Deutsches Sagenbuch - 999 Deutsche Sagen. Ludwig BechsteinЧитать онлайн книгу.
des kleinen Gebirgs ist der
Drachenfels, er ist mit Drachen- und Lindwurmsagen
völlig umschuppt und umpanzert, es wäre mit ihnen
allein leicht ein Buch zu füllen. Hier hat der hörnene,
nicht der fälschlich so genannte gehörnte Siegfried
des alten deutschen Volksbuchs den Drachen erlegt,
gebraten und mit seinem Fett, das zu Horn erhärtete,
sich überall die Haut bestrichen, daß sie unverwundbar
ward. Nur zwischen die Achseln vermochte er
nicht zu langen, eine kleine Stelle blieb unbestrichen,
und das ward hernach die Ursache, daß der Kampfheld
erlag, denn gerade, als Siegfried sich an einem
Brunnen niederbückte und diese Stelle preisgab,
schleuderte ein boshafter Feind eine Lanze auf ihn,
die ihm tödlich ward.
104. Rolandseck
Es saß auf hoher Burg am Rhein hoch über dem
Stromtal ein junger Rittersmann, Roland geheißen,
manche sagen Roland von Angers, Neffe Karl des
Großen, der liebte ein Burgfräulein, Hildegunde, die
Tochter des Burggrafen Heribert, der auf dem nahen
Schloß Drachenfels saß, und wurde wiederum auch
von ihr geliebt. Da auch der alte Burggraf nichts
gegen die Verbindung seiner Tochter mit Ritter Roland
einzuwenden hatte, so verlobte er ihm seine geliebte
Tochter herzlich gern. Da erscholl, noch bevor
die Vermählung des Brautpaares erfolgen konnte, ein
Aufgebot der Ritterschaft gegen Hunnen und Heidenscharen,
die im Osten das Reich bedrohten, und dem
Ritter Roland geboten Pflicht und Ehre, diesem Aufgebot
zu folgen. Große Taten der Tapferkeit tat Roland
gegen die Heidenschwärme, und seine tapfere
Hand entschied den Kampf zugunsten des Christenheeres.
Davon kam die erfreuliche Kunde bald an den
Rhein und auf den Drachenfels und weckte dort große
Freude. Dann aber ward wieder eine Zeitlang keine
Kunde vom Ritter Roland vernommen. Endlich kam
ein heimkehrender Ritter am Siebengebürge vorüber
und sprach ein Nachtlager auf dem gastlichen Drachenfels
an, der verkündete, ohne daß er wußte, wie
schmerzlich für seine Wirte seine Kunde sei, daß Ritter
Roland in einem der letzten Kämpfe an seiner
Seite den Heldentod gefunden habe. Da entstand großes
Leid und Wehklagen, und Hildegunde war so
trauervoll, daß sie sogleich den Entschluß faßte, im
Kloster Nonnenwerth den Schleier zu nehmen, und da
der Bischof, der über dieses Kloster gebot, ihr Verwandter
war, so willigte er in Hildegundens dringendes
Verlangen, ihr das Probejahr zu erlassen, und ließ
sie schon nach eines Monates Frist als Nonne einkleiden.
Am folgenden Tage stieg ein Gast zum Drachenfels
empor, ward eingelassen und sah auf allen Mienen
nur Trauer. Mit Schreck und Freude erkannte Ritter
Heribert in dem Fremden den geliebten Ritter Roland.
Wohl war dieser für tot vom Schlachtfeld getragen
worden, aber wieder genesen, wohl hatte er Botschaft
gesendet, aber der Bote war nicht angelangt, und nun
fragte er nach seiner Hildegund und vernahm das
Donnerwort: Sie ist eine Nonne!
Schrecklich war, was Roland empfand. Stumm vor
Schmerz geht er vom Drachenfels herab, besteigt sein
Roß, reitet nach Rolandseck hinauf, entläßt seine Diener,
wählt sich droben einen Felsensitz, wo er herabschauen
kann nach Nonnenwerth, und schaut herab
nach der Geliebten, jeden Tag, und Mond um Mond,
und Jahr um Jahr, lebt als Einsiedler und murmelt Ge-
bete, wenn drunten im Tale die Klosterglocke klingt.
Bisweilen erblickt er die Nonne Hildegund, die aus
Trauer um ihn das ewig unlösbare Gelübde tat – bis
er einst sie lange nicht mehr sieht, bis ein Leichenzug
ihm sagt, daß sie geschieden aus dem irdischen Leben
und zum ewigen Frieden eingegangen. Und bald danach
ist Roland erblichen gefunden worden und ihr
dahin nachgegangen, wo alle liebenden Seelen im
Schoße der ewigen Liebe sich wieder einigen.
105. Die Knappschaft im Lüderich
Wie zum Bau des Kölner Domes der Drachenfels
einen großen Teil seines Gesteins lieferte, so auch lieferte
der Lüderich über Vollberg, der ein Eigentum
des Domkapitels in Köln war, sein Gestein, aber ein
edleres als der Drachenfels, zum großen Dombau, wie
die Sage geht. Der Schoß des Lüderichs gebar unermeßliche
Ausbeute seines Bergbaues, und auch früher,
schon in den Heidenzeiten, daher ward auch die
spätere christliche Knappschaft im Lüderich angesteckt
von heidnischem Wesen und allerlei Frevel.
Noch ist eine Stelle dort zu finden, welche der Heidenkeller
heißt, und die Sage kündet und deutet darauf
hin, daß der Bergbau im Lüderich Heidentum und
Christentum wohl eine Zeitlang gegenseitig bekämpft
habe, ehe es zusammenschmolz und das Christentum
den völligen Sieg errang. So gottlos war die Knappschaft,
daß sie die Räder an Karren und Göpeln aus
holländischen Käsen machten, daß sie runde Weizenbrote
den Berg hinabkollern ließen, denen etwa das
Bild der heiligen Hostien aufgedrückt war, und hinterdrein
riefen: Fall dich tot! Herrgott! fall dich tot!,
dann Steine hinterdrein schickten und schrien: Teufel!
lauf dem Herrgott nach! lauf dem Herrgott nach! –
Über solche und zahllose andere Frevel erwachte end-
lich der rächende Zorn des Himmels. Einem frommen
Hirten, der auf sonniger Trift des Lüderichs seine
Schafe weidete, erklang eine Stimme aus der Höhe:
Hirte, treibe weg vom Lüderich! – Den Herren des
Bergbaues erschien verlockend ein Jagdtier, dem sie
nacheilten, es flüchtete in die Höhle des Heidenkellers,
jene