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Der Intellektuelle, der klug genug war, sich nicht dafür zu halten. Joachim KathЧитать онлайн книгу.

Der Intellektuelle, der klug genug war, sich nicht dafür zu halten - Joachim Kath


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wusste umgekehrt gegen den Hünen kein Mittel. Schweißperlen hatten sich auf seiner Stirn gebildet, doch man muss ihm attestieren, dass er eine sehr gute Kondition besaß. Schlapp machte er nicht.

      Als wir später nebeneinander am Swimmingpool die Beine ins Wasser baumeln ließen, unter angepflanzten Palmen, einen Campari Orange neben uns, konnte ich mir, vermutlich von den Urlaubsklischees enthemmt, ein paar Ratschläge nicht verkneifen: „Der große Bär wäre nur durch gezielte Schüsse direkt auf den Körper zu erlegen gewesen, oder durch Topspin-Lobs auf die Rückhandseite, oder durch knallharte Schläge vor die Füße.“

      „Klingt in der Theorie plausibel“, äußerte sich Jonathan gelassen, „besonders, wenn man auf ehemalige Basketballprofis trifft, once in a life-time. Der andere war einfach besser. Wer nicht verlieren kann, kann auch nicht gewinnen. Ich habe mich viel bewegen können, das hat meinem Kreislauf gut getan.“

      Wir bewohnten jeder einen kleinen, spartanisch eingerichteten Bungalow im arabisch angelehnten Stil, von denen rund 200 auf dem Gelände standen. Das Meer war von dieser Stelle aus nicht zu sehen, weil sie neue Hotels direkt an den Strand gebaut hatte, von denen es hieß, die Königsfamilie wäre daran beteiligt. Aber das Rauschen des Meeres war zu hören und die Lage hatte den Vorteil, dass es kaum windig war. Fürs Tennisspielen ideal.

      Abends nahmen wir an Achtertischen das mehrgängige Menü ein. Eine aus einheimischen und französischen Gerichten gemischte Speisefolge. Dazu gab es Wein soviel jeder wollte, während das Mineralwasser aus dem Atlasgebirge extra bezahlt werden musste. Mit jenem Plastikgeld, wie es in den Clubs üblich ist, damit mehr von den Gästen verbraucht und weniger vom Personal gestohlen werden kann. Denn die Perlen, die sich zu Ketten zusammenstecken ließen, durften nur die Touristen haben.

      Es war eine fröhliche Gesellschaft, die von den flinken marokkanischen Kellnern schon so gruppiert wurde, dass die Leute sich verständigen konnten. Gute Laune steigerte das Trinkgeld, erwiesenermaßen haben wir, geschichtlich betrachtet, die Geschäftstüchtigkeit genauso wie die Zahlen eher von den Arabern übernommen als sie umgekehrt von uns. Dies war eine der Situationen, bei denen sich diese Tatsache bestätigte.

      Jonathan Seyberg, der kühle Intellektuelle, taute nach ungefähr einer Stunde auf und unterhielt fortan den gesamten Tisch mit seinen urkomischen Geschichten, die mich an ein Schema erinnerten, das Woody Allen in seinen Filmen bevorzugt. Es handelte sich stets prinzipiell um Personen, denen absolute Nebensächlichkeiten zur Hauptsache gerieten. Und die darüber die eigentliche Ursache ihres Glücks oder Missgeschicks vergaßen. Meistens waren es eher melancholische Geschichten mit tragischem Ende, was aber niemand so recht wegen des fortschreitenden Alkoholkonsums bemerken wollte.

      Eine dieser Stories habe ich noch sinngemäß in Erinnerung, weil sie mit meinem Fachgebiet, den Wirtschaftswissenschaften, am Rande zu tun hatte. Es ging um einen, wie Jonathan Seyberg es formulierte, „real existierenden, neureichen Unternehmer namens Dagobert Duck“. Einem Pionier der Handelsbranche mit dem richtigen Bauchgefühl für Geld, geizig bis zum Exzess und dann wieder wahnsinnig großzügig bei idiotischen Ideen, die er reihenweise selbst hatte. Unberechenbar, ungebildet, gierig – ständig jede Menge Geld in den Sand setzend und auf der anderen Seite wieder scheffelnd. Eine dieser Kreaturen, denen es scheißegal war, was über ihn in der Presse stand, Hauptsache er wurde erwähnt.

      „Also dieser Onkel Dagobert jedenfalls“, erzählte der Professor, „kam eines Tages beim Geldzählen auf den Gedanken, sich und seine Lieben, die ihm geholfen hatten, reich zu werden, also seine Familien- und Management-Mitglieder, künstlerisch zu verewigen. So wie es die die Adligen und andere Geldfürsten seit alten Zeiten betreiben, auf einem ausladenden Ölgemälde. Und weil er nur Maler kannte, die seine Büros und Läden anpinselten, wandte er sich zunächst an diese, musste jedoch bald feststellen, dass sie der Aufgabe nicht gewachsen waren. Ein richtiger Künstler musste gefunden werden, kein zu teurer, weil Kunst für ihn keine Arbeit war, aber die abgebildeten Personen sollten auf dem Bild schon zu erkennen sein. Folglich gab man eine Suchanzeige in der örtlichen Zeitung auf und natürlich meldeten sich viele Hobby-Maler und darunter auch ausgebildete Künstler mit ihren Arbeiten.

      Der schlankste von allen Bewerbern wurde ausgewählt, weil der Auftraggeber vermutete, er würde sich besonders viel Mühe geben. Denn schließlich weiß man von der Existenz der Hungerkünstler und von dem Aussprüchen, Kunst geht nach Brot und wessen Brot ich esse, dessen Lied ich singe. Der beauftragte Künstler allerdings war, wie es sich fügte, ein Schelm. Er schlug vor, die durchaus homogene Gruppe aus Ehefrauen, Kindern, leitenden Mitarbeitern und dem Hauptdarsteller in einem tempelartigen Gebäude auftreten zu lassen, einem Kulturpalast, und in der naheliegenden Form einer konzertierten Aktion, rundheraus als Orchester, in dem selbstverständlich der Chef die erste Geige spielte. So entstand zwangsläufig ein Kunstwerk von höchster Einmaligkeit und Geschmacklosigkeit, das nicht etwa in einem Keller verstaubte, sondern nun an prominenter Stelle in der Eingangshalle prangte.

      Die Pointe kommt erst: Dieser arme, reiche Mann musste jahrelang, und wenn er nicht gestorben ist, noch heute, regelmäßig einen Psychiater konsultieren, weil er unerklärliche Ängste hatte, erstens sein Geld und zweitens, Menschen die ihm nahestanden, zu verlieren. Vermutliche Ursache dieser Ängste war jenes Gemälde, auf dem die meisten der dort abgebildeten Personen inzwischen die Firma verlassen hatten. Auch seine erste Frau, die der Maler sinnigerweise in ein knappes Leopardenfell gehüllt, auf einem Konzertflügel tanzen ließ, hatte ihn verlassen. So kommt also dieser Mann jeden Tag an der von ihm bestellten, schlimmer noch, auch von ihm bezahlten und für große Kunst gehaltenen Werk vorbei. Einer selbst von Wohlmeinenden als abartiger Humor eingestuften Verirrung.

      Davon wusste sein Psychiater leider nichts, denn er kam niemals an diesem Bild vorbei. Ja, was der eine nicht wusste, nämlich was visuelle Eindrücke auf der Seele hinterlassen können, denn nicht nur das Sein bestimmt unser Bewusstsein, sondern auch das Design, konnte der Fachmann für die Seele nicht ahnen. Deshalb musste der Patient noch viele Stunden auf der Couch opfern, ohne seine Angstneurose zu verlieren, aber stattdessen sein Allerliebstes, sein Geld.“

      „Da behaupte noch einer, die Welt sei nicht gerecht“, hatte ich einen Scherz versucht, nicht ahnend, das Jonathan Seyberg bei allem, was mit Fairness und Gerechtigkeit auch nur im entfernten zutun hatte, äußerst sensibel reagierte.

      „Aristoteles, der immerhin mehr als dreihundert Jahre vor Christi Geburt gelebt hat, verstand unter Gerechtigkeit, jedem zukommen zu lassen, was ihm gebührt und Gleiches gleich zu behandeln. Doch um die Eigeninitiative nicht zu bremsen, sollte wahrscheinlich von gleichen Vorteilen und gleichen Nachteilen für jeden gesprochen werden. Übrigens, in der abendländischen Rechtstradition gilt als einer der Kernsätze „Iustitia fundamentum regnorum“, nämlich Gerechtigkeit, das Fundament der Könige. Wehe den Herrscher, der sich nicht daran hält. Für das Morgenland, für dieses Land, dessen Gastfreundschaft wir unbedacht genießen, für alle Orte dieser Welt mit ungerechter Obrigkeit, und es sind sehr viele und mehr als wir denken, sollte Immanuel Kants Forderung, Gerechtigkeit als oberstes Prinzip der Staatsweisheit anzusehen, gelten. Doch wie meilenweit sind wir, selbstgerecht wie wir sind, davon selbst in unseren Staaten, in unseren Institutionen und Unternehmen entfernt? Nein, weise sind wir noch lange nicht und sollten deshalb vorsichtig mit unserer Kritik sein.“

      Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht? Ich jedenfalls hörte dem Mann gerne zu. Sicherlich, manchmal geriet er mir zu sehr ins Dozieren. Beispielsweise als ich ihn auf seine neuen Tennisschläger ansprach, die er wie seine Augäpfel hütete. Eigentlich sollte man annehmen, über so etwas Banales wie Rackets ließe sich, außer in der geschwätzigen Form der Werbung, rein überhaupt nichts sagen. Doch auch darin irrte ich. Für ihn waren Schläger nicht einfach nur Schläger, sondern eine Weltanschauung. Da steckte aus seiner Sicht weniger Material, aber mehr Technologie drin als in einem veralteten Notebook. Gegen einen Tennisschläger sei eine Videokamera so simpel wie ein Küchenmesser.

      Er erklärte immer alles wissenschaftlich, was mir manchmal gehörig auf den Wecker ging. Spielen kann man deshalb auch nicht besser, wenn man es weiß. Jedenfalls muss do ein Schläger die reinste Physik sein und davon habe ich in der Schule nie mehr als die Hälfte verstanden. Alles wortgetreu wiederzugeben, was Jonathan über Tennisschläger wusste, überstiege einfach meinen Horizont und außerdem hatte ich nicht vor, in dieses


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