Deutsches Sagenbuch - 999 Deutsche Sagen. Ludwig BechsteinЧитать онлайн книгу.
und seinen Ring und belehnte ihn mit vielen Gütern.
Lange Zeit sind von diesem Löwensiege im Friesenlande
Lieder gesungen worden.
165. Das Zwergvolk im Osenberge
Im Osenberge, aus dem vorzeiten die Jungfrau trat,
welche dem Grafen von Oldenburg das Horn darreichte,
gibt es Zwerge und Erdmännlein.
Lurlei
Im Dorfe Bümmerstett war ein Wirtshaus, das hatte
von den Zwerglein gute Nahrung. Sie liebten das Bier
und holten es gern, wenn es vom Brauen noch warm
aus der Bütte kam, und bezahlten es mit gutem Gelde
vom feinsten Silber, obschon solches Geld kein landübliches
Gepräge hatte. Da ist auch einmal ein uraltes
Zwerglein zu durstiger Jahreszeit in das Brauhaus gekommen
und hat Bier holen wollen, hat aber großmächtigen
Durst mitgebracht und gleich etwelche gute
Züge in die Hitze getan, darauf ist es eingeschlafen
tief und fest, und niemand hat gewagt, es zu stören
oder zu wecken. Aber als das steinalte Männlein endlich
wieder aufgewacht ist, da hat es angehoben bitterlich
zu weinen und zu klagen: Ach ach ach! was
wird mein Großvater mir nun für Schläge geben! –
Und ist so eilend davongesprungen, daß es gar seinen
Bierkrug vergessen gehabt, und nimmermehr ist das
Männlein oder ein anderes Gezwerg wieder in das
Brauhaus zu Bümmerstett gekommen. Den Krug aber
hob der Wirt gut auf, und hatte die beste Nahrung;
dann heiratete des Wirtes Tochter, blieb aber mit
ihrem Mann im Hause und setzte die Wirtschaft fort,
und hatten auch lange Zeit Nahrung vollauf. Aber
endlich wurde durch Unvorsicht der Krug zerbrochen,
und von da an ging gleich die Wirtschaft den Krebsgang,
und mit dem Kruge war das Glück zerbrochen,
denn Glück und Glas, wie bald bricht das, oder Glück
und Glas, wie bald zerbricht ein Bierkrug! Der Wirt,
der die Tochter des alten Wirts gefreit hatte, wurde an
die hundert Jahre alt und hat es selbst oft und viel erzählt,
es ist aber schon lange her, daß er es erzählt
hat, schon volle zweihundert Jahre.
166. Die Elben
In den Gewässern um die Nordseeküsten, um Friesland
und zwischen der Elbemündung und Helgoland,
erblickt man häufig schwimmende Eierschalen; in diesen
fahren die Elben herum. Das sind kleine zarte Elementargeisterlein,
teils guter, teils schlimmer Art.
Sie wohnen im Wasser und kommen oft in Wasserbläschen
über fischleeren Weihern auf die Oberfläche,
hausen aber auch in kleinen Hügeln; in Brabant heißen
diese Hügel Alvinnenhügel, da hat das alte Wort
Alf, Elf, Elbe sich nur in Alfin, Alvinne umgewandelt.
So klein der Elben Erscheinen ist, so groß ist
ihre Macht, dies deutet nichts besser an als der große
gewaltige Strom, an dessen Ausgang in das Meer sie
wohnen, und der ihren Namen trägt, die Elbe, darin
wohl einen tiefen Sinn – des Naturgeistes Mächtigkeit
zugleich im Kleinsten wie im Größten – die alte mythische
Weisheit in der deutschen Sprache runischen
Zauber bannte. So mag einer das Rätsel aufgeben, mit
einem Wort das ätherisch Leichteste und etwas recht
Schweres, ins Gewicht Fallendes zu nennen. Im
Worte Elfenbein ist die Lösung gegeben.
In Westflandern sagen die Leute, wenn der Wind
recht pfeift und heult: Alvinna weint – und denken
sich unter der Alvinna eine mythische Persönlichkeit,
es ist aber eben nur die personifizierte Naturstimme,
als elbisch-dämonische Macht im dunkeln Volksbewußtsein
lebendig.
167. Das heilige Land
Hoch aus der Nordsee Fluten hebt sich die Insel Helgoland,
deren Name noch im vorigen Jahrhundert gar
nicht anders als Heilgeland geschrieben wurde, insula
sancta, weil sie vor grauen Zeiten ein Götterheiligtum
gewesen. Schon damals mochte der Reimspruch seine
Geltung haben:
Grün ist das Land,
Rot ist der Rand,
Weiß ist der Sand,
Das sind die Zeichen von Helgoland.
Als das Heidentum verschwunden war, hatten auf
dieser Insel sieben ausgedehnte Kirchspiele Raum.
Noch im Jahre 1530 ernährte die Insel, nachdem die
Meeresflut längst des Landes größten Teil verschlungen,
über zweitausend Bewohner fast ausschließlich
durch den Heringsfang. Da kam es einigen Übermütigen
bei, die nur geringen Fang getan, einen oder einige
Heringe mit Ruten zu peitschen, da schwand auch
dieser Segen hinweg, die Insel wurde immer kleiner
und immer ärmer, und was vordem Tausende genährt,
nährte nun nur noch Hunderte. Die Sage geht, daß das
Heilgeland von alters her kein giftiges Tier auf sich
dulde. Wegen der Heringe, sagen andere, sei es also
gewesen, daß die Helgoländer oft nicht Tonnen und
Salz genug für den reichen Segen gehabt, die Heringe
seien sogar den Strand hinaufgelaufen, da habe eine
alte Helgoländerin, darüber ärgerlich, einmal einen
Besen genommen und sie hinuntergefegt, von dieser
Zeit an seien sie ausgeblieben.
168. Fositesland
Auf der Insel Helgoland stand zu Heidenzeiten das
Heiligtum eines Gottes des Namens Fosite oder Fosete,
der war ein Gott der Eintracht und des Friedens.
Kein unreines Tier durfte seinem Tempel nahen, und
wer des Ortes Heiligkeit verletzte, mußte den Tod erleiden.
Die Apostel dieses gottheiligen Landes waren
Ludger und Wilibrord. Ludger schiffte, ein Kreuz in
der Hand, auf die Insel zu, und sang den sechzigsten
Psalm. Da ward ein Rauch erblickt, der von der Insel
aufstieg und hoch über sie sich ausbreitete