie warf einen Automobilmantel über und lief hinaus. Bjornstam begrüßte sie: »Ja, ja, ja! Da haben wir den alten Miles, frisch wie immer. Na also, es stimmt schon alles; er hat noch nicht einmal angefangen, frech zu werden; im nächsten Sommer wird er Sie auf seinen Pferdehandeltrip nach Idaho mitnehmen.«
»Ja, und vielleicht komm' ich auch mit!«
»Was ist denn los? Schon wild auf die Stadt?«
»Nein, aber wahrscheinlich werde ich es einmal sein.«
»Lassen Sie sich nicht unterkriegen. Immer 'nen Schlag ins Gesicht!«
Er unterhielt sich laut mit ihr, während er weiterarbeitete. Der Holzstapel wuchs erstaunlich rasch. Die helle Rinde des Pappelholzes war mit salbeigrünen und schmutziggrauen Flechten gesprenkelt; die frisch gesägten Enden leuchteten. In die unfruchtbare Winterluft brachte das Holz einen Duft von Märztrieben.
Kennicott telephonierte, er müsse über Land. Bjornstam war zu Mittag mit seiner Arbeit noch nicht fertig, sie forderte ihn auf, mit Bea in der Küche zu essen. Gern wäre sie selbständig genug gewesen, um zusammen mit ihnen zu essen. Sie dachte an die Freundlichkeit der beiden, sie lachte höhnisch über »soziale Unterschiede«, sie tobte über ihre eigenen Tabugesetze – sie betrachtete die beiden weiter als Untergebene und sich als Herrin. Sie saß im Eßzimmer und hörte durch die Tür Bjornstam polternd erzählen und Bea kichern. Sie kam sich nur um so lächerlicher vor, wenn sie daran dachte, daß sie, sobald sie zeremoniell allein gegessen hätte, in die Küche hinausgehen, sich an den Ausguß lehnen und mit ihnen sprechen könnte.
Sie fühlten sich zueinander hingezogen: ein schwedischer Othello und eine schwedische Desdemona, nützlicher und liebenswürdiger als ihre Vorbilder. Bjornstam erzählte von seinen Heldentaten: vom Pferdehandel in einem Bergarbeiterlager in Montana, wie er ein festgefahrenes Floß wieder freigemacht hatte, wie er mit einem »ganzen Kerl« von Holzmillionär unverschämt gewesen war. Bea gluckste: »Ach, Herrjeses, nein!« und füllte ihm immer wieder die Kaffeetasse.
Er ließ sich Zeit mit seiner Arbeit. Er mußte häufig in die Küche gehen, um sich zu wärmen. Carola hörte, wie er zu Bea sagte: »Sie sind ein verdammt nettes Schwedenmädel. Ich glaub', wenn ich 'ne Frau hätte wie Sie, wär' ich nicht so 'n Brummschädel. Herrgott, ist Ihre Küche sauber; 'n alter Junggeselle kommt sich da ganz verschlampt vor. Wissen Sie, hübsches Haar haben Sie. Ha? Ich frech? Meine Liebe, wenn ich frech werd', dann merken Sie's schon. Ich könnt' Sie ja mit einem Finger aufheben und in der Luft halten, bis Sie den ganzen Robert J. Ingersoll ausgelesen haben. Ingersoll? Ach, das ist 'n frommer Schriftsteller. Klar. Würde Ihnen ausgezeichnet gefallen.«
Als er ging, winkte er Bea; und Carola, die einsam an ihrem Fenster oben war, beneidete die beiden um ihr Idyll.
»Und ich – Aber ich will weiterarbeiten.«
Sechzehntes Kapitel
1
In einer mondhellen Januarnacht fuhren sie den See entlang zu den Sommerhäuschen, zu zwanzig in einem Schlitten. Sie sangen »Märchenland« und »Mit Nelly auf dem Heimweg«; sie sprangen aus dem niedrigen Schlittenkasten heraus, um über die schlüpfrigen Schneegeleise zu laufen; und wenn sie müde waren, stellten sie sich auf die Kufen, um ein Stück mitzufahren. Die von den Pferden aufgeworfenen, im Mondlicht funkelnden Schneeflocken sprangen den Schwärmern in den Hals, aber sie lachten, schrien und trommelten sich mit ihren Lederfäustlingen auf die Brust. Das Geschirr knarrte, die Schlittenglocken waren laut, Jack Elders Setter umsprang bellend die Pferde.
Eine Zeitlang lief Carola mit ihnen. Die kalte Luft schien Kraft zu wecken. Sie glaubte, sie könnte die ganze Nacht weiterlaufen, mit jedem Schritt zwanzig Fuß weit springen. Aber der übermäßige Energieaufwand ermüdete sie, bald war sie froh, sich unter die Decken zu schmiegen, die auf dem Heu im Schlittenkasten lagen.
Bei Jack Elders Hütte stiegen sie aus. Frau Elder und Frau Sam Clark bereiteten in einem ungeheuren Zinkkessel Kaffee; Vida Sherwin und Frau McGanum packten Pfannkuchen und Backwerk aus; Frau Dave Dyer machte Würstchen heiß; Dr. Terry Gould verkündete: »Meine Damen und Herren, bereiten Sie sich darauf vor, sich zu empören; die Empörten, bitte, auf die rechte Seite«, und zog dann eine Flasche Bourbon-Whisky heraus.
Die anderen tanzten und riefen leise »Autsch«, wenn ihre erfrorenen Füße hart auf den Fußboden stießen. Harry Haydock nahm Carola um die Taille und drehte sie herum. Sie lachte. Der Ernst der anderen, die an der Seite standen und sich unterhielten, ließ ihren Wunsch nach Fröhlichkeit noch ungeduldiger werden.
Kennicott, Sam Clark, Jackson Elder, der junge Doktor McGanum und James Madison Howland stiegen am Ofen von einem Fuß auf den anderen und unterhielten sich mit der geruhigen Prahlerei von Geschäftsleuten. In Einzelheiten unterschieden sich die Männer, doch sie sagten die gleichen Dinge mit den gleichen herzlich monotonen Stimmen. Man mußte hinsehen, wenn man wissen wollte, wer sprach.
»Na, wir sind ziemlich schnell rausgekommen«, sagte einer – irgendeiner.
»Ja, wie wir am See waren, ist es recht flott gegangen.«
»Wenn man ans Autofahren denkt, kommt's einem aber doch ein bißchen langsam vor.«
»Ja, das ist soweit schon richtig. Hören Sie, wie macht sich denn der Sphinxreifen, den Sie jetzt haben?«
»Der scheint recht gut zu halten. Aber, ich weiß doch nicht, ob er mir lieber ist als der Roadeater Cord.«
»Ja, 's gibt nichts Besseres als Roadeater. Besonders der Cord. Der Cord ist viel besser als der glatte.«
»Ja, da haben Sie ganz recht – der Roadeater ist 'n guter Reifen.«
»Sagen Sie, wie sind Sie denn mit den Zahlungen von Pete Garsheim zufrieden?«
»Er zahlt ganz anständig. Ein schönes Stück Land hat er da gekriegt.«
»Ja, das ist 'ne blendende Farm.«
»Ja, Pete hat dort was Gutes erwischt.«
Von diesen ernsthaften Themen gingen sie zu den scherzhaften Grobheiten über, die den Witz der Hauptstraße bilden. Sam Clark zeichnete sich darin besonders aus. »Was ist denn mit