Alles in Blut. Ole R. BörgdahlЧитать онлайн книгу.
kann als Todesursache Ersticken angenommen werden. Dann wurden bei der Obduktion aber noch Hinweise auf einen Herzinfarkt gefunden. Der Pathologe hat nach Langem hin und her am Ende entschieden, dass es sich um keinen natürlichen Tod handelt und dass von Fremdverschulden auszugehen ist. So wurde es zu einem Fall für die Mordkommission.«
Ich sah mir noch einmal die Tatortfotos an und überlegte. »Sie sind da nicht so ganz sicher?«, fragte ich Bruckner.
»Dass es Mord war?«
»Ja, Fremdverschulden, Mord, Totschlag, was auch immer.«
Bruckner rieb sich das Kinn. »Es wäre einfacher, wenn der Mann eine Schusswunde gehabt hätte oder eine Stichverletzung, und weil diese und andere eindeutigen Anzeichen fehlten wurde die Angelegenheit zu einem Cold Case, wie Sie es nannten.«
»Niemand legt sich so hin, um zu sterben«, entgegnete ich. »Das sollte erst einmal klar sein. Es muss jemand den Tatort manipuliert haben. Wer sollte das gewesen sein, wer sollte daran Interesse haben?«
»Sehen Sie, da sind wir schon bei der Diskussion. Es ist eben nicht so einfach. Natürlich wurden alle Fakten überprüft, aber die Ergebnisse sind etwas dürftig.«
»Gut! Lassen Sie uns systematisch vorgehen, dafür haben Sie mich ja aufgesucht. Ich beginne auch schon zu spekulieren, was nicht richtig ist. Ich bin eben nicht mehr in Übung.«
»Systematisch vorgehen«, wiederholte Bruckner. »Ich werde noch einmal von vorne beginnen, Ihnen nur die Fakten nennen und Sie sagen mir hinterher, was Sie denken.«
Ich nickte und lehnte mich in meinen Sessel zurück. Bruckner sortierte die Unterlagen. Er begann mit der wichtigsten Information.
»Der Tote wurde am 30. September 2003 in einem Zimmer des Hotels Euroham in der Barkstraße 23 gefunden, in einem Zimmer, das gar nicht vermietet war. Das Zimmer Nummer 411 stand seit etwas mehr als einer Woche leer, davor wurde es wegen eines Wasserschadens im Badezimmer renoviert. Die Leiche wurde nur gefunden, weil ein neuer Gast, ein Vertreter aus Dortmund, genau das Zimmer Nummer 411 haben wollte. Der Mann hat die Leiche gefunden.«
»Wurde dieser Gast vernommen?«, fragte ich.
»Ja, aber es kam nichts dabei heraus, der Mann war eben nur ein Gast.«
»Warum wollte er genau dieses Zimmer haben?«
»Auch nichts Ungewöhnliches. Er war Stammgast, kam alle paar Monate nach Hamburg, stieg immer in demselben Hotel ab und hatte eben immer dasselbe Zimmer, die Nummer 411, weiter nichts.«
Wir schwiegen einige Sekunden.
»Soll ich weitermachen«, fragte Bruckner.
Ich nickte, lehnte mich wieder zurück.
Bruckner räusperte sich, nahm den Bericht. »Die Leiche war vollständig unbekleidet, Geschlecht männlich, mit neunzigprozentiger Wahrscheinlichkeit nicht jünger als fünfunddreißig und nicht älter als fünfundvierzig Jahre. Der Körper lag auf dem Rücken, die Arme seitlich angelegt, leicht abgespreizt, die Beine gerade, die Füße senkrecht gestellt. Mund und Augen waren geschlossen. Es gab einen eingetrockneten Speichelfluss im rechten Mundwinkel. Die Leiche wies keine äußeren Verletzungen auf. Es gab noch keine vollständig ausgeprägten Leichenflecken. Die Lage und Anordnung der vorhandenen Leichenflecken deuteten nicht darauf hin, dass die Leiche nach Eintritt des Todes noch einmal bewegt wurde. Die pathologische Obduktion ergab folgenden Befund.« Bruckner begann, aus dem Bericht zu zitieren. »Äußere Leichenschau: unauffällige Alltagsnarben von geringfügigen Verletzungen. An beiden Oberarmen wurden Impfnarben unbestimmten Alters festgestellt. Keine Tätowierungen. An der Innenseite des rechten Oberarms wurde aber eine Brandnarbe gefunden, die auch zur Beseitigung einer vorhandenen Tätowierung gedient haben könnte. Dann eine Operationsnarbe am linken Knie mit einem geschätzten Alter zwischen sechs und zwölf Monaten. Anhand einer Röntgenanalyse konnte eine Operation zur Korrektur des Bänderapparates im linken Knie diagnostiziert werden. Ansonsten hat die Röntgenuntersuchung keine frischen oder ausgeheilten Knochenfrakturen ergeben. Eine Röntgenuntersuchung des Gebisses zur Feststellung des Zahnstatus wurde nicht vorgenommen. Eine Begutachtung des Gebisses ergab keine gravierende Auffälligkeit, Weiteres ist dem Zahnstatusbericht zu entnehmen. Von der Leiche wurden DNA-Proben genommen, sowie die Fingerabdrücke aller zehn Finger.«
Bruckner blickte von dem Bericht auf. »Es gibt Aufnahmen von der äußeren Leichenschau.«
Er griff wieder in den Umschlag, zog ein weiteres Bündel Fotografien hervor und legte sie auf den Tisch. Ich beugte mich vor. Eines der Bilder zeigte die Narbe am Knie, zwei weitere die Impfnarben an den Oberarmen. Ich nickte und Bruckner fuhr in dem Bericht fort.
»Leichenöffnung: keine inneren Verletzungen. Toxikologisches Gutachten negativ. Infarktbedingte Veränderungen an den Herzkammern und dem Herzmuskelgewebe sowie der Herzkranzgefäße. Eine geringfügige Vorschädigung des Herzens konnte diagnostiziert werden. Die sonstigen inneren Organe, Leber, Lungen, Nieren, Verdauungsorgane, entsprachen der Norm bezogen auf das geschätzte Alter des Toten. Mageninhalt negativ. Die letzte Nahrungsaufnahme muss mindestens zwölf Stunden vor Eintritt des Todes erfolgt sein. So weit zum Obduktionsbericht. Die Tabellen und Laborergebnisse brauche ich Ihnen ja nicht vorzulesen.«
»Nur wenn der Pathologe etwas Außergewöhnliches vermerkt hat«, antwortete ich.
Bruckner suchte noch einmal in dem Bericht und schüttelte dann den Kopf. »Toxikologisches Gutachten negativ, also kommen wir zum Tatort.« Er blätterte in den Seiten. »Fundort der Leiche war wie gesagt das Hotel Euroham in der Barkstraße, im Bezirk Hamburg-Wandsbek, Stadtteil Bramfeld. Kennen Sie sich in Bramfeld aus?«, fragte Bruckner mich.
»Ein wenig, allerdings kenne ich dieses Hotel nicht, nie davon gehört.« Ich überlegte. »Euroham in der Barkstraße, nein.«
Bruckner suchte nach weiteren Fotografien und legte sie mir vor. »Hier ist das Hotel von außen und hier die Barkstraße, eine kleine Nebenstraße. Das Hotel hat Zimmer nach vorne und welche zu einem Innenhof.«
Ich sah mir die Aufnahmen an. Mülltonnen standen auf dem Gehweg, ein Fahrrad mit einem platten Vorderreifen lehnte an der Fassade des Hotels. Die Leuchtreklame mit dem Hotelnamen war an einer Ecke zerbrochen, sodass man die Neonröhren im Inneren sehen konnte. Der Innenhof wirkte aufgeräumt. An das Geländer einer Kellertreppe waren leere Obstkisten und Pappkartons gestapelt. Ich legte die Fotografien zurück auf den Tisch. Bruckner sah mich an. Er versuchte wohl eine Reaktion aus meinem Gesicht zu lesen, aber die war nicht da, denn bisher hatte ich nicht viel Spektakuläres gesehen. Bruckner ging den Bericht weiter durch.
»Das Hotelzimmer: ein schmales Doppelbett, hundertsechzig Zentimeter breit, zweihundert Zentimeter lang. Links und rechts neben dem Bett zwei Nachttische. Die Schubfächer der Nachttische waren mit Zeitungspapier ausgelegt, ansonsten waren die Schubfächer leer. Bei der Spurensicherung wurden weder Fasern, Haare noch sonstige Partikel gefunden. Gleiches galt für das gesamte Hotelzimmer. Die DNA-Spuren beschränkten sich auf die Leiche. Im Hotelzimmer wurden keine DNA-Spuren anderer Personen identifiziert.« Bruckner sah mich wieder an. »Das Hotelzimmer war ohnehin nicht sehr ergiebig.«
Er zeigte mir ein weiteres Foto, eine Totale. Im gesamten Raum waren nur drei Spurenkarten ausgelegt. Die Nummer eins war der Leiche zugeordnet. Die Nummer zwei wies auf einen unregelmäßig geformten Fleck im Teppich.
»Der hat sich hinterher laut Aussagen des Hotelpersonals als alter Kaffeefleck herausgestellt«, erklärte Bruckner.
»Ein alter Fleck, ich dachte, das Zimmer wurde renoviert?«
»So etwas bekommt man eben nicht immer heraus«, sagte Bruckner achselzuckend. »Und der Teppich wurde wohl bei der Renovierung nicht erneuert.«
»Und! War es Kaffee?«
»Ja, schwarz ohne Zucker und ohne Milch.« Bruckner grinste.
Die dritte Spurenkarte wies auf eine gesprungene Kante am rechten Bettpfosten, eine Beschädigung, die ebenfalls schon älter zu sein schien und schon einmal mit Holzwachs ausgebessert worden war, was sich auch aus dem Bericht bestätigte.
»Das