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Ein Mann will nach oben. Ханс ФалладаЧитать онлайн книгу.

Ein Mann will nach oben - Ханс Фаллада


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mit jedem wußte sie gleich auf du und du zu kommen. Im kleinen Heimatstädtchen hätte sich Karl Siebrecht nur ungern mit einem so grotesk angezogenen, derart schnellzüngigen Mädchen öffentlich sehen lassen. In der großen Stadt Prenzlau saß er bei ihr im Wartesaal zweimal Zweiter, als gehörte er dazu, half ihr die Tilda beruhigen und lauschte mit unermüdeter Aufmerksamkeit ihrem Gerede. Aber Rieke Busch konnte nicht nur reden, sie konnte auch fragen, und nur schwer war ihren bohrenden Fragen zu widerstehen. Und Karl Siebrecht wollte gar nicht widerstehen, gerne erzählte er diesem – er hatte es nun erfahren – fast vierzehnjährigen Dingelchen von der abgeschlossenen Vergangenheit und von seinen großen Plänen für die Zukunft. Niemand schien ihm fähiger, zu raten, als dieses Kind mit seinem Mutterwitz, seinem nüchternen Lebensverstand, seiner Tüchtigkeit. Was er erst erreichen wollte, sich selbst ernähren, das hatte Rieke schon geschafft. Und sie ernährte nicht nur sich selbst, sondern die Schwester Tilda dazu und fütterte auch oft noch den blaumachenden Vater. Waren Karls Hoffnungen für die Zukunft aber noch reichlich vage, so hatte sie da ganz bestimmte Pläne, und sie war die Person dazu, sie durchzusetzen.

      »Ick muß nur wachsen«, sagte Rieke Busch. »Noch zwanzig Zentimeter, denn kann ick mit Waschbalje und Waschbrett hantieren, ohne 'ne Kiste unterzusetzen, und denn nehm ick Waschstellen an. Da vadien ick mehr Geld, jetz mach ick bloß Halbtagsmädchen – von wejen Schule –, det klappert nich so! Aba Wäsche kann ick, alle Tage 'nen Taler und denn die Stullen, da mach ick uns dreie von satt. Und denn spar ick! Uff wat spar ick? Uff 'ne Nähmaschine, und denn leg ich mir uff die Schneiderei, damit wird Jeld vadient. Arbeet? Arbeet jenug, det wirste selba bald sehen, bloß genieren mußte dir nich, aussuchen is nich. Und deine feinen Hände – na, det weeßte selba, die werden wohl nich lange fein bleiben!«

      »Ich hätte gerne was mit Autos zu tun«, sagte Karl Siebrecht.

      »Siehste!« antwortete sie, und ihre Augen funkelten vor Spott. »Det lieb ick! Schon willste dir die Arbeet aussuchen! Erst nimm, wat de kriegst! Und wenn's Kinderwagenschieben is – Auto kommt denn von alleene! Und überhaupt Auto – det sind doch allet Schlosser und Mechaniker, jloobste denn, det kannste von alleene, wat die sich in vier Jahren Lehre beijebogen haben?! So mach man weiter, denn brauchste jar nich erst anzufangen, denn fahr man jleich bei deine Minna!«

      Verdammt noch mal, die nahm kein Blatt vor den Mund, diese kleine Nüchterne! Ganz im geheimen hatte ja Karl Siebrecht wohl einen Traum in der Brust gehegt von einem sagenhaft reichen, edlen Mann, dem er irgendwie helfen konnte – manchmal rettete er ihm sogar das Leben! –, und dieser edle Einsame erkannte sofort die außerordentlichen Fähigkeiten des jungen Karl Siebrecht und ließ ihn aufrücken, bis er in ganz kurzer Zeit sein Nachfolger und Erbe wurde. Solchen Traum hatte er gehegt, manchmal. Aber Rieke Busch hatte nie geträumt, oder wenn sie geträumt hatte, war es um Waschfass und Nähmaschine gegangen. Sie hatte eine außerordentlich feine Nase für verstiegene Erwartungen.

      »Wenn de denkst, dir schenkt wer was«, sagte sie, und Karl Siebrecht hatte doch kein Wörtchen von seinem Traum verlauten lassen, »denn biste doof! Dir schenkt keener nischt, wat de dir nich nimmst, det kriegste nich. Und wat de jenommen hast, halt feste, sonst biste et jleich wieda los! Det is 'nen Haufen Jeld, wat de da hast, ick hab noch nie so 'ne Masse Jeld jesehen, aber wenn du's nich festhälst, bistet los, ehe de Piep jesagt hast. Und übahaupt – du kannst nich schnell jenug Arbeeter werden und wie 'n Arbeeter aussehen. Wat denkste, wat se dir mit deinem Stehkragen und deine feine Tolle vaäppeln werden. Mach deinen Korb mal uff, ick will sehen, ob de vanünftije Klamotten hast, die de anziehen kannst bei de Arbeet. Sonst vascheuern wa morjen deinen Schraps, und du kaufst dir wat Richtijet. Röllchen – haste Töne! Aba die manchesterne Hose is jut. Wat, zu lang ist die? Da näh iß dir 'nen Einschlag rin, wat denkste, wat du aussehen wirst, wenn de erst richtig arbeetest. Ick werde mit meinen Ollen reden, valleicht jeht er jrade uff den Bau, und valleicht brauchen se da 'nen Handlanger.«

      Ja, sie waren noch nicht in den Berliner Zug gestiegen, da war es schon ausgemacht – übrigens ohne daß Karl Siebrecht gefragt worden wäre –, daß Rieke zu Schwester und Vater auch noch diesen Jüngling unter ihre schützenden Fittiche nehmen würde. Sie wußte auch schon eine Schlafstelle für ihn (»Zimmer is nich, det mach dir man ab – wat denkste, wat du zu Anfang vadienen wirst?!«), und sein Geld brachte er morgen noch auf die Sparkasse! Karl Siebrecht war mit all diesen Verfügungen über seine Person ganz einverstanden, nicht etwa, weil er aus Schlappheit oder Feigheit gewillt war, sich gleich wieder unter ein neues Kommando zu begeben, sondern weil er das Gefühl hatte, in den ersten Wochen seines Berliner Aufenthaltes tue ihm eine Führung recht gut. Später würde er dann schon selber sehen ... Und außerdem gefiel ihm diese Rieke Busch sehr, sie kommandierte nicht etwa aus Herrschsucht, sondern aus gesundem Menschenverstand. Sie wußte Bescheid, und er hatte keine Ahnung.

      Der Berliner Zug war proppenvoll. Sie mußten ihre Körbe übereinander stapeln, aber sie fanden dank Riekes Schlagfertigkeit doch Sitzplätze, und keine drei Minuten, so erheiterte Rieke den ganzen Wagen mit der Schilderung ihrer Kleinbahnfahrt. Karl Siebrecht vergaß den toten Vater, er mußte Tränen lachen, wie Rieke Busch in ihrer Frauentracht den langen Laban von Schaffner nachmachte. Sie hielt ein imaginäres Stück Draht zwischen spitzen Fingern und sagte immer wieder: »Der is doch jerissen, det sieht man doch! Der is doch nich jeplatzt, i wo!«

      Und kaum war diese Vorstellung vorüber, so war Rieke Busch schon zu Karl Siebrechts Überraschung in einer sehr offenherzigen Erörterung seiner vergangenen und zukünftigen Lebensumstände. Irgendwelche Geheimnisse schien es bei ihr nicht zu geben. Da im Wagen viele Berliner saßen, war bald die lebhafteste Besprechung im Gange. Siebrecht wurde viele Male prüfend von der Seite angesehen, mußte Auskunft geben über seine Schulkenntnisse, die Rechenkünste, die Schönheit seiner Schrift, ja er mußte das Jackett ausziehen und die Oberarmmuskeln spannen. Er tat das alles gutwillig und lachend. Es waren wohl alles kleine Leute, die da mit ihnen im Wagen saßen, aber sie dachten wirklich darüber nach, ob sie was für ihn wüßten, sie wollten ihm gerne behilflich sein.

      Leider stellte sich bald heraus, daß bei solchen Berufen, von denen die Mitfahrer Kenntnis hatten, mehr Kräfte verlangt wurden, als dem Karl Siebrecht zuzutrauen waren. »Ick habe jedacht«, sagte ein biederer Schnauzbart, »du könntest vielleicht bei uns in den Stall, Junge. Ick bin bei die städtischen Omnibusse, vastehste? Mit 'nem Lackpott hoch vom Bock, vastehste? Unsa Futtameista braucht mal wieder 'nen Jehilfen. Mit dem Putzen und dem Futterschütten, det jinge ja noch, aba all die Säcke vom Boden, jeder anderthalb Zentner, det kannste nich, da machste bei schlapp.«

      »Ich habe schon anderthalb Zentner getragen«, sagte Karl Siebrecht.

      »Ja, eenmal! Aba det weeßte doch, eenmal is keenmal. Und wenn de denn nacheinander zwanzig Säcke runterbuckeln mußt, da wirste weich! Denn wat biste? Du bist weich! Det is keen Fleesch von 'nem Arbeeter, wat du auf dem Leibe hast, det ist so nüchterenet Kalbfleesch, vastehste? Allens Zadder, so is det.«

      »Er wird schon ander Fleesch kriejen!« rief Rieke Busch. »Der is nich schlapp!«

      »Nee, vielleicht nich, aba für uns is er nischt. Unsa Futtameesta, der is nich jut, der haut jleich.«

      »Vielleicht wüßte ich etwas für Sie«, ließ sich jetzt ein blasser, langer junger Mensch vernehmen, mit vielen Pickeln im Gesicht. »Wenn Sie fleißig sind, können Sie bei mir gutes Geld verdienen.«

      »Bei Sie –?!« antwortete Rieke Busch schnell, ehe noch Karl Siebrecht den Mund hatte auf tun können. Karl kannte nun schon den etwas gedehnten, schrillen Ton in ihrer Stimme – er kam immer, wenn sich ein Sturm bei ihr zusammenbraute. »Bei Sie kann er jutet Jeld vadienen?« Sie musterte den Jüngling. »Von wat vadienen Sie denn erst mal Jeld?«

      »Ich habe«, sagte der Jüngling bereitwillig, »die Generalvertretung für Berlin und die Mark Brandenburg des Pfiffikus-Sparbrenners. Spart bis zu sechzig Prozent des Petroleumverbrauchs ...«

      »Ach, den Dreck kenn ick«, sagte Rieke rasch. »Wenn man so 'n Ding uff de Lampe setzt, is't duster, wie wenn Neumond scheint, oder blakt, als wenn Ruß schneit. Det is doch Mist, Sie!«

      »Na, erlauben Sie mal«, protestierte der Jüngling. »Ich komme soeben aus Prenzlau und Umgegend, ich habe dreiundsechzig Stück von dem Pfiffikus verkauft.«


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