Deutsches Sagenbuch - 999 Deutsche Sagen. Ludwig BechsteinЧитать онлайн книгу.
alle Schachte zusammen und erschlugen
die ganze Knappschaft; die Schachte ersoffen,
die Stollen wurden unfahrbar, und das Wasser,
das an einer Stelle aus dem Geklüft eines verschütteten
Stollens hervordrang, war rot vom Blute der Erschlagenen,
und immer noch quillt es, und immer
noch ist dessen Farbe rot wie Blut.
106. Die letzte Saat
Bei Mülheim, nahe dem Rhein, lag vorzeiten ein Kloster
namens Dünnwald, das war in Streit geraten über
hundert Morgen Ackerlandes mit einem nachbarlichen
Edeln, Junker Hall von Schleebusch. Das Kloster wie
der Junker sprachen dieses große Grundstück als Eigentum
an, doch hatte es der Junker im Besitz, aber
alle Nutzung verzehrten die Kosten des vor Gericht
geführten Rechtsstreites, die Anwälte, die Fürsprecher,
die Richter, die Schöffen, die Schreiber. Da bot
endlich der Junker Hall von Schleebusch gütlichen
Vergleich an und sprach zu den frommen Vätern des
Klosters Dünnwald: Fromme Väter, ich bin des langen
Haders müde, der uns beiderseits nicht frommt.
Die hundert Morgen sollen fürder und künftig für alle
Zeiten des Klosters Eigen sein, nur eins bedinge ich:
noch einmal eine, und zwar die letzte Aussaat. Ist die
zur Ernte reif und gediehen und eingebracht, so begebe
ich mich jedes Anspruchs an die hundert Morgen.
– Der Himmel stärke Euch, edler Junker, in solch
frommem Entschluß, sprach der Abt, doch seid Ihr
wohl so gnädig, dieses Versprechen uns schriftlich zu
geben. – Darauf wurde ein Brief auf Pergament doppelt
geschrieben und ausgefertigt, und der Junker hing
sein Siegel in Wachs daran, und der Abt des Klosters
das seine, und das große Konventsiegel kam auch
noch hinzu, und das des Priors, und noch zwölf Siegel
erbetener ritterlicher Zeugen, und war ein sehr schöner
Brief, diese Schenkungsurkunde auf ewige Zeiten
nach der Ernte der letzten Aussaat, die noch des Junkers
sein sollte. Junker Hall von Schleebusch ließ nun
seinen Acker bestellen und die hundert Morgen besäen,
das geschah im Herbst, und im Frühjahr ging die
Saat auf, wollte aber gar nicht recht in die Höhe
schießen wie andere Saat. Da nun das Fest der Hagelfeier
kam, wo man mit Prozessionen und Fahnen die
Felder umgeht und für sie betet, da sahen die Mönche
nach der Saat auf dem künftigen Klostererbe – aber
was sahen sie? – Eine Saat von Eicheln. – Betrug!
Betrug! schrien Abt und Prior und Konvent – aber es
half nichts, denn im Briefe stand: vnde bewilligen
ihme deme edeln junkherrn Hall vom Sleehenbosche
die letzte Vssaat sinder widerrede unde sinder alle geferde.
deßez czo gezügen han wir erbeten etc. Lange
noch freute Junker Hall von Schleebusch sich seines
schönen herrlich gedeihenden jungen Eichenwaldes,
er jagte noch Hasen und Hühner darin – die Bäume
wuchsen, und Abt und Prior und der ganze damalige
Konvent gingen einer nach dem andern zur ewigen
Ruhe der Saat, von Gott gesäet – und immer noch
wuchsen die Eichen, und im Archive der schöne Brief
wurde grau, und die Siegel wurden voll Staub, und es
dachte niemand mehr an ihn – und immer noch wuchsen
die Eichen, und das Kloster versank in Schutt und
Trümmer, und das neue Geschlecht, das gekommen
war, konnte die Schrift des alten Briefes nicht mehr
lesen.
107. Der Alte-Berg
Hoch und herrlich stand, landbeherrschend, das stolze
Grafenschloß Berg überm Tal der Dhüne und gab der
ganzen Grafschaft Berg den Namen, die hinter Jülich
und Cleve in so vielen Titeln deutscher Fürstenhäuser
unsterblich fortgeführt wird. An der Wupper wohnte
ein Vogt, Eberhard, aus dem Hause Teißerbant, der
hatte einen lieben Bruder, Adolf mit Namen, beide
besaßen die Schlösser Berg und Altena. Adolf vermählte
sich, und Eberhard minnte ein schönes Fräulein
auf Burg Odinthal, aber dieses starb in seiner Jugendblüte.
Graf Eberhard von Berg suchte seinen tiefen
Schmerz durch Waffenlärm zu übertäuben, und da
der Herzog Gottfried von Brabant dem Ritter von
Limburg und den Grafen von Berg Fehde bot, so
führte Eberhard die Scharen an und erfocht einen vollständigen
Sieg, ward aber verwundet und kam von
den Seinen hinweg, die ihn tot glauben mußten. Graf
Eberhard trat eine große Wallfahrt gen Rom an, wie
auch gen Compostell, dann kam er auf seinem Pilgergange
nach Thüringen zum Schlosse Käfernburg, wo
ein Verwandter von ihm namens Sizzo, nach andern
Sieghard, wohnte. Dieser Sizzo war es, welcher unter
der St. Johanniskirche auf dem Altenberge, wo der
heilige Bonifazius den Thüringern zuerst das Evange-
lium predigte, noch eine Kirche in des heiligen Georgs
Ehre erbaute, hernach im Tale das Kloster Asolverod
gründete, zu welcher Gründung Graf Eberhard
riet, und vom Kirchlein auf dem Georgenberge das
Kloster nun Georgenthal nannte. Und da wurde Graf
Eberhard von Berg und von der Mark der erste Abt.
Allein der demütige und fromme Sinn dieses Grafen
litt nicht lange diesen hohen Rang; er wollte dienen,
nicht herrschen, legte daher die Abtwürde zu Georgenthal
in Thüringen freiwillig nieder und zog als ein
büßender Pilgrim weiter. Da kam er zu dem Kloster
Morimund (Morimont) in der Champagne und bat daselbst
um den geringsten Dienst. Dort ließ man ihn
um Knechteslohn die Schweine hüten, und dies trieb
er unerkannt lange Jahre. Sein Bruder Adolf und nicht
minder der Bruder seiner verstorbenen Braut trugen
großes Sehnen nach dem Verlorenen, und der letztere