Ein Mann will nach oben. Ханс ФалладаЧитать онлайн книгу.
»Det ha' ick. Ha' ick je ein Wort jejen deine Mutta jesagt, Tochter?«
»Is ja jut, Vata! Ick weeß ja, is ja jut! Biste stille, Vata! Mutta war die beste! – Schläft Tilda?«
»Se schläft, Tochter, ick ha' ihr in meen Bett jepackt. Se wollte so jerne, weil's so scheene warm war. Ick ha's ihr een bißcken zurecht jezogen. Laß ihr drin liejen, Tochter, ick habe meine Tour rum, morjen jeh ick wieda arbeeten.« Die letzten Worte hatte er fast belebt gesprochen, mit einer beinahe ängstlichen Betontheit.
»Is jut, Vata. Det machste, wie de willst. Da kann dir keener Vorschriften machen.«
»Und du reist nich wieda weg? Du bleibst jetzt hier, Tochter?«
»Natürlich, Vata. – Komm, Karl, nu ißte Suppe mit, die is schön heiß. Nachher tuste jleich det nasse Zeug vom Leibe, und wa puppen dich anders in. Mach bloß den Stehkragen los, Karl, du bist ja schon janz wund am Halse. – Vata, weeßte Arbeit for Karle?«
»Det is jut, Tochter«, sagte der Vater, der nichts gehört zu haben schien, »daß de nich wieder weg machst. Ick kann nich alleene sind. Wat heeßt hier Schinken – bei mir sollste sind!«
»Is ja jut, Vata. Wohin soll ick denn noch reisen? Ick bleib nu hier.«
Vater Busch hatte eine Hand gegen seine Wange gelegt, nun hob er die andere und zeigte damit auf Rieke. »Tochter!« rief er fast aufgeregt, in aller Leblosigkeit fast aufgeregt. »Tochter! Sieh mir an!«
»Reje dir nich uff, Vata«, sagte das Mädchen und legte den Löffel aus der Hand. Sie sah den Alten aufmerksam an. »Reje dir nich uff, ick hole dir lieber noch 'ne Pulle. War se so schlimm?«
»Schlimm?« fragte er. »Schlimm? Det nennste schlimm? Tochter, is det wahr, wat mir der Ernst erzählt hat, willste mir mit de Brommen vaheiraten?« Die Hand, die auf die Tochter zeigte, zitterte so sehr, als habe der Mann einen Schüttelfrost, aber der Mann saß unbeweglich wie eine Mauer, nur die Hand bebte.
»Det machste, wie du willst, Vata, es is wahr, ick habe mit der Brommen jeredet. Ihr paßt jut, Vata, und die Brommen is tüchtig. Ick tu, wat ick kann, Vata, aba ne richtije Frau bin ick doch nich, wenn ihr mir alle ooch dafor nehmen tut: ick bin bloß een Kind. Und denn, wenn 'ne Frau hier wäre, könnte ick een bißcken mehr lernen, ick bin zu doof, Vata. – Aber det machste, wie du willst, Vata. Sagste nee, denn Schwamm drüber, weg is et.«
»Sie war bei mir, Tochter«, sagte der Mann, und die Hand bebte immer stärker. »Die janzen Tage war sie bei mir, im Suff. Jetzt weeß ick, warum se's so eifrig hatte, die janzen Tage, wo ick jing und stand, hat se mir über die Schulter jeflüstert: Du sollst bei keinem Weibe schlafen, Vata, hat se jeflüstert Ick ha' ihr nich vastanden, nu versteh ick ihr. Ick bin for ihr ohne Sünde, Tochter, in diesem bin ich ohne Sünde!«
»Biste, Vata! Es war man 'ne Idee von mir, Vata. Wenn se dir nich in Ruhe läßt, is erledigt. Schluss!«
»Is erledigt, Tochter. Du hast's jesagt, is jut.« Die Hand sank schwer auf den Tisch herab, blieb dort liegen, wie vergessen. Die Augen schlossen sich fast. »Wat haste dir da anjepröhlt, Tochter? Jeh, zieh dir wat anderet an, wat Helles. Is erledigt, Tochter. Ick kann wieda atmen.« Er sprach wie im Schlaf. Das Mädchen legte zu Karl hin den Finger auf den Mund und schlich auf Zehenspitzen in die Stube. Karls Löffel lag in der ungegessenen, kalt gewordenen Mehlsuppe. Wie gebannt sah er auf den Mann, der nicht ihn, der nichts zu sehen schien. Noch einmal murmelte der: »Is erledigt, hat se jesagt ...« und seine Glieder entspannten sich. »Sie gibt wieder Ruhe ...«
Aus der Stube kam Rieke in einem weißen Kleid. Der Junge machte eine Bewegung der Überraschung: aus der grotesken, kleinen, verschrobenen Figur war ein helles, zartgliedriges Mädchen geworden, fast groß für sein Alter.
»Da biste, Tochter«, meinte der Vater. »Setze dir auf meinen Schoß! So, du weißt schon. Leg den Arm um meinen Hals, kraul mir'n Bart een bißcken, janz wie deine Mutta. Rieke, wat biste?« Zum erstenmal nannte der Mann seine Tochter Rieke, aber selbst der unerfahrene Karl Siebrecht verstand, daß er nicht seine Tochter so nannte.
»Deine Beste«, antwortete Rieke.
»Wen liebste, Rieke?«
»Dir, Walter, bloß dir!«
»Ha' ick dir was Böses getan, Rieke?«
»Nie nich, Walter, immer jut. Immer jeduldig. Immer arbeetsam.«
»Jib mir 'nen Kuss, Rieke.« Und sie gab ihm einen Kuss.
»Un nu schlaf in, Walter«, sagte das Mädchen und löste sanft den Arm von seinem Hals. »Komm, leg dir in de Klappe!« Und sie führte den vor Schlaf fast Taumelnden nebenan in die Stube.
Als sie zurückkam, stand Karl Siebrecht am Fenster und starrte hinaus in die Nacht. Das helle Mädchen stellte sich neben ihn und sah mit ihm, zum erstenmal auch sie wortlos, hinaus in die Nacht, über die Dächer fort, über die der Novemberwind stürmte. Vom Himmel war nichts zu sehen, noch lastete das Dunkel über der Stadt. Kein Stern, kein Mond – nur ein fahler Schein, der die Finsternis noch unterstrich. Schließlich sagte Rieke: »Von deine Arbeet ha' ick mit Vata nu nich reden können, det vastehste?«
»Natürlich.« Er wandte den Blick vom Dunkel fort, sah in ihr helles Gesicht und sagte: »Wie du das alles aushältst, Rieke? Ich komme mir ganz schlapp vor. Ich bewundere dich!«
»For wat denn, Karl?« fragte sie. »Sag bloß, for wat? Wejen de Arbeet und wejen Vata'n? Sei man bloß 'ne Weile bei uns, denn siehste andere Arbeet. Und Vata is doch jut. Vata tut keenem nischt.«
»Und du hast nie Angst vor ihm?«
»Vor Vata'n? Doch, Karl, manchmal. Der is ja oft nich janz von hier. Denn denk ick, er richt' noch mal een Unheil an. Darum hätt ick ihn ja jerne vaheirat', det er 'ne richtje Uffsicht hat, aba wat nich is, det is nich. Ick wer's der Brommen jleich saren, die is ne vanünftije Frau, se wird det bejreifen. – Un nu, Karl, packe nur aus, und du puppst dir um. Die Tracht hängen wa weg, bis de weiter bist. Vorläufig biste nischt als een unjelernter Arbeeta, da mußte dir ooch wie so eena tragen.« Nach einer halben Stunde war alles ausgepackt, und Karl trug die reichlich weite Manchesterhose des Vaters und eine Joppe. Erst hatte er protestiert, aber Rieke hatte gesagt: »Du mußt aussehen, det se dir nich jleich uff de Schippe nehmen. Se werden dir noch jenug verasten von wejen deine Sprache und deine feinen Pfoten. Aba laß sie, da mußte doch durch, det wirste schon schaffen.«
Nun ging er mit Rieke durch das dunkle, immer geräuschvolle Haus. Sie trug den kleinen Petroleumblaker, der Lichtschein fiel auf die ausgetretenen, beschmutzten Stufen und manchmal auf ihre kleinen Füße, die so müde sein mußten, ach, so müde!
»Wann gehst du schlafen, Rieke?«
»Jetzt jleich, wenn de versorgt bist.«
»Und wann stehst du auf?«
»Wo Vata wieder arbeet, um halb sechse. Hab keene Angst, ick weck dir rechtzeitig, wenn Vata wat for dir weeß.«
»Dann hast du kaum fünf Stunden Schlaf.«
»Det macht nischt, Karle, da schlaf ick een bißcken schneller zu. Det jleicht sich aus.« Sie gingen über zwei Höfe zurück, dann in ein Quergebäude und fingen wieder an, Stufen zu erklettern. »De Brommen hat's jut, die hat 'ne feine Wohnung«, sagte Rieke. »Ick dachte schon, ick könnte mit Vata'n und Tilda bei ihr ziehen. Na, wieder mal nischt!«
»Aber es riecht hier genauso, und die Treppen sind genauso scheußlich wie bei euch!«
»Aber der Hof, Karl! Haste nich uff'n Hof jeachtet?«
»Der Hof? Der ist genauso düster wie bei euch.«
»Du hast 'nen Blick, Karl, dir sollten se zum Baurat machen – for Arbeeterwohnungen! Der Hof hier is fast doppelt so jroß wie unserer! Wenn de Brommen de Fenster uffmacht, kriegt se Luft, ick bloß Gestank, und sie hat im Sommer Sonne, ick nie!« Damit waren sie an der Tür angelangt, Rieke klopfte leise, und die Tür ging auch gleich auf. Die Brommen war eine schwere Frau mit fast zu frischen Farben, sehr mit