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Zwei Städte. Charles DickensЧитать онлайн книгу.

Zwei Städte - Charles Dickens


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das Unheil ahnen ließ. In der abgehetzten Miene des Volkes lauerte noch ein Raubthiergedanke auf die Möglichkeit, sich gegen den Verfolger zu stellen. Obgleich die Leute gedrückt und gedemüthigt waren, fehlte es doch auch nicht an feurigen Augen unter ihnen; noch an zusammengepreßten Lippen, weiß von dem, was sie niederdrückten; oder an Stirnen, mit langen Runzeln, ähnlich den Galgenstricken, von denen sie träumten, als Dulder oder als Rächer. Die Schilder (und es gab deren fast so viele, als Läden waren) lauter schauerliche Bilder der Noth. Der Fleischer malte nur die magersten Knochenenden; der Bäcker die gröbsten, allerwinzigsten Brode. Die rohgemalten Zecher in den Weinläden raisonnirten über ihr knappes Maaß dünnen Weins oder Biers, und flüsterten unheimlich vertraulich mit einander. Nichts war in gutem und blühendem Zustande dargestellt, als Werkzeuge und Waffen; die Messer und Beile des Messerschmieds waren scharf und funkelnd, die Hämmer des Schmieds waren schwer und die Vorräthe des Büchsenmachers mörderisch. Die lahmmachenden Steine des Pflasters mit ihren vielen kleinen Pfützen von Schlamm und Wasser duldeten keine Bürgersteige, sondern gingen bis unmittelbar an die Hausthüren. Um das wieder gut zu machen, lief die Gosse die Mitte der Straße herab, wenn sie überhaupt lief, was aber nur nach schwerem Regen geschah, und dann lief sie mit vielen launenhaften und unberechenbaren Stößen in die Häuser. Quer über die Straße hingen in weiten Zwischenräumen schwerfällige Laternen an einem Strick und einem Flaschenzuge; Nachts, wenn der Laternenwärter diese heruntergelassen und angezündet und wieder hinaufgewunden hatte, wackelte eine Reihe düster brennender Dochte in schwächlicher, Schwindel erregender Weise hoch oben, als ob sie auf dem Meere wären. Und sie waren auch wirklich auf dem Meere und das Schiff und seine Mannschaft war von einem schweren Sturme bedroht.

      Denn die Zeit war im Anzuge, wo die abgezehrten Vogelscheuchen dieser Region dem Laternenmann in ihrem Nichtsthun und ihrem Hunger so lange zugesehen hatten, daß sie auf den Gedanken kamen, seine Methode zu verbessern und an diesen Stricken und Flaschenzügen Menschenkinder hinaufzuwinden, um ein grelles Licht auf die Finsterniß ihres Zustandes zu werfen. Aber gekommen war die Zeit noch nicht, und jeder Wind, der über Frankreich wehte, setzte vergebens die Lumpen der Vogelscheuchen in Bewegung, denn die Vögel, gar schön von Gesang und Gefieder, ließen sich nicht warnen.

      Der Weinschank lag an einer Ecke und war seinem äußeren Ansehen und seinen Gästen nach besser als die meisten andern, und der Herr des Weinschanks stand in gelber Weste und grünen Beinkleidern vor seiner Thür und sah dem Kämpfen um den verschütteten Wein zu. „S’ist nicht meine Sache,“ sagte er zuletzt mit einem Achselzucken. „Die Leute vom Markt haben’s verschüttet. Sie mögen ein anderes Faß bringen.“

      Jetzt fielen seine Augen zufällig auf den langen Lustigmacher, der seinen Spaß an die Wand schrieb und er rief ihm über die Straße zu: „Heda, Gaspard, was machst Du da?“

      Der Bursche wies mit prahlerischer Bedeutsamkeit, wie es Leute seines Gelichters oft machen, auf seinen Witz. Aber er verfehlte sein Ziel und machte gar keinen Eindruck, wie es ebenfalls oft Leuten seines Gelichters geht.

      „Was soll das heißen? Bist Du ein Candidat für’s Irrenhaus?“ sagte der Weinwirth, indem er auf die andere Seite der Straße ging und den Witz mit einer Hand voll Straßenschlamm, nach dem er sich zu diesem Zwecke gebückt, auslöschte und überstrich. „Warum schreibst Du auf offener Straße? Giebt es keinen andern Ort, um solche Worte zu schreiben, he?“

      Während er so sprach, ließ er seine andere, reine Hand (vielleicht zufällig, vielleicht nicht) auf das Herz des Spaßmachers fallen. Der Spaßmacher schlug mit seiner Hand darauf, machte einen hurtigen Luftsprung und kam wieder auf die Beine in einer phantastischen Tänzerstellung, den einen seiner Schuhe, den er beim Springen vom Fuße geschleudert, in der Hand und vor sich ausgestreckt haltend. Unter diesen Umständen nahm er sich wie ein Spaßmacher von äußerst, um nicht zu sagen grausam, praktischem Charakter aus.

      „Ziehe ihn wieder an, ziehe ihn wieder an,“ sagte der Andere. „Nenne Wein, Wein und mache der Sache ein Ende.“ Mit diesem Rath wischte er sich seine schmutzige Hand auf dem Aermel des Spaßmachers ab — ganz überlegt, da er sich die Hand seinetwegen beschmutzt hatte; und ging dann wieder über die Straße und trat in die Weinschenke.

      Dieser Weinwirth war ein kriegerisch aussehender Mann von dreißig Jahren mit einem Stiernacken, der heißes Blut haben mußte, denn obgleich es bitter kalt war, hatte er doch keinen Rock an, sondern hatte ihn über die Schulter geworfen. Auch die Hemdärmel hatte er aufgestreift und die braunen Arme waren bis an die Ellbogen bloß. Ebenso wenig trug er auf dem Kopfe etwas Anderes, als sein eigenes kurzgelocktes und kurzgeschnittenes, schwarzes Haar. Er war überhaupt ein schwarzer Mann mit guten Augen und einer guten offenen Breite zwischen ihnen. Im Ganzen von gutmüthigem, aber auch unerbittlichem Aussehen; offenbar ein Mann von starkem Entschluß und festem Willen; ein Mann, dem man nicht begegnen möchte, wenn er durch einen engen Paß, mit einem Abgrund an jeder Seite, eilt, denn Nichts würde ihn zum Umkehren bewegen.

      Madame Defarge, seine Frau, saß im Laden hinter dem Ladentisch, als er eintrat. Madame Defarge war eine wohlbeleibte Frau von ungefähr demselben Alter wie er, mit einem aufmerksamen Auge, das selten etwas Bestimmtes anzusehen schien, einer großen, mit vielen Ringen geschmückten Hand, einem gefaßten Gesicht, starken Zügen und großer Ruhe im Benehmen. Aus dem Aussehen der Madame Defarge war man geneigt zu prophezeien, daß sie sich sehr selten in den Rechnungen, die sie zu besorgen hatte, zu ihrem Schaden irrte. Da Madame Defarge empfindlich gegen Kälte war, war sie in Pelz eingewickelt und hatte einen großen bunten Shawl um den Kopf gewunden, der aber immer noch ihre großen Ohrringe sehen ließ. Ihr Strickzeug lag vor ihr, aber sie hatte es weggelegt, um sich mit einem Zahnstocher die Zähne zu stochern. So beschäftigt und den rechten Ellbogen in die linke Hand gestützt, sagte Madame Defarge Nichts, als ihr Eheherr eintrat, sondern ließ nur ein kaum hörbares Husten vernehmen. Dies und das kaum eine Linie breite Emporziehen ihrer scharfgezeichneten schwarzen Augenbrauen sagten ihrem Manne, daß er gut thun würde, sich im Laden unter den Gästen nach etwaigen neuen Gästen umzusehen, welche gekommen waren, während er draußen auf der Straße gestanden hatte.

      Der Weinwirth ließ demgemäß seine Blicke umherschweifen, bis sie auf einem ältlichen Herrn und einer jungen Dame haften blieben, die in einer Ecke saßen. Auch noch andere Gesellschaft war da: zwei Kartenspieler, zwei Dominospieler, drei, die am Ladentisch standen und einen kleinen Rest Wein zögernd austranken. Als er hinter den Ladentisch trat, bemerkte er, daß der ältliche Herr mit einem Blick zu der jungen Dame sagte. „Das ist unser Mann.“

      „Was zum Teufel wollt ihr in dieser Galeere!“ sagte Monsieur Defarge zu sich; „ich kenne euch nicht.“

      Aber er stellte sich, als ob er die beiden Fremden nicht beachtete und ließ sich mit den drei Gästen, die am Ladentisch tranken, in ein Gespräch ein.

      „Wie geht es, Jacques?“ sagte einer von den Dreien zu Monsieur Defarge. „Ist der verschüttete Wein alle aufgetrunken?“

      „Bis auf den letzten Tropfen, Jacques“, antwortete Monsieur Defarge. Als die Beiden mit diesem Austausch der Taufnamen fertig waren, ließ Madame Defarge, die sich immer in den Zähnen stocherte, ein anderes kaum hörbares Husten vernehmen und zog ihre Augenbrauen um eine andere Linienbreite in die Höhe.

      „Nur selten,“ sagte der Zweite von den Dreien zu Monsieur Defarge, „haben diese elenden Lastthiere Gelegenheit, den Geschmack von Wein, oder von etwas Anderem als schwarzem Brod und Tod kennen zu lernen. Nicht wahr, Jacques?“

      „Freilich, Jacques,“ entgegnete Monsieur Defarge.

      Bei diesem zweiten Austausch des Taufnamens ließ Madame Defarge, immer noch mit ruhigster Fassung ihren Zahnstocher gebrauchend, wieder einen kaum hörbaren Husten vernehmen und zog ihre Augenbrauen noch um eine Linie empor.

      Der Letzte von den Dreien kam jetzt an die Reihe, zu sprechen, wie er das leere Glas hinsetzte und mit den Lippen schmatzte.

      „Ach, um so schlimmer! Ewig haben diese armseligen Lastthiere einen bittern Geschmack im Maule und ein beschwerliches Leben müssen sie führen. Nicht wahr, Jacques?“

      „Freilich, Jacques“, war die Antwort Monsieur Defarge’s.

      Dieser dritte Austausch des Taufnamens


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