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Im Eckfenster. Gerstäcker FriedrichЧитать онлайн книгу.

Im Eckfenster - Gerstäcker Friedrich


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Stahlstichen und Kreidezeichnungen in so viel verschiedenen Kostümen und kühnen Stellungen, dass einem ganz schwindelig wurde, wenn man bedachte, dass alle diese zahlreichen Personen mit den verschiedenen Gesichtern doch nur einen und denselben Menschen vorstellen sollten.

       Es blieb den beiden Freunden übrigens genügend Zeit, die Gemälde mit Muße zu betrachten. Ob sie der Direktor absichtlich so lange in der „Vorhalle seines Genies“ ließ, ist schwer zu sagen, aber es dauerte eine reichliche Viertelstunde, bis der Theaterdiener wieder bei ihnen erschien und die Herren ersuchte, noch mehr nach oben zu kommen.

       „Der Herr Direktor“, erklärte dabei der kleine Mann, „sind nämlich noch im Schlafrock, wie immer beim Studieren, und betreten dieses Zimmer nur im schwarzen Frack.“

       Hans warf dem Freund einen lächelnden Blick zu und zeigte auf seinen grauen, joppenähnlichen Rock, aber er sagte nichts, und eine Art von Wendeltreppe hinauf, denn der Weg schien wie bei einem Turm nach oben zu immer enger zu werden, erreichten sie endlich den Punkt, wo sie den Direktor finden sollten.

       Aber auch hier mussten sie noch warten, der Direktor war noch mitten im Studieren, und da er jetzt plötzlich mit gehobener Stimme laut und heftig sprach, konnten sie da draußen deutlich die einzelnen Worte hören:

      „Oh, nehmt ihn weg von meinem Haupte wieder,

      Nehmt ihn hinweg, er sengt mir meine Locken;

      Und wie ein Strahl der Sonne, der zu heiß

      Das Haupt mir träfe, brennt er mir die Kraft

      Des Denkens aus der Stirne, Fieberhitze

      Bewegt mein Blut – Verzeiht, es ist zu viel!“

       „Tasso“, flüsterte Dürrbeck leise dem Freund zu, während der Theaterdiener, der genau das Stichwort kannte, jetzt dreimal stark an die Tür pochte. Drin war in einem Moment alles ruhig, dann rief eine von den vorherigen Tönen sehr verschiedene Bassstimme ein gebieterisches „Herein!“ und im nächsten Augenblick öffnete der Mann die Tür und bedeutete die beiden Herren, einzutreten.

       Hans musste sich wirklich Mühe geben, nicht ein sehr verblüfftes Gesicht zu machen, denn eben erst wieder in die alte Welt zurückgekehrt, fand er sich hier einer Gestalt gegenüber, die er in seinen wunderlichsten Träumen nicht für möglich gehalten hätte. Direktor Sußmeyer gehörte allerdings einem etwas extravaganten Geschlecht an, dem der richtigen Komödianten, die ihr Streben weniger in der Kunst, als dem Erfolg suchen und dabei so entzückt von ihren eigenen Leistungen sind und sich für so groß und unentbehrlich halten, dass sie sich die um das Theater herumliegende Welt nur als ein notweniges Anhängsel zu dem Zentralteil, um eben das Publikum zu liefern, denken. Wer das Theater nicht besucht, gehört in ihren Augen zu dem ungebildeten Teil der Menschheit und kommt nicht in Betracht; man weiß überhaupt gar nicht, weshalb er auf der Welt ist. Aber selbst zwischen den Theatergängern werden noch feine Unterschiede gemacht und diese wieder in gebildete und rohe unterschieden. Das hängt aber einzig und allein vom Applaudieren ab.

       Direktor Sußmeyer stand über dem allen; er war der Dirigent eines Kunstinstitutes, wie die Theater in der Neuzeit genannt werden (und eigentlich gäbe es einen anderen Namen dafür, besonders wenn sie in einer Intendanz stehen), und lebte und webte nur in dieser Sphäre, aber er studierte auch seine eigenen Rollen in diesem Geiste und erwartete natürlich, dass das auch von der Mitwelt anerkannt würde.

       Wie er jetzt freilich dastand, bot er für jemand, der gerade nicht in diesen Kreisen lebte und eigentlich aus dem wirklichen und praktischen Leben direkt in dieselben hineinsprang, ein etwas wunderliches, jedenfalls auffallendes Bild.

       Er trug seinen gewöhnlichen, rotseidenen Schlafrock, aus Gardinenstoff gemacht, der aber in der Ferne, wie sich nicht leugnen ließ, mehr Effekt machte, als in unmittelbarer Nähe. Die Unterkleider ließen sich nur an ein paar dicht über den Knöcheln zusammengebundenen weißleinenen Bändern erraten, mit den Füßen stak er in ein Paar vorn zu einer Spitze aufgebogenen türkischen Pantoffeln, in der Hand hielt er eine ziemlich abgegriffene, sogenannte Rolle, das Manuskript, das seinen Text enthielt, aber das Merkwürdigste an ihm war unbestreitbar sein Kopf.

       Jeden Abend wickelte er sich nämlich sehr sorgfältig die Haare in eine Anzahl von Papilloten, mit denen er herumging, bis Nachmittags vor dem Theater der Theaterfriseur kam und in ‚adonisierte‘, wie er es nannte. In seinem Studium konnte er natürlich darauf keine Rücksicht nehmen, er war auch schon so daran gewöhnt, dass er es selber kaum mehr wusste, und nur heute gewannen diese Papilloten einen eigentümlichen Charakter, da er, ganz in den Geist seiner Rolle des Tasso vertieft, sich den Lorbeerkranz, den ihm eigentlich die Prinzessin Leonore von Este hätte aufsetzen sollen, selbst nicht in die Locken, sondern auf die Papilloten gedrückt hatte.

       So, mit etwas rotem, aufgedunsenen Gesicht und einem geringen Ansatz zu einer Stülpnase, stand er da, die Rolle in der Hand, den Lorbeerkranz auf dem Kopf, und erwartete seinen Besuch.

       Der Anblick war auch wirklich so absonderlicher Art, dass selbst der sonst nicht so leicht aus der Fassung zu bringende Hans Solberg einen Moment nach Worten zu einer Einführung suchte. Direktor Sußmeyer dagegen, die Rolle gesenkt, den rechten Fuß vorgesetzt, dass der rote Pantoffel und der untere Teil seiner Unterbeinkleider deutlich sichtbar wurde, den Oberkörper noch im Geiste des überschwänglichen Tasso zurückgebogen, sagte:

       „Mit was kann ich Ihnen dienen, meine Herren? – Pichler!“ wandte er sich dabei mit einer Bewegung der Hand, in der er die Rolle hielt, gegen den Theaterdiener.

      „Ab!“

       Pichler verschwand spurlos durch die Tür, und Dürrbeck, der doch wohl fühlte, dass er hier das Wort ergreifen musste, auch den etwas exzentrischen Charakter des Herrn schon von früher kannte, um nicht mehr davon verblüfft zu werden, sagte freundlich: „Herr Direktor, wir müssen Sie vorher dringend um Entschuldigung bitten, dass wir Sie hier in Ihrer, ich könnte sagen, geistigen Fechtschule stören, aber ich selbst komme mit einem Anliegen zu Ihnen, bei dem mich nur mein Freund hier, Baron von Solberg, begleitet hat.“ Der Direktor neigte leise den Lorbeerkranz gegen den Vorgestellten, ohne jedoch seine Haltung im Geringsten zu verändern.

       „Ich weiß nicht, ob ich selber Ihnen bekannt bin?“ fuhr Dürrbeck fort.

       „Wer kennt die Völker, nennt die Namen, die gastlich hier zusammenkamen“, zitierte der Direktor.

       „Hauptmann von Dürrbeck“, stellte sich der Offizier vor. „Sie haben gewiss von mir gehört?“

       Um des Direktors lorbeergekrönte Stirn zogen sich düstere Wolken, leise neigte er sein Haupt und sagte: „Sie sind der Bräutigam von Constanze Blendheim.“

       „Allerdings, Herr Direktor“, erwiderte Dürrbeck, jetzt einmal im Zug. „Und der Zweck meines Besuches ist eben, Sie dringend zu bitten, jene Klausel, die das besagte Fräulein in ihren Kontrakt aufgenommen hat, diesmal mit freundlicher Nachsicht zu behandeln. Familienverhältnisse machen es dringend wünschenswert, dass Fräulein Blendheim bald die Meine wird.“

       „Und was hindert Sie,“ sagte der Direktor huldvoll, „das schon in dieser Woche ins Werk zu setzen? Ich würde Ihrem Glück wahrlich nichts in den Weg legen wollen, denn ich weiß, dass Sie eine Perle an ihr gewinnen.“

       „Sie sind sehr freundlich, Herr Direktor“, sagte Dürrbeck doch etwas verlegen, denn er wusste nicht, wie er diesen Ausgleich umgehen sollte. „Es ist nur das einzige Unangenehme bei der Sache, dass – dass meine Familie nicht wünscht – Sie wissen, ich bin Offizier, es würde, allen unseren gesellschaftlichen Rücksichten nach, nicht gut ausführbar sein, dass meine Frau noch öffentlich aufträte."

       „D a s ist des Pudels Kern!“ sagte der Direktor, die Augenbrauen mit einem eigenen Muskelspiel so hoch hinaufziehend, dass sie ihm fast unter die Papilloten gerieten. „Krasse Vorurteile der sogenannten haute volèe gegen die Kunst und die Künstler. Öffentlich auftreten nennen Sie das Sanktuarium der Bühne, der Bretter, die die Welt bedeuten, der einzigen Kulturschule unserer in Verderbnis begriffenen Zeit. Öffentlich auftreten, als ob es etwas nutzen würde, wenn sie ihre gottvolle


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