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Dreizehn. Das Tagebuch. Band 1. Carl WilckensЧитать онлайн книгу.

Dreizehn. Das Tagebuch. Band 1 - Carl Wilckens


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eine Lotinsrose.«

      »Wo wachsen solche Rosen?«, fragte ich müde. Ich wünschte mir nichts sehnlicher herbei als den letzten Tag, den ich in Gesellschaft der untoten Emily und der verwesenden Marionette verbringen würde.

      »Sie wachsen nur, wenn ein Opfer gebracht wird. Sobald du das getan hast, kann ich dir sagen, wo.«

      »Was für ein Opfer?«

      »Dein engster Freund.«

      »Wie bitte?«

      »Du musst deinen engsten Freund opfern, um das Mädchen zurückzubekommen, das du liebst.«

      »Opfern? Ich … soll ihn töten?« Ed? Ich blickte zu der Marionette auf. Hoffte, dass ich sie falsch verstanden hatte. Sie nickte ungelenk, und ich erschauerte. »Das kann ich nicht«, sagte ich mit zitternder Stimme. »Ich bin kein Mörder.«

      Die Marionette betrachtete mich eine Weile schweigend und mit ausdrucksloser Miene. »Macht es dich nicht ebenso zum Mörder, wenn du Emily die Chance verwehrst, ins Leben zurückzukehren?«, entgegnete sie schließlich. Was für eine absurde Logik!

      »Es muss eine andere Möglichkeit geben!«

      »Es gibt keine andere Möglichkeit.« Wir maßen einander mit Blicken.

      Dann schüttelte ich den Kopf. »Ich bin raus.« Die Verzweiflung trieb mir Tränen in die Augen. All die schrecklichen Stunden, die ich in diesem Kellerloch verbracht hatte, für nichts!

      »William …!«

      »Ich hätte längst zum Konstabler gehen sollen!« Ehe die Marionette etwas erwidern konnte, floh ich aus dem Raum. Das Flämmchen der Hoffnung, Emily je lebend wiederzusehen, war verloschen. Erst jetzt wurde mir klar, dass nicht die Liebe, die ich für sie empfand, der alleinige Grund war, warum ich sie ins Leben zurückholen wollte. Sie war diejenige, die mein Leben wieder richten konnte. Wäre sie bei mir, würde sie meine Hände halten und mir versichern, dass ich nicht verrückt geworden war – dass das, was ich erlebt hatte, Teil einer Welt war, die sich den Blicken der meisten entzog.

      Zu Hause erwartete mich Ed mit einer Flasche dannischem Whisky. »Wir haben seit Vierteln kaum gesprochen, Mann«, sagte er. »Ich mache mir Sorgen um dich. Ich kann ja verstehen, dass Emilys Verschwinden dich mitnimmt, aber du musst auch an dich selbst denken.«

      »Ich weiß, wo Emily ist, Ed«, sagte ich, ohne nachzudenken. Ich konnte das, was im Keller der Universität vor sich ging, nicht länger für mich behalten.

      »Du weißt, wo sie ist?«, wiederholte Ed ungläubig. Ich nickte. Die Stimme der Vernunft ignorierend bedeutete ich ihm stumm, mir zu folgen.

      Wenn er erst sieht, was ich gesehen habe, wird er nie wieder in sein normales Leben zurückkehren können, dachte ich. Doch ich wollte mit dem Wissen um die übernatürlichen Dinge, die existierten, und dem Horror im Keller der Universität nicht länger alleine sein. Wir verließen die Wohnung und betraten wenig später Raum 21.

      »Was ist das für ein Geruch?«, fragte Ed, während ich nach der Gasleuchte tastete. »Wo kommen die ganzen Fliegen her?« Er erstarrte, als die Flamme zum Leben erwachte, und er die in der Luft schwebende Marionette sah. Sie rührte sich nicht.

      »Ist das ein Trick?« Er ging einmal um die schwebende Gestalt herum und sah zu mir. »William … ist er … ist er tot?« Seine Hände zitterten. »Erklär mir, was hier los ist!«

      Ich hatte gerade den Mund zu einer Antwort geöffnet, als die Marionette urplötzlich zum Leben erwachte. Ihre Hände schnellten vor und schlossen sich um Eds Kehle.

      »Nein!« Panisch blickte ich mich um. Ich packte den Kolben einer Retorte vom Arbeitstisch und schleuderte sie nach der Marionette. Das Glas zerbrach an ihrem Schädel. Splitter bohrten sich in ihre Gesichtshaut und Augen, aber sie ließ nicht locker. Ed würgte und zerrte an ihren Händen. Als er damit keinen Erfolg hatte, kämpfte er sich die Marionette hinter sich herziehend zum Arbeitstisch vor. Nackte Angst beherrschte seinen Blick. Hektisch suchte er zwischen den Instrumenten und Glasgefäßen nach etwas, mit dem er sich verteidigen konnte. Er schob mehrere Gegenstände über die Tischkante, ehe er ein Messer fand. Soeben stürmte ich vor, um die Marionette von hinten zu packen, als Ed sich herumwarf und blind zuschlug. Er zog mir die Klinge quer übers Gesicht. Ich schrie vor Schreck und Schmerz auf und stolperte rückwärts. Blut lief mir in die Augen und verschleierte meine Sicht. Die Klinge hatte meine rechte Augenbraue zerteilt, den Nasenflügel geöffnet und die Lippen gespalten. Wimmernd presste ich mir die Hände aufs Gesicht, während Eds Würgen schwächer wurde.

      »Lass ihn los!«, rief ich, wischte mir Tränen und Blut aus dem Auge und stürmte vor. Ich packte die Marionette um die Hüften und zerrte an ihr, wie um die unsichtbaren Fäden zu trennen, durch die sie gelenkt wurde. Ich schlug mit den Fäusten auf sie ein und zerrte an ihren Fingern, die sich unerbittlich um Eds Kehle schlossen. Doch die Marionette ließ erst von ihm ab, als er sich nicht mehr rührte. Schluchzend ging ich vor meinem toten Freund auf die Knie. Rief seinen Namen und tastete nach seinem Puls. Das durfte nicht wahr sein!

      »Du Mistkerl!«, brüllte ich die über uns schwebende Gestalt an. Ihre Miene war leer wie immer. Glühende Wut ließ mich den Schnitt in meinem Gesicht vergessen. Schreiend sprang ich auf und fing an, mit allem, was ich fand, auf die Marionette einzudreschen. Reglos wie eine Puppe ließ sie meinen Hass über sich ergehen, bis ich von Trauer überwältigt erneut auf die Knie ging. Kaum dass meine Raserei ein Ende fand, schlängelten sich Flammen des Schmerzes aus der Wunde in meinem Gesicht und schlugen höher und höher.

      »Du kannst mich hassen«, sprach die Marionette. »Aber lass den Tod deines Freundes nicht umsonst gewesen sein. Hilf mir, Emily wiederzubeleben.« Emily … Der Gedanke an sie gab mir Kraft. Zugleich verspürte ich erneut das Verlangen, M-Punkt dafür, dass er mich zwang, nach seinen Regeln zu spielen, bezahlen zu lassen. Ich erhob mich, wischte mir erneut das Blut aus dem rechten Auge und starrte die Marionette feindselig an.

      »Das werde ich«, sagte ich. »Aber danach werde ich dich finden, M-Punkt, und den Tod meines Freundes rächen.« Das Gesicht der Marionette war ausdruckslos wie immer, doch ich glaubte, dass eine erschrockene Pause auf meine Worte folgte.

      »Ich werde den Toten beseitigen«, sagte die Marionette schließlich, packte Ed am Handgelenk und hob ihn hoch. Sie schleifte ihn zu der großen Truhe neben der zugemauerten Eingangstür, öffnete sie und ließ ihn darin verschwinden. Ich wandte den Blick ab und kämpfte gegen den Drang an, mich zu einer Kugel zusammenzurollen und schluchzend auf dem Boden zu wiegen. Schweigend wartete ich darauf, dass sie mir sagte, was der nächste Schritt war.

      »Was ist nun zu tun?«, fragte ich, nachdem die Marionette eine geschlagene Minute leblos in der Luft gehangen hatte. »Wo finde ich die Lotinsrose?«

      »Gib mir einen Moment«, antwortete sie.

      Mehrere Minuten vergingen in qualvoller Stille. Schließlich wandte sich die Marionette zu mir um.

      »Du musst nach Vision gehen«, sagte sie tonlos. »Du findest die Rose in einer Höhle, die Iduns Herz genannt wird.«

      »Vision? Wo ist das?« Die Marionette schwieg. »Antworte mir!« Doch die Gestalt verharrte leblos, während die Fliegen sich in großer Zahl über die Körperflüssigkeiten hermachten, die aus ihren unzähligen Schnitt- und Platzwunden liefen. Der Anblick verursachte mir Übelkeit. Ich gab dem Wunsch nach, Raum 21 zu entkommen, und floh nach draußen. Zurück in meiner und Eds Wohnung leerte ich die Flasche dannischen Whiskys und schlief an unserem Esstisch ein.

      Es ist meine Schuld, Emily. Ich habe Ed in den Keller der Universität geführt. Ich redete mir ein, dass von M-Punkt keine Gefahr für ihn ausginge – dass nötig war, dass ich ihn töte, um dich wiederzubeleben. Ich habe sein Leben aufs Spiel gesetzt, bloß um das Wissen um übernatürliche Dinge zu teilen. Dabei hätte ich jeden anderen bitten können, mich dorthin zu begleiten … Oliver, Scott, Malcolm oder Clive …

      Ich bin am Ende. Es tut mir so leid. Ich konnte deinen Tod nicht akzeptieren und habe alles nur schlimmer gemacht. Nun bin ich allein. Du und Ed, die beiden Menschen, die mir am nächsten standen, sind tot. Und jeder andere Mensch


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