Johannas Gerechtigkeit (Rache einer Vergewaltigten). Martin WischmannЧитать онлайн книгу.
Arbeit, im Grunde rund um die Uhr und war das genaue Gegenteil der Ponyhofromantik, die viele unwissende Großstädter auf dem Land vermuteten, wie Karl es immer wieder betonte, wenn das Thema auf die Zukunft des Hofes fiel. Karl meinte stets, dass er einen echten Mann an den Händen erkenne. Sind die Handflächen weich und rosafarbig hat der Weichling, wie er es nannte, auf dem Land nichts zu suchen. Nach Karls Philosophie mussten Männerhände hart, rau und von dicker Hornhaut bedeckt sein, -einen Händedruck, gleich eines Schraubstockes ausüben können und völlig temperaturunempfindlich sein. Karl wusste, was Anpacken bedeutet, weil er von Kindesbeinen an das Arbeiten, das schwere Arbeiten gewohnt war. Die Zeit, einen halben Tag die Füße hochzulegen, hatte ein Bauer nicht, denn jedes Tier, egal ob Milchvieh, Borsten- oder Federvieh musste versorgt werden, mit allem was dazu gehörte. Dieser Verantwortung musste sich jeder ernsthafte Anwärter auf die Hofübernahme bewusst sein. Schon lange kreisten die Gedanken von Karl um das Thema der Hofzukunft. Und auch wenn er ein wenig traurig darüber war, das Rudolf am Hof kein Interesse zeigte, so war er doch andererseits auch stolz auf seinen Schwiegersohn, denn in seiner Arbeit als Versicherungsangestellter blühte er auf und führte den Job zuverlässig und mit großem Fleiß aus. Immer wieder betonte Karl auch, dass Rudolf gutes Geld verdiene, ohne sich zu überanstrengen. Meist schoss Karl solche Verbalpfeile ab, wenn er müde gearbeitet und leicht gereizt war, aber es blieb stets bei einem Satz. Aber im Herzen wusste Karl, das Rudolf ein treusorgender Ehemann und Familienvater war. Einzig die Auffassung von Arbeit unterschied die zwei Männer, ansonsten respektierten sich beide gegenseitig. Während Rudolf noch ein wenig in seiner Aktentasche, die auf dem Stuhl neben ihm stand, herumkramte, wie er es immer tat, bevor er sich auf den Weg zu seinem Arbeitsplatz machte, trug Karl, dessen Gedanken noch immer bei der Zukunft des Hofes waren, die beiden leeren Kaffeetassen, zu dem kleinen Spülbecken unweit des Esstisches. „Karl“, sagte Rudolf, während er seine Aktentasche verschloss, „ich werde heute nach der Arbeit rüber zum Krankenhaus fahren. Der Arzt hat gemeint, dass Marianne und das Baby, wenn nichts dazwischen kommt, heute Abend nach Hause dürfen. Freust du dich auf Johanna?“ „Johanna, …an den Namen muss ich mich erst noch gewöhnen, …natürlich freue ich mich auf die kleine Krott. Du weißt ja, wie ich es meine. Hier in unserer Gegend bezeichnen wir liebevoll ein kleines Mädchen als Krott, es ist sozusagen eine süße kleine Kröte.“ Während Rudolf wortlos zu den Kleiderhaken ging, welche an der Rückseite der Küchentür befestigt waren, um seine hellgraue Anzugjacke abzuhängen, fuhr Karl fort: „Rudolf, warum hängst du denn deinen Wams, -deine Jacke immer in der Küche auf? Sie nimmt doch den Geruch des Essens an.“ „Mach dir keine Gedanken“, erwiderte Rudolf, „ die Jacke ist nicht so empfindlich. Die Küche wird auch in Zukunft ein guter Platz für sie sein, …sicher besser als unser Schlafzimmer, wenn es nach den vollgeschissenen Windeln von Johanna stinkt. Oje, …bei Marianne darf ich nichts von stinkenden Windeln sagen, …du weißt doch, …für Mütter stinken die Windeln nicht, sie muffeln höchstens.“ „Wie wahr“, ergänzte Karl, „wenn ich daran denke, wieviel Stoffwindeln Marianne in den nächsten Monaten waschen muss. Da hat sie viel zu tun, …aber so ist das halt, … Windelwaschen ist Frauenarbeit.“ „Gottlob, da hast du recht“, nickte Rudolf, „ich habe vorsorglich einen ganzen Schwung neuer Stoffwindeln gekauft, falls Marianne mit der Wäsche nicht nachkommt. Gott sei Dank ist der kleine Dietrich seit einigen Wochen aus den Windeln raus, so hat Marianne nicht noch die doppelte Arbeit. Obwohl Dietrich mit seinen zweieinhalb Jahren eigentlich ganz früh sauber ist, zumindest im Vergleich zu mir. Meine Mutter hat mir immer vorgehalten, dass ich noch an meinem vierten Geburtstag Windeln anhatte.“ „Großer Gott“, fuhr Karl auf, „da war deine Mutter aber nicht zu beneiden, bei so einem hosenscheißenden Balg, oder?“ „Ja, so war ich eben“, antwortete Rudolf, „nun muss ich mich aber fertigmachen. Die Arbeit ruft.“ Rudolf spähte auf seinem Weg durch den Hausflur einen kurzen Moment in das offen stehende Schlafzimmer, um einen Kontrollblick auf seinen kleinen Sohn Dietrich zu werfen, der friedlich schlafend in dem kleinen Kinderbettchen, welches direkt neben dem elterlichen Ehebett stand, vor sich hinschlummerte. Dann verschwand er hinter der Badezimmertür. Knapp zehn Minuten später kehrte der Mann in die Küche zurück, fein heraus geputzt in seinem grauen Anzug, dem weißen Hemd und der blassvioletten Krawatte. Dazu die schwarzen Lackschuhe und die vergoldeten Manschettenknöpfe. Der eigentliche Geruch der Küche, bestehend aus einer Mischung von Kaffeearoma und etlicher sonstiger, teils undefinierbarer Geruchsrichtungen, zu denen auch Karl nicht unerheblich beitrug, wurden schlagartig von Rudolfs starkem Rasierwasser überdeckt. Der Mann verwendete das scharfe Wasser allmorgendlich, obwohl es wie Feuer auf der empfindlichen Gesichtshaut brannte. Karl hingegen pflegte überhaupt kein Rasierwasser zu nehmen, denn man könnte seiner Meinung nach die Haut mit reinem Leitungswasser wesentlich pfleglicher behandeln, als mit dem Geldabzockerwasser. „Ich bin fertig, Karl“, rief der Schwiegersohn, während er seine Aktentasche griff und anschließend aus der schmalen Schublade des massiven Holztisches seinen Autoschlüssel hervor holte, „kannst du bitte nachher nach Dietrich sehen? Er schläft noch, …seine frischen Anziehsachen liegen neben dem Bett auf der Kommode. Schau, dass er genug isst, aber pass bitte auf, dass er nicht alleine die steilen Treppen betritt. Meinst du, du schaffst es? Heute Abend sind wir ja alle wieder da. Ich hole Marianne und Johanna vermutlich direkt nach der Arbeit ab.“ „Alles klar“, antwortete Karl nickend, „schließlich habe auch ich schon Kinder großgezogen. Unsere Marianne kam ja mitten im zweiten Weltkrieg zur Welt. Meine Güte, das waren Zeiten, …so etwas kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen. Und den Luxus von vorgefertigten Stoffwindeln, die man nach Gebrauch nur waschen muss, hatten wir seinerzeit nicht, …wir mussten Stoffreste und dergleichen nehmen. Heute in den Sechzigern habt ihr es so gut.“ „Alles gut“, fuhr Rudolf leicht gereizt seinem Schwiegervater fast ins Wort, „also dann, …bis heute Abend, …mit einem neuen Familienmitglied.“ Karl nickte seinem Schwiegersohn wortlos zu und begab sich, während dieser leise das Haus verließ, zum Schlafzimmer, in dem der kleine Dietrich noch immer ganz leise schnarchend schlief. Der Großvater warf einen kurzen Kontrollblick auf sein Enkelkind und schritt anschließend zur Haustüre hinaus, die er bis zum Anschlag offen stehen ließ, um das Wachwerden des kleinen Dietrich nicht zu versäumen und setzte sich auf die alte, verwitterte Holzbank, die sich unweit der Haustüre an der Hauswand, auf welche das erste morgendliche Sonnenlicht fiel, befand. Er atmete ein paar Mal schwer durch, nachdem er auf der Bank Platz genommen hatte und genoss die warmen Strahlen der Aprilsonne auf seinem Gesicht und den Unterarmen. Die ersten Vögel zwitscherten von den naheliegenden Birkenbäumen, die das ganze Anwesen in Unmengen umgrenzten. Die langsam höher steigende Sonne vertrieb rasch die Morgenkühle, die allmorgendlich noch von den kalten Nächten kündete. Die Aprilnächte waren noch richtig frisch, doch der Frühling war nicht mehr aufzuhalten, dessen war Karl sich bewusst. Sein Blick schweifte über die Teile des Anwesens, die von der Bank aus einzusehen waren. Das gesamte Areal umfasste das zweigeschossige Wohnhaus, eine große, hallenartige Scheune, mehrere Stallgebäude und großflächiges Wiesen- und Weideland. Umgeben war der Hofbereich von mehr oder weniger unberührter Natur, lediglich alle paar Hundert Meter befand sich eine Feldscheune oder ein weiterer Hof, von denen einige jedoch nicht mehr bewohnt waren und zum Verkauf standen. Bis zum nächsten größeren Ort, -der Kleinstadt Weilburg an der Lahn, waren es etwa acht Kilometer entlang der Landstraße. Dort, am malerischen Flusslauf der Lahn gelegen, arbeitete Rudolf und dort besorgte die Familie auch ihre Einkäufe. Frankfurt am Main war die nächstgelegene Großstadt, aber mit etwa fünfzig Kilometer Entfernung war sie so weit weg, dass Rudolf und seine Frau Marianne meist nur ein- bis zweimal im Jahr hinfuhren. Rudolf liebte die zahlreichen Museen der Stadt, Marianne hingegen hätte am liebsten ständig den städtischen Zoo besucht. Karl dagegen verließ so gut wie nie die Umgebung des Hofes. Sein Leben spielte sich fast nur dort ab. Die Stunden, ja fast jede Minute, waren mit einer bestimmten Tätigkeit verbunden und verplant, selbst die morgendliche Ruhepause auf der Bank, vorausgesetzt das Wetter spielte mit. So saß Karl auch diesmal entspannt auf der Bank, bis die Rufe des wachgewordenen Dietrich die morgendliche Stille unterbrachen und den Opa aus dessen Gedanken rissen. „Ma, …Mama“, schallte es aus dem Inneren des Hauses. Der Großvater erhob sich mit einem leichten Stöhnen von seiner Bank, denn seine beiden Kniee schmerzten bereits seit Jahren, besonders wenn er sich aus sitzender oder liegender Position erhob. Karl hatte gerade einmal den Türrahmen der offen stehenden Haustüre durchschritten, da erblickte er bereits, den im Flur stehenden kleinen Enkeljungen. „Na, guten Morgen, mein lieber Dietrich. Gut geschlafen, mein kleiner Enkelsohn?“, begrüßte