Im Eckfenster. Gerstäcker FriedrichЧитать онлайн книгу.
„Ein tüchtiges, braves Mädchen“, bestätigte von Dürrbeck. „Die es einen schweren Kampf gekostet hat, ihre Kunst aufzugeben, bis die Liebe zu mir auch ihre letzten Zweifel hob. Hans, ich kann dir gar nicht sagen, wie glücklich ich mich fühle!“
Hans drückte ihm, ohne ein weiteres Wort, herzlich die Hand, und eine Zeitlang schritten die beiden jungen Leute, jeder nur mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt, nebeneinander hin.
Endlich sagte Hans: „Und ist der Tag eurer Verbindung schon bestimmt?“
„Das ist noch eine Unannehmlichkeit“, erwiderte Dürrbeck. „Die ich aber ebenfalls zu beseitigen hoffe. Sonst nämlich hebt bei allen Theatern Heirat jeden Kontrakt. Constanze aber, damals mit keiner Ahnung einer so baldigen Verbindung, hat hier auf zwei Jahre fest abgeschlossen und sich sogar die ganz außergewöhnliche Klausel gefallen lassen, dass sie in dieser Zeit, wenn sie sich verheiraten sollte, den Kontrakt bei einer sehr bedeutenden Konventionalstrafe einhalten wolle. Anderthalb Jahre kann ich aber doch nicht mehr warten!“
„Deine Geduld würde wenigstens in der Zeit auf eine arge Probe gestellt werden“, lachte Hans. „Doch lässt sich das nicht in Güte arrangieren? Vielleicht kann dir mein Vater dabei nützen.“
„Wohl schwer“, sagte der Hauptmann kopfschüttelnd. „Der alte Herr hängt so hartnäckig an seinem Vorurteil von unvermischten altadeligen Geschlechtern und hat mir selber schon so ernste Vorstellungen darüber gemacht und mich abgemahnt von einem solchen Verbrechen an meinen Ahnen, wie er es nennt, dass ich auf seine Unterstützung dabei wohl kaum rechnen kann. Ich würde nicht einmal wagen, ihn darum zu bitten.“
„Das wäre das Wenigste“, lachte Hans. „Aber wer hat hier beim Theater die entscheidende Stimme in dieser Angelegenheit?“
„Der hiesige Direktor.“
„Und hast du ihn schon deshalb gesprochen?“
„Aufrichtig gesagt, war ich eben auf dem Weg, als ich dich traf.“
„Dann begleite ich dich!“ rief Hans rasch. „Wir machen wenigstens den Versuch und sehen, wie die Sache steht. Wo wohnt er?“
„Hier gleich vor uns im Brink, Nr. 29 – es soll übrigens ein höchst origineller Kauz sein. Einige behaupten sogar, halb verrückt, der nur eben im Theater lebt und webt und keine Welt anerkennt, die nicht einen hölzernen Erdboden und auf Leinwand gemalte Bäume und Häuser hat. In der Stadt werden sogar die tollsten Geschichten von ihm erzählt – jedenfalls Übertreibungen – sonst gilt er aber für einen Ehrenmann.“
„Das ist die Hauptsache, das andere findet sich alles. Vamonos companero – ich will dein Sekundant sein, und wir wollen doch einmal sehen, ob wir den alten Herrn nicht herumkriegen können.“
„Und deine Schwester hat sich kürzlich auch verlobt“, sagte Dürrbeck nach einer Pause, in der sie von der Promenade in die Richtung bogen, in der der Brink lag.
„Ja,“ sagte Hans. „Kennst du meinen künftigen Schwager?“
„Ich – war einige Mal mit ihm zusammen.“
„Wie gefällt er dir? Was ist es für ein Mann?“
„Kennst du ihn denn noch nicht?“
„Ich kenne ihn allerdings seit den wenigen Tagen, möchte aber auch deine Meinung über ihn hören.“
„Oh, er soll aus einer sehr angesehenen Familie sein und hat etwas außerordentlich Nobles, eigentlich vornehm Aristokratisches in seinem ganzen Wesen, was deinen Eltern besonders an ihm gefällt!“
„Das ist kein Fehler – und sonst?“
„Und sonst? Ja, lieber Hans, ich bin doch zu wenig mit ihm zusammengetroffen, um darüber ein wirkliches Urteil fällen zu können, und das war dazu meist noch in Gegenwart deiner Schwester. Du weißt aber, Brautleute zeigen sich in diesem Stadium für andere Leute ungenießbar – aber da sind wir, sollen wir wirklich hinaufgehen?“
„Fürchtest du dich?“
„Wenn ich aufrichtig sein will, ja. Ich erbitte nicht gern von irgendwem etwas, noch dazu, da sich hier doch eigentlich nur das Ganze um eine Geldsache, die Konventionalstrafe, dreht.“
„Und ist die so bedeutend?“
„Es würde mich wenigstens doch genieren, sie auf einem Brett auszuzahlen. Es sind zweitausend Taler.“
„Alle Wetter, dem Preis nach muss ja dein Bräutchen eine Nachtigallenstimme besitzen?“
„Das tut sie auch, Hans“, rief Dürrbeck bewegt. „Du sollst sie nur einmal hören! Es packt dir die Nerven und hebt dich zu wahrhaft himmlischer Seligkeit oder zwingt dir, du magst wollen oder nicht, die Tränen in die Augen.“
„Sieh da, sieh da, das Schwärmen habe ich dir gar nicht zugetraut. Aber hier an der Haustür können wir nicht stehen bleiben, Kamerad. Also, Mut gefasst, ich feure den ersten Schuss.“ Damit zog er ohne weiteres an der Klingel, erschrak aber dann selbst über die Wirkung. Es war so, als ob im Inneren des Hauses eine Legion von Glocken losgelassen wurde, einen solchen Spektakel machte es in den unteren Räumen, und die beiden jungen Leute sahen sich verwundert an. In dem Moment öffnete sich aber auch schon die durch eine Feder geschlossene Tür, und sie betraten das kleine Wohnhaus, das sich nur durch seine Tapete auszeichnete. Es war nämlich einzig und allein mit Theaterzetteln beklebt, und zwar von solchen Stücken, in denen der Herr Direktor, der auch das erste Heldenfach und überhaupt alle guten Rollen spielte, mitgewirkt hatte oder noch mitwirkte. Dabei hatte sich der betreffende Herr die Mühe nicht verdrießen lassen, auf jedem Zettel seinen Namen mit Rotstift zu unterstreichen, so dass man in sehr kurzer Zeit einen Überblick über sein sehr ausgedehntes Rollenfach bekommen konnte.
Es wurde ihnen aber nicht langer Raum zu Betrachtungen gegeben. Ein sehr dürftig aussehendes Subjekt in einem abgetragenen, schwarzen Frack, der ihm aber nur oben auf den Schultern passte und einem viel größeren Mann, vielleicht einmal früher vom Direktor selber, gehört haben musste, mit ebenfalls zu langen, aber aufgekrempelten Hosen, kam die Treppe herunter und fragte, was die Herren wollten. Er war dabei augenscheinlich erstaunt, einen Offizier hier zu sehen, denn seinen Begleiter taxierte er augenblicklich für einen ersten Liebhaber, der ein Engagement suchte.
„Wir wünschen den Herrn Direktor in einer Privatangelegenheit zu sprechen“, nahm Hans das Wort. „Ist er zu Hause?“
„Nun ja“, sagte der Mann und zuckte dabei mit den Achseln. „Zu Hause wäre er schon, aber – er studiert.“
„Und lässt sich da wohl nicht gern stören?“
„Ne...“
„Dann müssen wir lieber einen günstigeren Moment abwarten“, sagte Dürrbeck halblaut zu dem Freund. „Ich möchte ihm nicht gerade ungelegen kommen.“
„Ja, er studiert immer“, warf der Mann ein, der die Worte gehört haben musste.
„In dem Falle, mein lieber Freund“, nahm Hans das Wort. „Ersuche ich Sie, dem Herrn Direktor meine Karte mit hinaufzunehmen und ihm zu sagen, dass wir ihn nicht lange stören würden. – Hast du eine Karte bei dir, Dürrbeck?“
„Schick nur deine hinauf, das genügt ja.“
„Na, dann kommen Sie man mit in die erste Etage, ins Wartezimmer“, sagte der dienstbare Geist – wie sich später herausstellte, der Theaterdiener. „Es wird nicht so lange dauern. Der Herr Direktor ist noch weiter oben.“ Damit nickte er den beiden Freunden zu und stieg ihnen die schmale Treppe voran.
Das kleine Eckzimmer in der ersten Etage stellte sich als Empfangssalon heraus. Es war wenigstens die ‚gute Stube‘ des Direktors, mit Mahagoni- und Plüschüberzogenen Möbeln. Die Wände aber ließen gar keine Tapete sehen, sondern hingen dicht gedrängt voll großer Ölgemälde, die jedoch wieder niemand anderen vorstellten, als den Direktor selbst, und zwar viermal allein in Lebensgröße in seinen Hauptrollen.