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Zwei Städte. Charles DickensЧитать онлайн книгу.

Zwei Städte - Charles Dickens


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Herren — meine Frau —“

      Die drei Gäste zogen vor Madame Defarge die Hüte ab und machten einen Kratzfuß. Sie nahm die Huldigung durch ein Neigen des Kopfes an und warf einen raschen Blick auf sie. Dann sah sie sich wie zufällig einmal im Laden um und nahm mit großer Ruhe und Fassung ihr Strickzeug her und vertiefte sich ganz in dasselbe.

      „Guten Tag, meine Herren!“ sagte ihr Mann, der sie mit seinem hellen Auge aufmerksam beobachtet hatte. „Das möblirte Zimmer für ledige Herren, das Sie zu sehen wünschten und nach dem Sie sich erkundigten, als ich hinausging, ist im fünften Stock. Der Thorweg zur Treppe ist in dem kleinen Hofe, dicht nebenan, links — er wies mit seiner Hand nach dieser Richtung — gleich bei dem Fenster meines Ladens. Aber ich besinne mich jetzt, Einer von Ihnen ist schon dort gewesen und kann den anderen Herren den Weg zeigen. Leben Sie wohl, meine Herren!“

      Sie bezahlten ihren Wein und verließen den Laden. Die Augen Monsieur Defarge’s beobachteten seine Frau beim Stricken, als der ältliche Herr aus seiner Ecke hervorkam und ihn um ein paar Worte bat.

      „Sehr gern“, sagte Monsieur Defarge und trat ohne Weiteres mit ihm an die Thür.

      Ihre Unterredung war sehr kurz, aber sehr entschieden. Fast bei dem ersten Worte fuhr Monsieur Defarge auf und zeigte die tiefste Aufmerksamkeit. Es hatte noch keine Minute gedauert, so nickte er und ging hinaus. Der Herr winkte dann der jungen Dame und auch sie ging hinaus. Madame Defarge strickte mit hurtigen Fingern und unbeweglichen Augenbrauen und sah Nichts.

      Als Mr. Jarvis Lorry und Miß Manette in dieser Weise die Weinschenke verlassen hatten, gesellten sie sich Monsieur Defarge in dem Thorweg bei, nach welchem er soeben erst die anderen Gäste gewiesen hatte. Es war der Ausgang eines stinkenden, kleinen, finstern Hofes und der allgemeine Zugang zu einer großen Häusermasse, in der eine Unzahl Leute wohnte. In dem dämmerdunkeln, mit Ziegeln gepflasterten Eingang zu der dämmerdunkeln, mit Ziegeln gepflasterten Treppe ließ sich Monsieur Defarge auf ein Knie vor dem Kinde seines alten Herrn nieder und drückte ihre Hand an seine Lippen. Es war ein sanftes Beginnen, aber durchaus nicht sanft gethan; binnen wenigen Secunden war eine sehr merkwürdige Umwandlung mit ihm vorgegangen. Es war keine Gutmüthigkeit oder Offenheit mehr in seinem Gesicht zu sehen, sondern er war ein heimlicher, zorniger, gefährlicher Mann geworden.

      „Es ist sehr hoch und schwer zu steigen. Besser, wir fangen langsam an,“ so sprach Monsieur Defarge in hartem Tone zu Mr. Lorry, wie sie anfingen, die Treppe zu ersteigen.

      „Ist er allein?“ flüsterte Letzterer.

      „Allein! Gott helfe ihm, wer sollte bei ihm sein?“ entgegnete der Andere in demselben gedämpften Tone.

      „Er ist also immer allein?“

      „Ja.“

      „Nach eigenem Wunsch?“

      „Aus eigener Nothwendigkeit. Wie er damals war, als ich ihn zuerst sah, nachdem sie mich aufgefunden und gefragt hatten, ob ich ihn zu mir nehmen und auf meine Gefahr verschwiegen sein wollte — so ist er jetzt noch.“

      „Hat er sich sehr verändert?“

      „Verändert!“

      Der Weinwirth blieb stehen, um mit der Hand an die Mauer zu schlagen und einen fürchterlichen Fluch auszusprechen. Eine directe Antwort hätte nicht denselben Eindruck gemacht. Mr. Lorry’s Gemüth fühlte sich immer gedrückter, wie er und seine beiden Gefährten höher und höher stiegen.

      Eine solche Treppe mit ihren Beigaben in dem ältern und stärker bevölkerten Theile von Paris wäre jetzt schlimm genug; aber damals war sie für ungewohnte und nicht abgehärtete Sinne geradezu abscheulich. Jede kleine Wohnung in diesem großen schmutzstrotzenden Haufen von einer hohen Gebäudemasse — das will sagen, das Zimmer oder die Zimmer innerhalb jeder Thür, die sich auf die allgemeine Treppe öffnete — ließ ihrem eigenen Kehrichthaufen auf ihren eigenen Treppen Platz, außer daß sie noch andern Kehricht zum Fenster hinauswarfen. Die dadurch erzeugte, gar nicht mehr zu beherrschende und hoffnungslose Fäulnißmasse hätte die Luft verpestet, selbst wenn Armuth und Entbehrung sie nicht mit ihren unfaßbaren Unreinigkeiten erfüllt hätten; diese beiden bösen Quellen im Verein machten sie fast unerträglich. Durch eine solche Atmosphäre, einen steilen, dunklen Schacht voll Schmutz und Gift hinauf, führte der Weg. Seiner eigenen und seiner jungen Gefährtin Aufregung nachgebend, die mit jedem Augenblicke größer wurde, machte Mr. Jarvis Lorry zweimal Halt, um zu rasten. Bei jedem dieser Ruhepunkte öffnete sich ein enges Fenstergitter, durch welches die wenigen guten Lüfte, die vielleicht noch unverdorben vorhanden waren, zu entweichen und alle verdorbenen und garstigen Dünste hereinzuschleichen schienen. Zwischen den verrosteten Stäben konnte man in einzelnen Streifen den Anblick der in wüster Unordnung übereinandergehäuften Gebäude erhaschen; und Nichts im Bereich des Auges, das näher oder tiefer war, als die Spitzen der beiden großen Thürme von Notredame, verrieth eine Spur von gesundem Leben oder gedeihlicher Zukunft.

      Endlich war die letzte Stufe der Treppe erreicht und sie ruhten zum dritten Male aus. Noch eine Treppe, die noch steiler und schmäler war, mußte erstiegen werden, ehe sie das Dachgeschoß erreichten. Der Weinwirth, der immer ein Wenig vorausging, und immer auf der Seite, wo sich Mr. Lorry befand, als ob er fürchtete, daß die junge Dame eine Frage an ihn richten möchte, drehte sich hier um, fühlte in den Taschen des Rockes herum, den er über die Achsel geworfen hatte, und brachte einen Schlüssel heraus.

      „Die Thür ist also verschlossen, Freund?“ sagte Mr. Lorry überrascht.

      „Jawohl“, war die bitterernste Antwort Monsieur Defarge’s.

      „Sie halten es für nothwendig, den Unglücklichen so einsam zu lassen?“

      „Ich halte es für nothwendig, ihn einzuschließen.“ Monsieur Defarge flüsterte es ihm, sich dichter an ihn andrängend, ins Ohr und zog finster drohend die Stirne zusammen.

      „Warum?“

      „Warum! Weil er so lange eingeschlossen gelebt hat, daß er sich fürchten — wüthen — sich in Stücke zerreißen — sterben — ich weiß nicht, zu welchem Schaden kommen würde — wenn man seine Thür aufließe.“

      „Ist es möglich?“ rief Mr. Lorry aus.

      „Ist es möglich?“ wiederholte Defarge mit Bitterkeit. „Ja, und in einer schönen Welt leben wir, wenn es möglich ist und wenn viele andere solche Dinge nicht nur möglich sind, sondern auch geschehen — wirklich geschehen! — Unter diesem Himmel, und zwar jeden Tag. Lange lebe der Teufel! Vorwärts!“

      Dieses Zwiegespräch war in so leisem Flüstern gehalten worden, daß kein Wort davon das Ohr der jungen Dame erreicht hatte. Aber sie zitterte jetzt von so starker Aufregung, und auf ihrem Gesicht drückte sich so tiefe Seelenangst aus und vor Allem solches Grauen und Entsetzen, daß Mr. Lorry sich verpflichtet fühlte, ihr mit ein paar Worten Beruhigung zuzusprechen.

      „Muth, liebe Miß! Muth! Geschäft! Das Schlimmste wird in einem Augenblick vorbei sein. Wir brauchen blos die Zimmerthür hinter uns zu haben und das Schlimmste ist vorbei. Dann fängt alles Gute, aller Trost, alles Glück an, das Sie ihm bringen. Unser guter Freund hier wird Sie auf der andern Seite unterstützen. So ist’s recht, Freund Defarge. Nun vorwärts. Geschäft! Geschäft!“

      Sie stiegen langsam und vorsichtig hinauf. Die Treppe war kurz und sie waren bald auf der letzten Stufe. Weil sie sich dort kurz wendete, standen sie auf einmal vor drei Männern, deren Köpfe dicht nebeneinander an eine Thür herabgebeugt waren und die durch ein paar Spalten oder Löcher in der Wand mit gespannter Aufmerksamkeit in das Zimmer blickten, zu welchem die Thür gehörte. Als sie dicht hinter sich Fußtritte vernahmen, drehten sich die Drei um, richteten sich auf und ließen sich als die drei Gäste Eines Namens erkennen, die unten im Weinschank getrunken hatten.

      „Ueber der Ueberraschung Ihres Besuches habe ich sie ganz vergessen“, erklärte Monsieur Defarge. „Geht jetzt, Ihr guten Freunde, wir haben Geschäfte hier.“

      Die Drei glitten an ihnen vorüber und gingen still hinunter.

      Da keine andere Thür auf diesem Flur


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