Tod und Schatten. Ole R. BörgdahlЧитать онлайн книгу.
habe.«
»Ein bisschen was aufschreiben hilft mir aber beim Denken, auch wenn es später in den Berichten auftaucht.« Marek besah sich noch einmal die blutigen Stoffbänder. »Sind die aus Baumwolle, Mullbinden vielleicht?«
»Das kann schon sein. Vielleicht stammen sie aus dem erste Hilfekasten im Reisebüro.«
Marek blickte auf. »Haben Sie dort einen Erste-Hilfe-Kasten gesehen?«
»Nein, ich habe nur vermutet, dass dort einer sein könnte. Oder der Stoff stammt aus einer Verbandstasche, die später im Auto des Täters gefunden wird. Auf jeden Fall sind das Spuren, die der Tatorterkennungsdienst verwerten kann.«
Kerstin Sander hatte inzwischen eine Rollbahre an den Obduktionstisch geschoben. Sie gab Marek ein Paar der blauen Latexhandschuhe. »Zu zweit geht das einfacher, oder macht es Ihnen etwas aus?«
Marek schüttelte den Kopf und zog die Handschuhe über.
»Sie können die Füße nehmen«, erklärte Kerstin Sander. Sie selbst griff dem Toten unter die Achseln. »Fertig?«
Marek nickte konzentriert. Sie hoben den Körper an und luden ihn auf die Bahre.
»Die Handschuhe können Sie in den Eimer werfen und dort drüben ist ein Waschbecken.«
»Was machen Sie jetzt noch hier?«, fragte Marek, nachdem er die Handschuhe entsorgt hatte und dabei war, sich die Hände sehr gründlich zu waschen.
»Ich räume noch kurz auf und dann mache ich auch Schluss.«
»Soll ich Sie noch irgendwohin mitnehmen?«
Kerstin Sander sah auf die Uhr. »Nicht nötig, ich werde in zwanzig Minuten abgeholt.« Sie legte ein weißes Laken über den Toten, stellte sich vor die Rollbahre und begann zu schieben. »Können Sie mir bitte die Tür öffnen.«
Marek ging voraus. Kerstin Sander fuhr mit der Leiche auf den Flur. Er öffnete auch noch die Tür zu einem der Räume mit den Kühlfächern und hielt sich bereit, ihr noch weiter zu helfen, als sein Telefon plötzlich klingelte.
»Gehen Sie ruhig schon, ich schaffe den Rest alleine«, sagte Kerstin Sander und öffnete eines der Kühlfächer.
Marek zögerte einen Moment. »Gut, dann danke ich Ihnen erst einmal. Ich melde mich wieder.«
»Machen Sie das.«
Das Telefon klingelte zum dritten Mal. Marek wandte sich ab, eilte über den Flur und nahm das Gespräch erst ab, als er schon im Treppenhaus auf dem Weg nach oben war.
»Hallo?«, meldete er sich.
»Bist du am Tatort?«, fragte Thomas.
»Nein, ich bin noch im Krankenhaus. Ich habe mit dem Arzt gesprochen, der unser Opfer versorgt hat. Es sieht wohl ganz gut aus. Sie wurde auf eine Krankenstation verlegt. Und dann bin gerade in der Gerichtsmedizin gewesen, wegen der Leiche.«
»Das kannst du mir später alles genau erzählen«, sagte Thomas schnell. »Ich habe nämlich schon etwas über dein Reisebüro.«
»Okay, schieß los.«
»Der Inhaber heißt Lorenz Mittag, ist sechzig Jahre alt, Wohn- und Geschäftsadresse in der Buchtstraße 23, in 12161 Berlin-Friedenau.«
»Gut, Lorenz Mittag«, wiederholte Marek. Er war im Treppenhaus stehengeblieben, hatte wieder sein Notizbuch hervorgeholt, drückte es gegen eine Wand und schrieb. »Nichts über Kinder oder Angehörige oder seine Familienverhältnisse?«
»Nein, da habe ich noch nichts. Für eine vollständige Recherche muss ich Montag meinen Kontakt beim Personenerkennungsdienst einschalten. Aber wichtiger ist doch jetzt die Frage, ob dieser Lorenz Mittag unsere Leiche sein kann?«
»Du sagst, der Mann ist sechzig Jahre alt. Der Tote ist deutlich jünger. Aber es wäre schon gut, wenn wir so schnell wie möglich alle Fakten hätten. Was hast du also noch?«
»Zwei Telefonnummern.«
»Und, hat er sich gemeldet?«
»Natürlich nicht und das kann ein Problem sein, denn eine Nummer gehört zu der Wohnung in der Buchtstraße und diese Nummer ist ständig besetzt.«
*
Marek schaffte es in zwanzig Minuten zurück nach Friedenau. Als er das Reisebüro durch den Seiteneingang betrat, kam ihm einer von Ulrich Rooses Kriminaltechnikern entgegen. Er deutete auf das Treppenhaus.
»Die sind schon nach oben gegangen.«
Marek machte auf dem Absatz kehrt und eilte ohne eine Antwort zu geben zur Treppe. Er nahm immer zwei Stufen auf einmal, hastete ohne Stopp an der Anwaltskanzlei vorbei und erreichte den zweiten Stock. Ulrich Roose setzte gerade eines seiner Instrumente an. Thomas Leidtner war bereits vollständig eingekleidet, Overall, Gamaschen, Handschuhe. Den Mundschutz hatte er noch nicht angelegt.
Er warf Marek einen kurzen Blick zu. »Der Schlüssel von unten hat nicht gepasst.«
Dann wandte er sich wieder der Tür zu, drückte gegen das Türblatt, nachdem Ulrich Roose das Schloss geöffnet hatte. Der zweite Kriminaltechniker reichte seinem Chef die Taschenlampe. Ulrich Roose ging als erster in die Wohnung, gefolgt von Thomas und dem Kriminaltechniker. Marek blieb draußen auf dem Treppenabsatz stehen. Er war nicht angemessen gekleidet, falls es sich bei der Wohnung tatsächlich um einen Tatort handeln sollte. Er horchte auf Geräusche aus der Wohnung, aber die Männer sprachen nicht. Dann hörte er doch Schritte. Der Kriminaltechniker erschien an der Tür.
»Sie können reinkommen, hier ist nichts.«
Marek nickte und folgte dem Mann in die Wohnung, durch einen dunklen Flur und in die Küche. Dort standen Ulrich Roose und Thomas vor einem altmodischen Tastentelefon, dass an der Wand befestigt war. Der Hörer hing herunter bis auf den Boden. Die Spiralleitung hatte sich vollständig gedehnt. Thomas nahm den Hörer und legte ihn auf die Gabel. Im nächsten Moment rutschte der Hörer wieder ab. Ulrich Roose fing ihn auf, legte ihn erneut auf die Gabel, rückte ihn zurecht, bis es hielt. Thomas nickte und wählte eine Nummer auf seinem Handy. Das Wandtelefon fing augenblicklich an zu klingeln.
»Das ist dann die eine Nummer«, kommentierte er. Er ließ es noch zweimal klingeln, legte auf und wählte auf seinem Handy gleich eine zweite Nummer, die er von einem Zettel ablas. »Jetzt muss mal einer suchen, ob das hier irgendwo bimmelt.«
Marek drehte sich um, ging über den Flur in eines der Zimmer. Es war ein Schlafzimmer mit einem Doppelbett. Die Möbel waren alt, die Tür des Kleiderschrankes hing etwas schief. Er öffnete den Schrank. Es roch frisch, ein dunkler Anzug, eine helle Leinenhose, Oberhemden auf Bügeln. Er ging die Fächer mit der Unterwäsche durch, fand aber nichts. Die Nachtschränke hatten keine Schubladen, in den Fächern der Kommode standen ein halbes Dutzend Paar Schuhe, in der Schublade darüber ein Haufen feinsäuberlich eingerollter Socken.
»Haben wir denn schon einen Durchsuchungsbefehl?«
Thomas stand plötzlich hinter Marek, der sich nicht umdrehte während er die Socken durchwühlte.
»Ich dachte, ich hätte es klingeln gehört«, antwortete Marek und richtete sich wieder auf.
Er verließ das Schlafzimmer, ohne auf Thomas zu achten. Die nächste Tür vom Flur aus führte ins Bad. Es gab eine Waschmaschine, einen Toplader. Marek nahm den Deckel des Wäschekorbs ab und sah hinein. Der Korb war leer. Dann wandte er sich um, sah sich die Tuben an, die auf der Ablage über dem Waschbecken standen. Er nahm die Zahnpasta und drehte am Verschluss. Es knackte, die Zahnpasta war innen angetrocknet. Thomas und auch Ulrich Roose standen draußen im Flur und beobachteten Mareks Handeln. Er sah die beiden Männer an und hielt die Tube hoch.
»Lange nicht benutzt, würde ich sagen.«
Ulrich Roose nickte. »Das sieht hier überall so aus, das zeigt schon der Staub.«
»Was ist mit dem Staub?«, fragte Marek. Er hatte gerade eine Flasche Haarwasser geöffnet, deren Verschluss ebenfalls knackte. Diesmal