Geliebter Schnarcher. Daniel WilkЧитать онлайн книгу.
Der Ärger darf sein
Ein erster Ansatz zur Veränderung ist es, sich selbst zu erlauben, sich ärgern zu dürfen. Dadurch fällt es leichter – oder wird überhaupt erst möglich –, nach Ursprung und Sinn des Ärgers zu suchen.
Das fällt zunächst oft schwer, aber es lohnt sich unbedingt. Schließlich ist Ärger nicht nur psychisch belastend, sondern auch körperlich unangenehm. Deshalb möchte man ihn selbst und auch seine Ursache loswerden.
Aber die Anregung, sich zu erlauben, sich zu ärgern und sogar den Ärger sich ausbreiten zu lassen – ihn dabei mit seinen Auswirkungen anzuschauen, ihm eine Gestalt und/oder eine Stimme zu geben –, kann leicht als Spott aufgefasst werden. Dadurch würde der Ärger eher noch verstärkt werden. Die Anregungen des anderen Umgangs würden nicht ernst genommen (ausführliche Erläuterung mit Beispielen s. Kapitel 2).
Es ist aber kein Spott, sondern ein Angebot, sich dem Problem von einer anderen Seite zu nähern. Da Ärger bekanntermaßen den Blick verschleiert und das Denken wesentlich einengt, sollte als Erstes diese die Kreativität einschränkende Wirkung aufgelöst werden. Das gelingt recht einfach mit der Akzeptanz des eigenen Ärgers. Kann er als einem Sinn dienend angesehen werden, fällt es leichter, sich ihm zuzuwenden und ihn nach eben diesem Sinn zu fragen. Die akzeptierende Zuwendung zum Ärger bedeutet auch die Suche nach seiner Verbindung mit dem Auslöser – da beide eng miteinander verknüpft sind.
Wird man bei dieser Suche fündig, lassen sich Lösungsansätze für das zugrundeliegende Problem entwickeln, das den Ärger auslöst. Die notwendigen Aktivitäten, um den bekannten Lösungsweg auch zu beschreiten, werden durch die Erlaubnis, sich zu ärgern, nicht mehr verhindert oder gehemmt.
Vor der Veränderung steht die Verneinung des unbedingten Zusammenhangs zwischen Problem und Ärger. Sie gehören nicht in der gleichen Weise zusammen wie Donner und Blitz oder nasser Boden und ein Regenschauer.
Dadurch dass ein nicht auflösbarer Zusammenhang zwischen dem Schnarchen und dem eigenen Ärger hergestellt wird, entstehen mehrere ungünstige Voraussetzungen für eine Veränderung:
die Schuld für die eigene Reaktion wird dem Schnarcher zugeschoben
der sich Ärgernde macht sich zum hilflosen Opfer
das selbst keine Kontrolle über die eigenen Reaktionen hat und deshalb versucht, den anderen zu beeinflussen.
Aber:
Schuld ist in Beziehungen selten ein hilfreiches Konstrukt. Eine Schuldzuweisung birgt viele ungute Gefühle mit all ihren negativen Auswirkungen auf die Beziehung und blockiert zusätzlich Ansätze für Lösungen. Gibt man dagegen den Schuldbegriff auf und betrachtet lediglich ein Geräusch auf der einen Seite, das Unruhe auf der anderen Seite zur Folge hat, fällt es leichter, auf beiden Seiten nach Änderungsmöglichkeiten zu suchen.
Hilflosigkeit bedeutet auch Passivität. Der andere soll etwas ändern, schließlich ist er der Schnarcher. »Ich bin das Opfer, mich sollte man bedauern, mir sollte man helfen.« Was aber tun, wenn keine Hilfe kommt und das Schnarchen andauert?
Die Annahme, keine Kontrolle über den eigenen Ärger zu haben, führt zu der Überzeugung, ohne Einflussmöglichkeiten zwischen den eigenen Gefühlen (Ärger, Wut, Frustration etc.) zu treiben. Wenn man diese Annahme loslässt, indem man sich seine Gefühle mit Abstand anschaut, löst sich der Blick von der eingeengten Sichtweise, und Alternativen werden sichtbar. Letztlich nimmt der Einfluss auf das Geschehen also zu.
Es ist erstaunlich, wie lange es oft dauert, bis die Teilnehmer einer Entspannungsgruppe bewusst erkennen, dass bestimmte Auslöser und der eigene Ärger nicht zwangsläufig zusammengehören. Obwohl der Verstand uns sagt, dass andere Reaktionen möglich sind, gelingt es anfangs häufig erst nach einigem Nachfragen und Erklären, diese Sachlichkeit in der Betrachtung des Zusammenhangs zwischen Schnarchen und Ärger herzustellen.
Den Ärger verstärken, damit er gehen kann
Körperlich zeigt Ärger sich unter anderem als erhöhte Herzfrequenz und Anspannung in den Muskeln. Magenschmerzen, der Drang, sich zu bewegen, oder auch ein roter Kopf können auftreten. Um paradox darauf einzugehen, kann man den sich Ärgernden darum bitten, die körperlichen Erscheinungen des Ärgers zu verstärken. Etwa so:
Wenn du dich ärgerst, dann sieht dein Kopf irgendwie interessanter aus. Die Wangen werden rot, die Augen bekommen so einen leicht irren Ausdruck, der Körper wirkt aggressiv, so als könnte er gleich alles kurz und klein schlagen. Das hat eine faszinierende Seite. Es gefällt sicher nicht jedem, aber ich fände es gut, wenn du versuchen würdest, noch ein bisschen mehr Rot in deine Wangen zu bringen und diesen wilden Blick in deinen Augen zu verstärken, damit der Ärger noch mehr zur Geltung kommt. Dadurch fällst du auch mehr auf, das macht dich bestimmt für manche Menschen interessanter. Hättest du Lust, das zu üben, sobald du merkst, dass der Ärger wiederkommt? Dem Ärger von Anfang an, sobald er beginnt, dich innerlich in Besitz zu nehmen, in dir ausreichend Platz zu machen, indem du alles andere für den Moment sein lässt, damit du dich ganz auf den Ärger einlassen und dich ein bisschen mehr ärgern kannst. Das muss nicht maximal viel sein, aber schon mehr als vorher …
Normalerweise belustigt diese Aufforderung den Angesprochenen, sie sollte auf jeden Fall genau darauf abzielen und ihn nicht etwa tatsächlich verärgern oder kränken. Eine einfühlsame Beobachtung der Reaktion ist wichtig, um die eigenen Anweisungen falls nötig entsprechend anzupassen (ausführliche Erläuterung dazu in Kapitel 2).
Erklärungen über die Absicht der Anweisung, nämlich das Ärgern in den Griff zu bekommen, sollten ebenfalls gegeben werden, um dem Eindruck vorzubeugen, man würde sich lustig machen:
Es ist nämlich so, dass du deinen Ärger besser unter Kontrolle hast, wenn du ihn früh bemerkst und ihm erlaubst, bei dir zu sein – er wäre ja sowieso da, auch wenn du es ihm nicht erlauben würdest –, und ihn auf seinem Weg durch deinen Körper begleitest. Dann gelingt es dir auch leichter, ihn irgendwann zu beeinflussen. Schließlich ist der Ärger dein Gefühl. Du bist nicht das Gefühl, es ist aber ein Teil von dir. Wenn du dagegen ankämpfst, dann bist du in jedem Fall der Verlierer. Weil Kämpfer und Bekämpfter ein und derselbe sind, kannst du einen solchen Kampf nicht gewinnen. Die verwendete Energie fehlt dir, niemand anderem. Du sparst also auf jeden Fall die Energien, die im Kampf gegen den Ärger verwendet werden. Gibst du dem Ärger möglichst früh in dir seinen Platz, schaust ihn dir an und begleitest ihn, dann fällt es dir auch leichter, seinen Ausdruck nach außen zu lenken.
Man kann das im gleichen Moment ausprobieren, indem man sich an etwas erinnert, über das man sich geärgert hat oder sogar zurzeit noch ärgert. Dabei kann man beobachten, wie mit der Erinnerung der Ärger den Körper zu beeinflussen beginnt, das Denken eintrübt und ablenkt und auch die Gefühle und die Stimmung verändert.
Schon allein durch die aufmerksame Beobachtung dieses Geschehens gewinnt man Einfluss auf die Wirkungen des Ärgers. Nicht aber, indem man dagegen ankämpft und ihn zu unterdrücken versucht. Sondern ihm Raum gibt: die Herzfrequenz noch etwas steigert (gelingt meist nicht wesentlich), den Nacken anspannt (fällt schon leichter), das Denken absichtlich auf die entstehende Wut, aber auch auf die eigene Hilflosigkeit im Umgang mit dem Ärger lenkt und all das zu verstärken versucht. Das ist wie bei Kampfsportarten, bei denen die vom Gegner kommende Energie angenommen und umgelenkt wird, sodass der Gegner zu Fall kommt und seine Macht verliert.
Das braucht etwas Übung und einige Geduld. Die konstruktiven Veränderungen sind aber bald spürbar – sogar in der Herzfrequenz, die anfangs zwar noch ansteigen kann. Das ist aber dann vielleicht auch schon ein Ergebnis der Freude darüber, dass es funktioniert und der Ärger seine Macht verliert.
Einfluss auf den Körper nehmen
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