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Himmel und Hölle. Alexandre DumasЧитать онлайн книгу.

Himmel und Hölle - Alexandre Dumas


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warum hatte er keine Zeit?

      Es ist Sonntag, Ruhetag; er musste einen Spaziergang machen, bloß einen Spaziergang, einen kleiner Besuch? Wem? — Seinem lieben Felde.

      Allerdings ging er an diesem Tage nicht den geraden Weg wie an den Wochentagen; er ging bisweilen sogar am entgegengesetzten Ende durch das Dorf hinaus, und machte wohl einen Umweg von einer Viertelstunde. Das wirkliche Ziel seines Ganges aber war immer sein Feld. Wenn er auch sagte: »Wahrhaftig, heute gebe ich nicht auf das Feld, ich bin ja alle Tage dort,« Jeder hätte ihm antworten können: »Ja, Klein-Vater, eben weil ihr alle Tage auf das Feld geht, werdet Ihr auch heute dahin wandern.«

      Aber am Sonntage arbeitet er doch nicht auf dem Felde? Gewiss geht er nur hin, um es zu sehen, um es wenigsten mit den Füßen zu berühren. Da liegt leider ein Stein. Der verdammte Stein! Er bückt sich, hebt ihn auf und wirft ihn hinweg. Und da ist ein ganzer Busch Unkraut gewachsen; das kann er unmöglich stehen lassen. Er bückt sich und reißt es heraus. Eine Stunde, zwei, drei Stunden sieht und sucht er umher, dann hört er Mittag schlagen, und ein Uhr ist Essenszeit. Nun muss er das Feld verlassen, um nicht Madelaine warten zu lassen. Er hat fast eine halbe Stunde weit zu gehen und er bringt eine ganze zu. Es wird ihm so schwer, sich von seinem Felde zu trennen. Kaum ist er zehn Schritte weit gegangen, so bleibt er stehen, dreht sich um und schlägt die Arme übereinander. Er blickt anfangs lächelnd umher, dann ernst, endlich betrübt; lange schaut er dies Fleckchen Erde an, dass so klein ist im Vergleich mit den umher liegenden großen Flächen und doch sein ganzes Leben in Anspruch nimmt.

      Es schlägt halb auf dem spitzen Kirchturm, er muss nun nach Hause gehen. Er macht sich auf, aber nach dreißig Schritten bleibt er wiederum stehen und blickt sein Feld mit einem innigeren, leidenschaftlicheren Blicke an, als je seine Braut von ihm erhielt. Seufzend schreitet er weiter, als wisse er nicht, ob er wohl sein geliebtes Feld am andern Tage da wieder finde, wo er es gelassen.

      Eifersüchtige Erde, Du, eifersüchtiger als irgendein Weib oder eine Geliebte, so willst Du geliebt sein und nur für die bist Du fruchtbar, die sich Dir ganz und stets hingeben!

      So war es fast stets ein Uhr, auch wohl drüber, wenn Vater Kleine vor den beiden Häuschen am Wege ankam. Aber nicht auf das zur Linken richtete sich sein Blick, wie man doch hätte vermuten sollen. Und auf der Türschwelle zur Rechten standen denn auch fast jedes Mal, auf ihn wartend, zwei Frauen, ein Mädchen und ein Knabe, ein Kind und ein Hund. Ja, den Vater Kleine erwartete diese ganze Gruppe, denn sobald er herankam, riefen Alle: Da ist er!« Die beiden Frauen blieben auf der Schwelle stehen, die drei Kinder stiegen auf die Bank, der Hund setzte sich hin und wedelte mit dem Schweife, der einem Löwenschweife glich.

      Kam Vater Kleine vor das Haus, das oben an der Böschung des Weges stand, so ging er nicht hinauf, sondern blieb stehen, nahm den Hut ab und sagte:

      »Gott grüß' Euch miteinander, Frau Marie, kleine Marie und Peter! Komm, Madelaine.«

      Er nickte darauf nochmals, bedeckte seinen kahlen Scheitel mit dem dreieckigen Hute und ging nach dem Häuschen gegenüber.

      »Kommt!« sagte ihrerseits Madelaine zu dem Knaben und der Knabe wiederum rief dem Hunde zu: »Komm, Bernhard!«

      Waren sie alle drüben an der Tür des anderen Häuschens angekommen, so drehten sie sich noch einmal um, der Frau, den Mädchen und dem Kinde in der Tür des andern Häuschens zuzulächeln, und alle, die sprechen konnten, riefen: »Abends!«

      Man kennt nun den Vater Kleine so ziemlich, auch Madelaine etwas; nun müssen wir den Leser mit der Frau Marie, der kleinen Marie, Peter, dem Blöden, und dem Hunde bekannt machen.

      Frau Marie war die Frau des Schulmeisters und wohnte, wie man bereits weiß, dem Vater Kleine gerade gegenüber.

      Eines Tages kam sie mit ihrem kleinen Mädchen von drei Monaten in das Häuschen Madelainens, die sie in Trauerkleidung weinend an der Wiege eines kleinen Knaben von fünf Monaten fand.

      »Meine gute arme Nachbarin,« sagte sie, »eben habe ich erfahren, dass Dir plötzlich die Milch vergangen ist. Ist das wahr?«

      »Ach Gott ja, liebe Frau Marie,« antwortete Madelaine, »und mein armes Hänschen da weint, weil es Hunger hat.«

      »Mach Dir darüber keine Sorgen, Madelaine,« fuhr Frau Marie fort, »der liebe Gott hat mir zum Glück Milch für zwei gegeben und mein Mariechen da wird gern mit deinem Hänschen teilen.«

      Ohne weiter auf das zu hören, was Madelaine sagte, nahm sie den kleinen Johann auf der Wiege, setzte sich mit einem Kinde auf jedem Knie nieder, entblößte mit der erhabenen Schamlosigkeit der Mütter, welche wohl wissen, dass die allgemeine Verehrung sie schützt, die beiden Halbkugeln ihrer Brust und reichte jedem Kinde eine.

      Da sank Madelaine vor ihr auf die Knie, faltete die Hände und weinte.

      »Was tust Du, Madelaine?« fragte Marie erstaunt.

      »Ich bete an vor einer der drei großen christlichen Tugenden, antwortete die arme Mutter, »vor der Liebe.«

      Ihr kleiner Sohn aber trank nach Herzenslust aus diesem ersten Becher des Lebens, dem einzigen, der Honig am Rande und keine Neige hat. Als er getrunken und sich gesättigt hatte, sagte Frau Marie:

      »Da! Ich werde täglich dreimal kommen, um ihm zu schenken und wenn er dazwischen einmal weint, so rufe mich nur. Ich bin nicht weit und die Flasche ist auch immer gefüllt.

      Sie legte das Kind wieder in die Arme der Mutter, die es an ihr Herz drückte und weinend in die Wiege legte. Es war ja der armen Madelaine als sei sie nun weniger die Mutter ihres Kindes, da eine andere Mutter dasselbe nährte.

      Warum aber weinte die arme Frau in Trauerkleidung, warum war der armen trostlosen Mutter so plötzlich die Milch vergangen?

      Wilhelm, ihr Mann, Soldat von 1792, war nach dem er auf dem Wege von der Vendée nach Italien vierzehn Tage bei ihr geblieben, bei Montenotte im ruhmvollen Kampfe gefallen.

      Vor drei Tagen hatte sie die Nachricht von diesem Todesfalle durch einen Brief erhalten, welchen der sterbende Wilhelm durch einen Kameraden an sie hatte schreiben lassen, und der Schlag war so gewaltig gewesen, dass ihre Milch darunter versiegte.

      Seit dem vorigen Abende hatte sie das bemerkt; anfangs konnte sie an dieses neue Unglück gar nicht glauben; sie vermochte sich nicht zu denken, dass die Muttermilch vertrocknen können so lange noch Blut in den Adern der Mutter fließe, aber das Weinen ihres Kleinen überzeugte sie nur zu wohl, dass es wahr sei.

      Sie weinte darum vor Kummer und ihr Kind weinte vor Hunger, als Frau Marie mit ihrem Mariechen eintrat und den Hunger und Durst des Kindes stillte.

      Warum aber hieß Madelaine kurzweg Madelaine, Marie aber Frau Marie?

      Ach, keineswegs weil sie stolz oder reich war. Sie war im Gegenteil fast so arm wie die Ärmste im Dorfe, aber sie war die Frau des Schulmeisters und da dieser in den Augen der Kinder eine gar wichtige Person ist, so nannte man den Schulmeister »Herr« Peter, und seine Frau »Frau« Marie.

      Beide, Mann und Frau, hatten sich eine kurze Zeit für reich gehalten, nämlich als Frankreich durch die Stimme des Convents erklärte, der Schulmeister stehe mit dem Geistlichen ganz gleich, und auf den Bericht Lacanal's vierundfünfzig Millionen für den Elementar-Unterricht bewilligte. Leider folgte auf den Convent das Direktorium und was kümmerte sich dieses darum, ob die Schulmeister hungerten, ob die, welche das Meiste für das Volk tun, am allerschlechtesten bezahlt wären.

      Frau Marie wurde also die zweite Mutter des kleinen Hans, der halb auf ihren, halb auf Madelainens Knien heranwuchs. Auf der anderen Seite liebte aber auch Madelaine die kleine Marie wie ihr eigenes Kind und gar oft, wenn Frau Marie den kleinen Hans trug, hatte Madelaine die kleine Marie auf den Armen. Ja bisweilen trug eine Mutter beide Kinder und die zwei Frauen tauschten gegenseitig ihre Liebe aus, ohne dass eine nachrechnete, ob sie gegen


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