Das Verschwundene Tal. Dietmar PreußЧитать онлайн книгу.
hatten. Unter einem Baldachin, die drei Frauen zur Seite, saß Halef ibn Shahim auf ockerfarbenem Damast und ließ sich mit einem Wedel aus Straußenfedern zufächern. In den Gesichtern der hohen Familie spiegelt sich die Freude am Übermut der Kinder. Eine silbergefärbte Feder prunkte am Turban des Khans. Nur sein Vetter, der Ilkhan in der Goldenen Stadt, wie Gidda Khan il Khan auch genannt wurde, durfte eine goldene Feder tragen. Die Feder Halefs war mit einer diamantbesetzten Brosche befestigt, die gleichen Steine fanden sich auf dem honigfarbenen Kaftan. Darüber trug der junge Khan eine kurze Weste aus golddurchwirktem Brokatstoff. Dass er unter diesem prunkvollen Gewand nicht schwitzte, lag an den Wasserspielen im Hof, die die Hitze linderten. Geeistes Wasser und kühler Wein standen zudem bereit.
Moamin Doriah senkte das Haupt und wollte zwölf Schritte vor dem Khan das Knie beugen, wie die Etikette es befahl. Doch Halef ibn Shahim sprang auf, ging ihm mit federnden Schritten entgegen, und zog ihn bei den Schultern hoch. Der Khan war kaum dreißig Jahre alt, sein Körper muskulös und sehnig. Trotz seiner Stellung nahm er regelmäßig an den Waffenübungen der Garde teil. Dabei hatten Doriahs Männer die Anweisung, bei Androhung von Strafe, den Khan als ihresgleichen zu behandeln. „Moamin, mein Freund, wir halten hier keine offizielle Audienz, bleibt bitte stehen!“
„Danke, Herr!“
„Und nennt mich nicht Herr, wenn wir unter uns sind, darum habe ich Euch schon oft gebeten.“ Der junge Khan amüsierte sich über das steife Gehabe seines Hauptmanns und bot ihm einen Platz auf dem Diwan. Die Frauen zogen sich zurück, weil sie den Anblick des zerstörten Gesichts Doriahs nicht ertragen konnten. Ibn Shahim schüttete ihm eigenhändig einen kristallenen Pokal ein. „Ein trockener Roter von den Südhängen des Tengriswalls, Ihr mögt den süßen Quelltaler nicht, wie ich weiß.“
„Habt Dank, H…, mein Khan!“
Die Männer atmeten den Duft der Weine, ließen die edlen Tropfen im Kristall kreisen, nahmen noch einmal das Bukett auf und tranken dann in kleinen Schlucken. Als sie eine Weile dem Geschmack nachgesonnen hatten, sah der Khan den Hauptmann ohne Abscheu an. „Was führt euch zu mir?“
„Im Kerker des Büttels wartet ein junger Waffenschmied auf seine Hinrichtung. Ich brauche diesen Mann.“
„Ein sechsfacher Totschläger, ich habe von dem Fall gehört.“
„Er hat die Vergewaltiger seiner Braut erschlagen. Zweifelhafte Gaukler, schon oft wegen Betrügerei bestraft, so viele Finger waren ihnen bereits abgetrennt worden.“
„Ihr müsst die Tat dieses Schmieds nicht rechtfertigen, Hauptmann. Was wollt Ihr mit ihm anfangen?“
Moamin suchte nach Worten, um seine Gedanken und Schlüsse zu erklären. „Dieser Schmied hat sich nach der Tat ohne Widerstand verhaften lassen und sich vor dem Büttel nicht verteidigt, nicht einmal, als das Todesurteil gesprochen wurde. Ich glaube, dass dieser Mann mit dem Leben abgeschlossen hat. Und so einen Mann brauche ich für einen gefährlichen Auftrag.“
„Selbst dann, wenn Ihr ihn damit dem Gesetz entzieht?“ Halef ibn Shahim konnte sich den kleinen Seitenhieb gegen Doriah, der ihn oft über Recht und Gesetz belehrte, nicht verkneifen.
„Selbst dann“, bestätigte der Hauptmann ernst.
Der Khan nickte und nahm einen Schluck aus seinem Pokal. Als der Nachhall des süßen, beerigen Geschmacks verklungen war, lächelte er. „Dieser Ssadec Tabar im Verschwundenen Tal. Ihr wollt diesen Mann nach Shuyuk schicken.“
„Ja! Und mein Khan sollte diese Sache nicht auf die leichte Schulter nehmen. Die Dynastie der Shahim ist noch nicht genug gefestigt, als dass er die Rechtlosigkeit eines ganzen Landstrichs ignorieren dürfe.“
„Ihr habt Recht, Hauptmann. Allerdings sorge ich mich mehr um die Steuereinnahmen aus diesen Dörfern und Städten, die ich an meinen Vetter, den Ilkhan, weiterzuleiten habe. Was meine Herrschaft betrifft: Den einzigen Mann, der sie mir streitig machen könnte, betrachte ich als meinen Freund. Er sitzt im Moment an meiner Seite.“
Die Worte waren zu schlicht, als dass sie eitle Pose oder Schmeichelei hätten sein können. Moamin dankte dem Khan mit einem Kopfnicken. „Wenn Ihr einen Schreiber rufen könntet …“
„Ihr habt es wie immer zu eilig, Hauptmann. Schenkt Euch doch noch vom Wein ein!“
Doriah folgte der Aufforderung und der Khan hob eine Hand. Augenblicklich stand ein Diener hinter ihm. „Ein Schreiber soll ein Papier für die Übergabe eines Gefangenen aus dem Kerker ausfertigen. Es handelt sich um einen zum Tode verurteilten Schmied namens …“, der Khan sah den Gardisten an.
„Namens Rayol Jamsillah“, vollendete der den Satz.
Die beiden Aufseher im untersten Keller der Büttelei von Chasar waren Halbzwerge, wusste Moamin Doriah, und ihr menschlicher Teil war ihnen nach den Jahren in den Kerkerfluren kaum noch anzusehen. Sie liebten die stickige, feuchte Dunkelheit, in der sie die Herren waren. Und wie viele Wesen mit geringem Selbstwert ließen sie ihren Sadismus an den wehrlosen Gefangenen aus. Vom Zwergenteil zeugte auch der unsagbare Schmutz, der im Kerker herrschte. Sie weideten sich am Ekel und den Krankheiten der Häftlinge, den die Exkremente und Auswürfe hervorriefen, die vermodernden Essensreste und die daran zugrunde gegangenen Ratten, die in den Ecken verwesten.
Aber selbst diese vertierten, in schleimige Lumpen gewickelten Kreaturen senkten die Köpfe, als Doriah sie mit seinem verbliebenen Auge ansah. Der Anblick seines verunstalteten Gesichts flößte ihnen Angst ein, und sie krochen vor ihm im stinkenden Dreck. „Die Zelle am Ende des Ganges, Herr“, grunzte einer der beiden auf seine Frage.
Doriah passte auf, wohin er seine Schritte setzte, um seine Reitstiefel nicht allzusehr zu beschmutzen, und sah in die Zellen zu beiden Seiten des Ganges. Die Gefangenen darin waren selbst zu Dreck geworden, zu Abfall, der mal von anständigen mal von intriganten Leuten der Stadt entsorgt worden war. Ein einziger Mann unterschied sich von den in Fetzen gehüllten, von ihren eigenen Ausscheidungen beschmutzten Menschen. Es war der Schmied, der den nicht gerade kleinen Hauptmann um fast eine Elle überragte. Die breitschultrige Gestalt mit dem ungestutzten Vollbart stand in einer Ecke der Kerkerzelle, das Dutzend anderer Kreaturen hatte sich in der gegenüberliegenden Ecke zusammengedrängt. Die offene Weste und die Bundhose des Schmieds, das bärtige Gesicht und die mächtige Brust waren noch nicht so verdreckt wie die der anderen Häftlinge. Die Augen des Mannes glänzten wach, im Gegensatz zu den stumpfen Lichtern der Hoffnungslosen um ihn herum. Als er das zerstörte Gesicht des Gardehauptmanns sah, erschrak er, fasste sich aber und blickte weiter in das Auge des Offiziers.
„Rayol Jamsillah?”
„Ja, Herr!“ Er sprach nicht unterwürfig, Herr war einfach die gebührende Anrede.
„Aufmachen!“
Einer der Halbzwerge öffnete die Gittertür und trat eilig zur Seite. Anscheinend hatte er mit den muskelbepackten Armen des Schmieds schon Bekanntschaft gemacht. Er ließ den Mann mit den typischen Funkenspuren seines Gewerbes auf der Haut nicht aus den Augen.
„Raus mit dir!“, sagte Doriah.
Der Schmied trat aus dem überfüllten Gelass auf den Gang und wartete.
„Du wirst mich in die Garnison begleiten“, stellte Doriah fest. Er erhielt keine Antwort, doch als er ging, folgte ihm der Schmied wortlos.
„Korporal Belan!“, rief Moamin Doriah, als sie den Hof der Garnison erreicht hatten.
Auf den Ruf hin unterbrach einer der Gardisten seine Schwertübungen und kam herbeigeeilt. Er sah ihn furchtlos aber respektvoll an, wie es alle Gardisten taten, die ihren Hauptmann kannten und schätzten.
„Dieser Mann darf sich im Hamam der Unteroffiziere reinigen und rasieren. Gib ihm saubere Kleidung aus der Kleiderkammer. Danach bringe ihn in zu mir, es hat keine Eile.“
Der Korporal war an eigenartige Befehle gewohnt und bedeutete dem Schmied, ihm zu folgen. Der sprach sein erstes Wort, seit Doriah ihn aus dem Kerker geholt hatte. „Danke!“
Als es an die Tür klopfte, war Doriah in das Studium der