Tod und Schatten. Ole R. BörgdahlЧитать онлайн книгу.
und blieb dann vor Marek stehen.
»Ich bin vom LKA.« Marek hielt dem Mann seinen Ausweis vors Gesicht. »Ich muss in die Gerichtsmedizin. Arbeitet denn da keiner mehr, da brennt doch Licht.« Er zeigte in den Gang hinter der Glastür.
Der uniformierte Wachmann nickte. »Ach so, Polizei. Da hätten Sie sich eigentlich unten bei uns anmelden müssen.«
»Sorry, das wusste ich nicht. Mein Name ist Kriminalkommissar Marek Quint. Es geht um ein ...«
»Ich weiß schon. Die Frau Doktor Sander ist heute Abend noch mal reingekommen, mit einem Neuzugang.«
»Mit einem Neuzugang?«
»Ach sie wissen schon«, sagte der Uniformierte. »Die Frau Doktor kam gleich nach dem Leichenwagen.«
»Ach, jetzt verstehe ich. Genau deswegen bin ich hier. Dann ist Dr. Sander noch bei der Arbeit.«
»Ich denke schon.«
Der Wachmann zückte eine Magnetkarte und zog sie durch das Lesegerät. An der Glastür summte es. Marek drückte die Tür auf.
»Soll ich Sie hinbringen?«, fragte der Wachmann.
Marek schüttelte den Kopf. »Ich folge einfach dem Licht.«
»Aber erschrecken Sie mir die Frau Doktor nicht«, sagte der Wachmann.
Er tippte sich zum Abschied an die Schläfe, drehte sich um und ging über den Flur davon. Marek betrat das Institut für Rechtsmedizin durch den nicht offiziellen Eingang. Der lange Gang, den er von der Tür aus gesehen hatte, endete in einem Treppenhaus. Dort brannte das Licht über zwei Etagen bis hinunter in den Keller. Er stieg hinab. Zwischen dem Erdgeschoss und dem Keller tauchte er in einen schweren Geruch ein. Es hatte etwas von Desinfektionsmitteln, aber es war noch etwas Anderes, etwas, das er nicht identifizieren konnte. Er konnte nicht einmal sagen, ob es unangenehm war, oder doch, nein, es war unangenehm. Unten im Keller des Instituts für Rechtsmedizin lagen die Kühlräume und gleich nebenan wurden die Obduktionen durchgeführt. Ein weiterer Gang, der bis zu den Wänden hoch gefliest war. Marek ging an den chromglänzenden Metalltüren vorbei, die sich links und rechts entlang des Ganges aneinanderreihten. In einige der Metalltüren waren runde Scheiben eingelassen. Dahinter war es schwarz, mit einer Ausnahme.
Er blieb vor der Tür stehen und schaute durch das runde Fenster. Der Obduktionsraum war hell erleuchtet. Ganz rechts auf dem Obduktionstisch lag eine entkleidete Leiche. Marek sah allerdings nur den Kopf und die Beine der Leiche, weil sich jemand mit dem Rücken zu ihm über den Rumpf gebeugt hatte. Die Person trug grüne Laborkleidung und blaue Latexhandschuhe. Das Haar war unter einer weißen Kunststoffhaube versteckt, die Gummiriemen des Mundschutzes liefen über den Hinterkopf. Die Person in Grün ging einen Schritt nach links und beugte sich über die Oberschenkel der Leiche. Weitere Schritte nach links zur Begutachtung der Unterschenkel und der Füße. Die Zehen der Leiche wurden gespreizt und ebenfalls einer genaueren Untersuchung unterzogen.
Marek klopfte schließlich gegen die Glasscheibe der Tür. Dr. Kerstin Sander blickte auf, schien ihn aber nicht zu erkennen. Sie streifte den rechten Handschuh ab, zog den Mundschutz herunter, ging zur Tür und öffnete.
»Ich soll Sie nicht erschrecken, meinte der Wachmann, der mich ins Gebäude gelassen hat.«
Kerstin Sander schüttelte den Kopf. »Wenn Sie anklopfen, dann erschrecke ich mich auch nicht.« Sie lächelte. »Ich hatte mal einen Chef, so einen Grafzahl-Typ, der hat sich während meiner Obduktionen immer von hinten angeschlichen. Da habe ich mich nie dran gewöhnt.«
»Grafzahl-Typ?«, fragte Marek.
Kerstin Sander nickte. »Spitze Nase und immer in Schwarz gekleidet. Zahlen hat er allerdings nicht verkauft.« Sie lachte. »Haben Sie Zahlen dabei?«
»Nein, leider nicht. Ich hatte gehofft, dass Sie noch etwas für mich haben.« Marek deutete zum Obduktionstisch. »Ist er das?«
»Ja, das ist er. Ich habe schon mit der äußeren Leichenbeschau begonnen. Das kann man auch alleine machen.« Sie zeigte ihm das kleine Aufnahmegerät, dass sie in der linken Hand hielt. »Wollen Sie mal hören?«
»Warum nicht«, sagt Marek.
Kerstin Sander schüttelte aber den Kopf. »Das war ein Spaß. Das Band wird abgetippt, dann können Sie alles in Ruhe nachlesen. Ich werde Ihnen aber die wichtigsten Fakten direkt an der Leiche erklären.«
Sie drehte sich um und ging zurück zum Seziertisch. Marek musste ihr folgen.
»Sehen Sie ihn sich an. In voller Blüte. Er hat viel für seinen Körper getan. Leider konnte das nichts gegen eine Schusswaffe ausrichten. Bei der Untersuchung der Körperöffnungen gab es keine Befunde.«
»Was wären das für Befunde?«, fragte Marek und sah dabei Kerstin Sander direkt an, nicht allein, um den Blick auf die Leiche zu vermeiden.
Sie wandte sich jedoch ab und zeigte an dem Toten, was sie meinte. »Man untersucht nach Frakturen, zum Beispiel am Kopf oder an den Gliedmaßen. Ist der Schädel noch intakt? Gibt es äußere Verletzungen und so weiter? Dann schaut man sich die Körperöffnungen an, ob dort jemand etwas eingespritzt hat oder ob es Vergiftungserscheinungen an den Schleimhäuten gibt.« Sie deutete auf Nase, Mund und Augen. »Gerade bei den Augen muss man genau hinschauen«, erklärte sie und zog das untere Lid des Toten herunter.
Marek blickte nur einmal kurz hin.
Kerstin Sander lächelte. »Das ist wohl nichts für Sie, aber Sie wissen schon, dass im Falle einer ungeklärten Todesursache die Kriminalpolizei bei der inneren Leichenschau anwesend sein muss. Haben Sie daran schon einmal teilgenommen?«
»Ehrlich gesagt nicht, also nicht direkt«, antwortete Marek zögerlich. »Ich war einmal dabei, aber da waren eine Glasscheibe und ein halbes Dutzend Rücken zwischen mir und der Leiche.«
»Ein paar Tage hier unten und Sie gewöhnen sich daran. Aber jetzt will ich Sie nicht weiter quälen. Wir haben bei unserem Toten zwei Schussverletzungen. Ich kann jetzt schon sagen, dass es sich bei der einen Verletzung um einen Herzschuss handelt, womit wir die Todesursache haben, also nicht sehr spannend. Die erste Schussverletzung hat dagegen nicht viel angerichtet. Es sieht zwar wie ein Lungentreffer aus, ich habe allerdings keine Anzeichen gefunden, dass die Lunge verletzt wurde. Außerdem war es wahrscheinlich ein Durchschuss, da ich kein Projektil orten konnte. Näheres kann ich da aber erst nach der inneren Leichenschau sagen.«
»Wann machen Sie die?«, fragte Marek. »Heute noch?«
Kerstin Sander schüttelte den Kopf. »Wenn ich einen Sektionsassistenten bekomme, dann vielleicht morgenfrüh, spätestens aber am Montag. Da die Todesursache ja schon bekannt ist, brauchen Sie nicht dabei zu sein.« Sie stutzte. »Ach ja, eine Sache habe ich dann doch noch, die Sie schon einmal wissen sollten.« Sie griff über die Leiche nach einer metallenen Nierenschale, die auf der anderen Seite des Obduktionstisches stand. »Das hier habe ich aus den Schusswunden gefischt.«
In der Nierenschale lagen blutig gefärbte Stoffstücke. Kerstin Sander nahm die Pinzette und hob eines der Stoffstücke an, das sich zu einem langen dünnen Faden über der Schale abwickelte.
»Was soll das sein?«, fragte Marek.
»So hat man im Mittelalter Wunden versorgt.«
»Bitte?«
»Das war ein Scherz«, sie lachte. »Also man hat das damals schon so gemacht, die Wunden ausgestopft, aber in unserem Fall wollte jemand verhindern, dass die Wunden nachbluten. Im Durchschuss waren diese Stoffbänder sogar von beiden Seiten des Schusskanals eingeführt.«
»Sie meinen, dass jemand versucht hat, ihn noch ärztlich zu versorgen?« Marek deutete auf die Leiche.
»Einen Toten ärztlich versorgen?« Kerstin Sander schüttelte den Kopf. »Und dann noch auf diese Weise. Nein, da wollte jemand die Leiche beseitigen und verhindern, dass es währenddessen allzu viele Blutspuren gibt.«
Marek holte sein Notizbuch hervor.
»Das brauchen Sie nicht