Deutsches Sagenbuch - 999 Deutsche Sagen. Ludwig BechsteinЧитать онлайн книгу.
nannten. Nun hatte der Einwohner Winkelried ob
einer Mordtat Leib und Leben verwirkt und war
flüchtig worden, der sandte Botschaft, daß er, wenn
man ihn wieder annehmen wolle, Mut habe, den Lindwurm
zu bestehen. Diesen Kampf vergönnte man ihm
gern, er bewahrte sich gut mit scharfem Schwert, und
statt des Schildes hielt er in der linken Hand eine
Dornwelle. Diese stieß er dem Drachen, sowie der auf
ihn losfuhr, in den weitaufgesperrten Rachen hinein.
Das waren dem Lindwurm zu viele Zahnstocher auf
einmal; er wand und krümmte sich, und sowie Winkelried
eine Blöße sah, stieß er ihm mit sichrer Hand
das Schwert in den Leib. Der Lindwurm sank tot nieder,
von seinem Blute troff Winkelrieds Schwert, der
schwang es hoch und freudig als Sieger und hatte sein
Leben gewonnen, aber nur, um es alsbald zu verlieren.
Denn vom Schwert ab floß das giftige Drachenblut
und rann ihm über die Hand und den Arm, das
brannte alsbald wie Feuer der Hölle, und der Held
starb an diesem Brand. Das Land hatte er befreit, das
Drachenloch wird noch heute gezeigt.
Ein andres Drachenloch zeigt man bei Burgdorf
mitten im Berner Lande. Es zogen zwei Herzöge von
Lenzburg aus zu jagen, die waren Brüder und hießen
Sintram und Bertram, oder nach andern Guntram und
Waltram, und kamen in einem wilden Wald an ein
wüstes Geklüft, darin lag ein ungeheurer Drache, der
ebenfalls die Landschaft umher zur Einöde machte.
Als der die jungen Jäger gewahrte, fuhr er alsbald auf
sie los und schlang den Bertram, den Jüngsten, mit
Haut und Haar durch seinen weiten Schlund hinab,
Sintram aber fiel voll Mut den Drachen an, hieb ihm
den Kopf ab, schnitt ihm den Leib auf und half seinem
Bruder, der noch lebendig war, heraus. Danach
ließen die Brüder der heiligen Margaretha zu Ehren
eine Kapelle an dem Orte erbauen und die Tat durch
ein Bild verewigen.
16. Kastelen-Alpe
Auf der Kastelen-Alpe wohnte ein reicher Bauer, der
hatte viele Herden und Matten, und drunten in Kriens
hatte er eine arme Muhme, die war Witwe, hatte nur
eine einzige Tochter und nährte sich mit dieser gar
kümmerlich, lag auch schwer an der Gicht darnieder.
Da entschloß sich das Maidli, hinauf auf die Alp zum
reichen Vetter zu gehen und ihn um eine Unterstützung
anzusprechen. Da stieg ein schrecklich Gewitter
am Himmel auf, als sie auf der Alpe ankam, ihr aber
ward kein Trost und keine Gabe, nur Hohn und
Scheltworte, und sie ließen droben auch trotz des drohenden
Wetters das Mägdlein wieder fortgehen. Das
kam tüchtig in das Wetter und erreichte mit Not die
Hütte eines Sennen, das war ihr Bube Aloys, der hatte
noch einen kleinen Käs, den gab er ihr für sie und ihre
Mutter. Raschen Schrittes eilte die Dirne abwärts, da
glitt sie auf der glatten Trift, fiel hin, und der Käs
rollte in die Tiefe, unaufhaltbar in unzugängliche
Felsklüfte. Weinend und kummervoll schaute die
arme Dirne dem entrollten Käse nach, da faßte etwas
ihre Hand, und sie erschrak zum Tode, und bei ihr
stand so ein klein winziges graues Herdmanndli, das
hatte auf seiner Schulter das verlorengegangene
Stückchen Alpenkäse, etwa so groß wie ein Viertels-
mühlstein und in der Hand ein Büschel Kräuter, und
sprach: Magst den Käs mit heimnehmen und deiner
Mutter von den Kräutern einen Tee kochen, sollst
nicht mehr hülflos weinen. – Hoch droben im Gebirg
aber tobte das Unwetter noch fort, über alle Maßen
greulich, und war ein Donnern, Tosen und Krachen,
als ginge die Welt unter. Wie das Maidli zur Mutter
kam, war der Käs ein Stück so schweres Gold geworden,
und vom Kräutertee wurde die Mutter ganz gesund.
Über die Kastelen-Alp aber hatte sich im Gewitter
ein Bergsturz geschüttet, die Matten verwüstet,
die Herden erschlagen und ein Stein, etwa so groß wie
ein Alpenkäs, hatte dem geizigen Vetter einen Fuß
abgeschlagen. Später ist er noch zu seiner Muhme
Haus gehinkt gekommen und hat gebettelt.
17. Blümelis-Alpe
Im Berner Oberland liegt ein Bergzug, die Klariden
geheißen, darauf waren herrliche Weiden, alle voll der
kräftigsten Alpenkräuter und Blumen, so daß jede
Kuh des Tages dreimal gemolken werden konnte und
jedes Melken dritthalb Maß in den Milcheimer gab.
Da war auch eine Alp, die war absonderlich schön,
triftreich und ganz voll Blumen, deswegen hieß man
sie auch die Blümelis-Alp. Darauf hatte ein reicher
Hirte sein Haus, das war ihm weit nicht schön genug,
wollt's schöner haben, baut' ein großes neues, baute
eine Treppe von eitel Käsen, darüber ging er mit seiner
liebsten Sennerin, seinem Hund und seiner Kuh,
und wenn die Käsetreppe schmutzig geworden war,
so ließ er sie mit Milch abwaschen. Im Tale wohnte
des Hirten fromme Mutter, die wußte nichts von ihres
Sohnes Frevel und gottlosem Tun, ging einmal eines
Sonntags hinauf auf die Blümelis-Alpe, wollte die
Sennerei besuchen, und erdürstete sehr, bat deshalb,
als sie kam, um einen Labetrank. Die Sennerin sah
die Alte gar ungern kommen, und der Sohn desgleichen,
und beide fürchteten deren Vorwürfe und wollten
sie gern bald wieder hinab haben. Und als die Alte
trank, fand sie, daß eine ruchlose Hand Sand auf die
Milch gestreut hatte. Da wandte sich die Alte alsbald
von hinnen, schritt die Alpe hinunter, stand drunten
still, hob die Hände empor und verwünschte die Gottlosen.
Alsbald brach ein Wetter los, wie wenn der
Jüngste Tag käme, und der kam auch für die Blümelis-