Tahiti. Gerstäcker FriedrichЧитать онлайн книгу.
„Wie schön Du bist, Sadie!" rief René fast unwillkürlich aus und streckte ihr seine Hand entgegen.
„Nicht Sadie jetzt," sagte aber das junge Mädchen und schüttelte leise mit dem Kopf - „Prudentia heiß' ich, denn ich gehe jetzt zu meinem Gott, durch dessen heiliges Wasser ich den Namen bekommen habe. Aber hier, mein Freund," setzte sie mit bittendem Ton hinzu, indem sie die ihr gebotene Hand ergriff und dabei dem jungen Mann zugleich das kleine Buch entgegenhielt - „nimm das hier und lies darin, während wir in der Kirche für Dich und Dein Wohl beten wollen - es ist ein gutes Buch und wird Dich trösten."
Es lag etwas so rührend Herzliches in dem Ton, mit dem das holde Kind diese Worte sprach, daß René das Buch nahm, ihr leise die gereichte Hand drückte und sagte:
„Ich danke Dir, Sadie - Du mußt mir nun schon erlauben, Dich so zu nennen - das andere Wort will mir gar nicht über die Lippen - aber Du bleibst doch nicht lange?"
„Vielleicht nur zu kurze Zeit für so schwere Sünder, als wir sind," sagte das Mädchen ernst und fast traurig - „aber lebe wohl und fürchte nichts für Deine Sicherheit. Von der andern Seite der Insel sind eben Männer zur Kirche herüber gekommen, und sie berichten, daß Dein Schiff nirgends mehr zu sehen sei - es ist weit nach Westen gegangen und müßte lange Zeit brauchen, wollte es gegen den Wind wieder nach uns aufkreuzen. - Bleibe aber hier im Hause und zeige Dich nicht den Leuten draußen; doch davon sprechen wir nachher, jetzt darf ich nicht an weltliche Sachen denken - ich dachte aber auch nur Deinetwegen daran" - setzte sie leiser hinzu, und eine tiefe Röthe breitete sich über ihre schönen, so engelsanften Züge.
Auf den kleinen Mitonare hatte der Ton der Glocke aber ebenfalls eine fast zauberhafte Wirkung ausgeübt. - Noch im Lachen über den Fremden hörte er den ersten Ton dersel-/50/ben, und wie ein in seiner Lust von dem strengen Blick des Lehrers ertappter Schulknabe, zog sich sein Gesicht nicht, nein zuckte es förmlich in die alten ehrbaren Falten hinein, die ihm dabei fast noch komischer standen, als das Lachen vorher. Er erhob sich hastig, ergriff seine Bücher - alle in die ta hitische Sprache durch die Missionäre übersetzt, - und Sadie einige Worte sagend, verließ er mit dieser langsamen Schrittes das Haus.
René blieb allein zurück; Sadie hatte ihn heute absichtlich nicht aufgefordert, sie in die Kirche zu begleiten, was sie sonst gewiß nicht versäumt haben würde. Es waren aber viele Insulaner, die gestern Theil an den Vorfällen gehabt, von der andern Seite herübergekommen, und sie wollte beide Parteien nicht jetzt schon wieder zusammenbringen. Der Aufenthalt des Fremden konnte übrigens, wie sie recht gut wußte, nicht lange geheim bleiben, wenn er das überhaupt nur bis jetzt noch geblieben war. Den Frieden des Missionsgebäudes störten aber selbst die Verhärtesten ihres Stammes nicht so leicht, und sie glaubte den armen, von allen Uebrigen verlassenen Fremden wenigstens hier sicher.
René warf sich auf eine der überall in dem hohen, luftigen Gebäude ausgebreiteten Matten und lag lange in tiefem Brüten über die letzten für ihn so verhängnißvoll gewesenen Stunden. Er war einer sehr dringenden Gefahr für den Augenblick entgangen, aber kam das Schiff zurück - und er zweifelte kaum daran, daß der Capitain wenigstens noch einen Versuch machen würde, ihn wieder zu bekommen - wie sollte er dann sich retten? - Er durfte auch kaum hoffen, von einem englischen und protestantischen Missionär beschützt zu werden, und das Beste blieb immer, daß er weder Schiff noch Missionär abwartete und so rasch als möglich die Insel zu verlassen suchte. - Aber Sadie? - würde sie ihn begleiten? - Er erschrak ordentlich vor dem Gedanken sie zurückzulassen, und mochte sich selber kaum gestehen, wie gewaltig dies holde Kind des Waldes sein Herz schon gefesselt habe und halte.
„Das ist Thorheit," murmelte er vor sich hin - „Wahnsinn, jetzt an Liebe zu denken, wo Du selber noch nicht einmal eine Stätte hast, Dein Haupt hinzulegen. Sei vernünf-/51/tig, René- hier an die Inseln geworfen, hat das erste hübsche Gesicht, was Dir in den Weg kam, Dein überhaupt etwas leicht entzündliches Herz in lichterlohe Flammen gesetzt - das ist ein Strohfeuer und brennt in der ersten Woche aus."
Er stützte den Kopf in die Hand und schlug das Buch auf, das noch immer vor ihm lag; aber die Buchstaben tanzten ihm vor den Augen; zwischen jeder Zeile lachten die holden schelmischen, und doch so sanften Züge des lieben Kindes heraus, und weder St. Lukas noch die Korinther vermochten den Zauber zu lösen, der seine Seele mit der wilden Gluth plötzlicher, aber gewaltig erwachter Liebe entzündet hatte.
Der Tag verging ihm langsam - Sadie kehrte mit dem kleinen Missionär wohl um die Mittagszeit zurück, aber es war Sonntag - kein Lächeln stahl sich über ihre Züge. - Selten oder nie begegnete ihr Blick dem seinen, und die Stunden flossen ihm träge unter Gebeten und Hymnen dahin.
Schon vor Tag am nächsten Morgen war er auf, badete in dem krystallhellen Wasser der Korallenbänke, und harrte dann mit wirklicher Sehnsucht des schönen Kindes, das aber heute lange, lange ausblieb und sich ihm gar nicht wieder zeigen wollte. Vergebens erfrug er sie bei dem Mitonare.
„Pu-de-ni-a?" sagte dieser kopfschüttelnd und mit seinem rätselhaften Englisch - „der Herr weiß, wo man das Mädchen suchen soll, wenn man sie haben will – Pu-de-ni-a ataetai - wie kleine Eidechse, hier im Laub und da im Laub - kann sie nicht fassen - ist weg unter den Augen."
Der Kleine schien heut übrigens besonders zu einer Unterhaltung aufgelegt, lehnte sich auf seine Matte zurück, faltete die kurzen dicken Finger auf dem runden Magen und begann wieder auf das herablassendste eine ganze Reihe von Fragen an den jungen Mann zu stellen, die ihm oft kaum Zeit ließen, nur den Sinn zu verstehen, ehe sie wieder, ohne die Beantwortung der ersten abzuwarten, von anderen verdrängt wurden. Er trug aber heute weder den schwarzen Frack, noch die hellgelbe Weste mit den blanken Knöpfen. Selbst das weiße Halstuch lag, sorgfältig in ein Stück gelbes englisches Packpapier eingewickelt auf einem kleinen Bücherbrett, neben seinem geistlichen Schatz. Seine Bewegungen waren /52/ aber dadurch auch freier geworden, und er schien mit dem Frack auch den ganzen Mitonare ausgezogen zu haben. Er war, wie er jetzt selber René aus freien Stücken erzählte, noch vor zehn Jahren ein entsetzlicher Heide gewesen, der glaubte, daß das höchste Wesen Taaroa und nicht Gott hieß, der sogar seinen Götzen Früchte und Schweinefleisch zum Opfer brachte und Gefallen an den sündhaften Tänzen der eingeborenen Mädchen fand, Mitnorae o-no-so-no, Gott weiß, wie der Mann in wirklichem Englisch hieß, hatte ihn jedoch gerettet, sein Vater aber und sein Großvater, und seinem Großvater sein Großvater waren alle in der Hölle - konnten aber nichts dafür - waren aus Versehen hinuntergekommen. - Er hatte sich sogar tätowiren lassen, und als er sah, daß René, wahrscheinlich unbewußt, ein erstauntes Gesicht dabei machte, was er vielleicht für Unglauben nahm, lüftete er mit einer halben Wendung den Kattun, fiel aber erschrocken wieder in seine alte Stellung zurück und sah sich nach allen Seiten um, als René der sich nicht helfen konnte, bei der Bewegung plötzlich in ein schallendes Gelächter ausbrach. Das hätte der kleine Mann aber bald übel genommen, René wußte ihn jedoch wieder zu beruhigen, und er begnügte sich von da an ihm seine Lebensgeschichte ohne Illustrationen zu geben. Das Mitonaresein war seiner Meinung nach ein sehr schweres Geschäft - weniger des Predigens, als des Frackes wegen - und der viele Aerger mit den Mädchen - so viel junges, leichtsinniges Volk - denken immer, können in den Himmel kommen, wenn sie lustig sind - bah - wissen's nicht besser. - Da in dem Buch steht Alles drin - sehr gutes Buch - ein bischen dick - aber sehr gutes Buch, und viele schwere Worte drin. Jetzt kam aber bald eine böse Zeit - weiße Mitonares - vier, fünf, sechs kamen hier herüber - sahen zu, ob Mitonare rother Mann viel weiß und kleine Kanakas iti-iti gut unterrichtet hat - viele schwere Worte auswendig lernen und viel Aerger mit iti-iti. Pu-de-ni-a gutes Kind," setzte er dann hinzu - ,,aber ein bischen wild - ein bischen sehr wild für /53/ waihini - Mitonare O-no-so-no Tochter - aber nicht Tochter - nur so Tochter -" und er bemühte sich dann in langer Rede und mit großer Anstrengung dem jungen Mann begreiflich zu machen, daß Pu-de-ni-a O-no-so-no's Pflegetochter sei.
Das war etwa der Inhalt seiner Unterhaltung, bei der er ziemlich allein das Wort führte und René allerdings nur nothdürftig den Sinn des Ganzen verstand, indem der Alte oft mehr tahitische als englische Worte gebrauchte, und selbst diese wenigen noch auf wahrhaft grausame Art verstümmelte. René konnte es zuletzt nicht länger aushalten - die Sehnsucht, die ihn auf der einen Seite quälte, Sadie wieder zu sehen, und die peinlich scharfe