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Dreizehn. Das Tagebuch. Band 1. Carl WilckensЧитать онлайн книгу.

Dreizehn. Das Tagebuch. Band 1 - Carl Wilckens


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bin mir sicher, dass er sich noch als nützlich erweisen wird«, entgegnete ich. »Er hat ein traumatisches Erlebnis hinter sich. Gib ihm ein wenig Zeit.«

      Jasper reagierte spöttisch, wenn ich die Beschwerden des Professors an ihn weitergab. »Der Mann hat einen Stock so tief im Arsch, dass du ihn in seinem Rachen sehen kannst«, meinte er. »Wer, denkt er, bin ich? Einer seiner Zöglinge, die er belehren kann?«

      »Du bist sein Gast«, knurrte ich, darum bemüht, nicht die Geduld zu verlieren. Probleme der Art, die sich mit Gewalt lösen ließen, waren mir eindeutig lieber.

      Die Einzige, der gegenüber Jasper sich wie ein Gentleman verhielt, war Amrei. Die Violinistin reagierte zurückhaltend, auch wenn ich ihr anzumerken glaubte, dass ihr die Aufmerksamkeit gefiel. Wann immer ihn die Langeweile dazu trieb, stieg der Izzianer in den Keller hinab, um Amrei in ein Gespräch zu verwickeln.

      »Willst du deinen Vater nicht wissen lassen, dass es dir gut geht?«, hörte ich ihn die Violinistin fragen, als ich den Keller auf dem Weg zur Bibliothek von Ad Etupiae durchquerte. »Er macht sich sicher Sorgen um dich.«

      Amrei zögerte. »Der Wurmgott hat mir davon abgeraten.« Sie klang erstickt. »Er meinte, mein Vater würde mir nicht glauben, wer ich bin. Er würde es für einen schlechten Scherz halten und mich fortschicken. Ich werde wohl früher oder später zu ihm gehen, aber auf keinen Fall bevor wir die Norn geschlagen haben. Unser Widersehen könnte mich durcheinanderbringen.«

      Die Suche nach brauchbaren Schriftstücken über die Alchemie sollte sich als eine der härtesten Geduldsproben meines Lebens herausstellen. Die Bibliothek hätte nicht besser sortiert sein können, doch die schiere Menge an Werken stellte ein ernüchterndes Problem dar. Allein zum Thema Alchemie gab es tausende Bücher. Zu meiner immensen Erleichterung gelang es Waterstone, eine Ausgabetafel neben dem Register an der Wand zu reaktivieren, die gezielt Teile der synaígischen Matrix sichtbar machte. Norin hatte sie mit keinem Wort erwähnt, weshalb ich vermutete, dass sie erst zu einem späteren Zeitpunkt dort angebracht worden war. Zwar zeigte mir auch Rocíos Trank die Runenmatrix, doch präsentierte sie sich durch das dritte Auge als ein unsteter Fluss aus Schriftzeichen. Sich darin zu orientieren, war genauso schwer, wie einen Crayon auf der Fingerspitze zu balancieren. Welcher Ausschnitt der Runenmatrix auf der Tafel sichtbar wurde hingegen, ließ sich über eine Formel auf einer in mehrere Glieder unterteilten Leiste am unteren Tafelrand einstellen. Manche Glieder ließen sich herausnehmen und durch andere ersetzen. Unter anderem konnte man so das Register der Bibliothek in goldenen Schriftzeichen auf der granitgrauen Oberfläche anzeigen lassen und sogar nach Stichworten suchen.

      Während ich die Tage damit verbrachte, Bücher zu wälzen, fragte ich mich, wie sich jemand freiwillig dazu entschließen konnte, studieren zu gehen. Wie Malcolm und Clive mir berichteten, verbrachten sie abgesehen von gelegentlichen Ausschweifungen so ihren Alltag. Ich hingegen stieß schon nach nur wenigen Vierteln an meine Grenzen, und wäre es nicht für Emily gewesen, hätte ich wohl längst aufgegeben. Die Energie, die in meiner Vergangenheit regelmäßig in handfeste Auseinandersetzungen geflossen war, staute sich vor den langweiligen und Schutz bietenden Mauern des Universitätsviertels. Ich erwischte mich mehrmals dabei, wie ich mit dem Gedanken spielte, ins Hafenviertel zu gehen und mich mit Damon zu prügeln, bloß um ein bisschen Dampf abzulassen. Nach zwei Monaten der ergebnislosen Suche ließ die Vorstellung, dass die Hibridia sich einen schlechten Scherz mit mir erlaubt hatte, als sie mir die Bibliothek von Ad Etupiae gezeigt hatte, mich ernsthaft zweifeln, dass ich auf dem richtigen Weg war. Sie hatte mir damals verkündet, dass ich die Antwort auf meine Fragen hier oder gar nicht finden würde.

      Als ich am Abend des ersten Blätterfalls in die Bibliothek hinabstieg, um das jüngste alchemistische Werk gegen das nächste auf meiner Liste auszutauschen, traf ich Waterstone vor der Ausgabetafel beim Register an. Er und Bennett verbrachten viel Zeit damit, sie auf weitere Funktionen zu erforschen. Unter anderem war es ihnen gelungen, sich den Energiebedarf aller in der Bibliothek vorhandenen synaígischen Verbraucher ausgeben zu lassen.

      »Bei Zuris!«, rief der Professor erschrocken, als ich ihn grüßte. »Schleich dich doch bitte nicht so an, Albert.« Er nannte mich immer noch bei meinem Decknamen; vermutlich, weil Bennett es nicht gutheißen würde, dass er mit einem der meistgesuchten Verbrecher des Landes zusammenarbeitete.

      Waterstones Blick fiel auf das Buch in meinen Händen. »Immer noch keinen Erfolg?« Ich schüttelte den Kopf. Ich war nicht darum herumgekommen, dem Professor zu erzählen, wonach ich suchte. Aller Wunder zum Trotz, zu denen die Synaígie befähigte, hatte Waterstone daraufhin bloß den Kopf geschüttelt und achselzuckend kommentiert: »Wenn du deine Zeit vergeuden möchtest, werde ich dich nicht aufhalten.«

      Auch jetzt bedachte er mich mit einem mitleidigen Blick, den ich ihm am liebsten vom Gesicht gewischt hätte. Offenbar erwog er, einmal mehr zu versuchen, mich von meinem Vorhaben abzubringen. Dann jedoch seufzte er und wandte sich wieder der Tafel zu. Ich warf das Buch auf den wachsenden Haufen neben dem Register. Längst hatte Waterstone aufgegeben, mir den Anstieg des Energieverbrauchs aufzuzeigen, der durch meinen nachlässigen Umgang mit den Werken der Bibliothek entstand, oder mich dafür zu rügen, dass ich sie nicht wieder einsortierte.

      »Warte mal!«, rief der Professor, als ich mich anschickte, ein weiteres Mal zwischen den turmhohen Regalreihen abzutauchen. »Sieh dir das hier bitte einmal an.« Ich wandte mich um und ließ den Blick über die goldenen Schriftzeichen auf der Ausgabetafel wandern. Wie immer, wenn ich in die Bibliothek hinabstieg, hatte ich mir zuvor das dritte Auge durch Rocíos Trank öffnen lassen. Flüsternd teilten mir die Runen ihre Bedeutung mit. Die Ausgabetafel zeigte den Energiebedarf der Verbraucher an.

      »Fällt dir irgendwas auf?«, fragte Waterstone.

      »Der Energieverbrauch in Gang 13 ist höher als in allen anderen Gängen«, erwiderte ich.

      Waterstone nickte. »Ich kann nicht genau sagen, wo in dem Gang, daher wollte ich ihn aufs Geratewohl abfahren.«

      »Das nächste Buch auf meiner Liste befindet sich auch dort«, entgegnete ich. »Wir können zusammen gehen.«

      Wenig später betraten wir einen der Aufzüge. Die Kabine ließ sich über ein simples Steuerkreuz bedienen, das sie entlang eines rasterförmigen Schienennetzwerks lenkte. Jeder von Schienen eingegrenzte Bereich wurde durch eine Zahl als Höhenmarker und einen Buchstaben als Tiefenmarker gekennzeichnet. Das Register verriet, in welcher Kombination aus Zahlen und Buchstaben welches Buch zu finden war.

      Während wir langsam vorwärtsfuhren und anschließend aufstiegen, erwachten synaígische Lampen an den Unterseiten der Regalbretter zum Leben, sobald die Kabine in ihre Nähe gelangte, und verloschen, wenn wir sie hinter uns ließen – noch etwas, das nicht hier gewesen war, als Norin diesen Ort betreten hatte. In regelmäßigen Abständen passierten wir Reihen von Löchern im Metall der Schienen – gerade groß genug, dass eine Zigarette hineingepasst hätte. Waterstone, der Werke über die Bibliothek studiert hatte, vermutete, dass es sich dabei um ein Abwehrsystem gegen Enerphagen handelte. Sogenannte Silberfischfolklore machten sich offenbar liebend gerne über Schriftstücke aller Art her. Dabei vernichteten sie die Materie des Papiers, weshalb der Schaden irreversibel war. Die Folklore-Vernichter lockten die Geschöpfe mit synaígischer Energie. Sobald sie versuchten, sich in eines der Löcher zu zwängen, fuhr eine dreißig Zentimeter lange Nadel aus Messing daraus hervor, spießte sie auf und jagte synaígische Stromstöße durch ihren Leib, bis sich ihre Substanz auflöste.

      »Dort!«, rief Waterstone, während er sich aus der Kabine lehnte, und deutete nach oben. Auch ich steckte den Kopf ins Freie, sah aber außerhalb des Scheins der synaígischen Lampen nur Schwärze und die Flut aus Runen, die mir das dritte Auge offenbarte.

      Dann zuckte ein Blitz durch die Dunkelheit, begleitet von einem fernen Knall.

      »Hast du das gesehen?«, fragte Waterstone aufgeregt. Ich nickte, war für meinen Teil aber nur beunruhigt. Hinter allem eine Gefahr zu vermuten, war Teil meines Wesens. Die Haare in meinem Nacken stellten sich auf, und eine ungute Vorahnung brachte jede Zelle meines Körpers in Alarmbereitschaft.

      »Sei vorsichtig«, murmelte ich und legte die Rechte auf den Griff meines Revolvers.


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