Wolf unter Wölfen. Ханс ФалладаЧитать онлайн книгу.
an ihr vorbei will, fällt die gußeiserne Stehlampe mit drohendem Krach vom Schreibtisch, und der grüne Lampenschirm zerklirrt in hundert Scherben.
Da muß Meier doch stehenbleiben und seinen Senf dazugeben.
Na ja, sagt er grinsend. Scherben bringen Glück – gilt das nun Ihnen oder gilt das mir? Und als sie ihn nur stumm, aber böse funkelnd ansieht: Was ist denn mit Ihnen los? Gewitter? Schwül genug ist es dafür.
Und er schaut ganz automatisch auf das Barometer, das seit Mittag langsam, aber ständig fällt.
Mit mir lassen Sie Ihre Schweinereien! sagt die Hartig schrill und böse. Denken Sie, ich räume euch länger euern Dreck nach! Und sie fährt in die Schürzentasche, öffnet die Hand – drei Haarnadeln hat sie in ihr. (1923 hatte der Bubikopf noch nicht das flache Land erobert.) In Ihrem Bett haben die gelegen! kreischt sie fast. Saukerl, elender! Aber ich räume das nicht mehr auf, ich zeig's der gnädigen Frau!
Welcher denn, Frau Hartig? lacht Meier. Die alte weiß es – und betet schon für mich; die junge aber denkt es sich auch so und lacht erst recht!
Er sieht sie überlegen, spöttisch an.
So ein gemeines Weibsbild! kreischt die Hartig. Kann doch nachsehen im Bett, ehe sie abhaut. Aber nee, ich soll ihr das nachräumen, ich der Geflügelmamsell! Keine Scham hat so 'n Biest!
Doch, doch, Frau Hartig, ganz bestimmt! sagt Negermeier ernst. Und wieder grinst er: Aber Ihr Jüngster hat ja so schöne rote Haare? Genau wie der Futtermeister. Soll der nun Kutscher werden wie der Vater oder Futtermeister wie der Stiefvater?
Und damit marschiert Meier ab, in sich hineinkichernd, herrlich zufrieden, während drinnen noch böse, aber doch halb schon besänftigt Frau Hartig auf die drei Haarnadeln in ihrer Hand starrt. ›Er ist ja ein Aas, aber mit einem Pfiff, so klein er ist!‹
Sie sieht die Haarnadeln noch einmal an, schüttelt sie, daß sie klappern, und steckt sie entschlossen in das eigene Haar.
›Dich krieg ich doch noch‹, denkt sie. ›Amanda regiert auch nicht ewig!‹
Sie räumt die Scherben des Lampenschirms fort, sehr vergnügt plötzlich, denn sie ist fest davon überzeugt, daß sie ihr Glück bringen werden.
Meier denkt auch an die Scherben und an das Glück, das sie ihm nun gleich sofort auf der Stelle bringen werden. In allerbester Stimmung langt er bei der Villa des Rittmeisters an. Erst späht er in den Garten – denn am liebsten träfe er Weio nicht in Hörweite der Mutter –, aber im Garten ist sie nicht. Das ist unschwer festzustellen, denn obwohl der Garten nicht ganz klein ist, kann man ihn doch auf einen Blick übersehen, diese vor ein paar Jahren aus dem blanken Feld gestampfte und halb schon wieder vertrocknete Gelegenheitsschöpfung der gnädigen Frau.
Nichts kann im übrigen Festigkeit der Stellung in Neulohe und Abstand zwischen Besitzer und Pächter besser versinnbildlichen als die Betrachtung des Teschowschen Schlossparks und des Prackwitzschen Gartens: dort hundertjährige große Bäume, in aller Fülle, strotzend von Blättern und Saft, hier ein paar Dutzend kahle Stangen, mit wenigen, schon vergilbten Blättern. Dort weite Rasenflächen, dunkelgrün; hier spärliches Gras, hart, gelb, im aussichtslosen Kampf mit den wieder vordringenden Feldstiefmütterchen, Quecken, Schachtelhalm. Dort ein nicht ganz kleiner Teich mit Ruderboot und Schwan; hier ein sogenanntes Planschbecken, wohl aus Solnhofer Platten, aber mit einer grünen Jauche gefüllt. Dort ererbtes Wachstum, aus der Zeit kommend für die Zeit; hier etwas kaum Geborenes, schon wieder Absterbendes doch: der Rittmeister ist ein großer Mann.
Feldinspektor Meier war schon im Begriff, auf den Klingelknopf zu drücken, da wird er von der Seite her angerufen. Auf dem flachen Dach des Küchenanbaus (bloß Teerpappe) stehen ein Liegestuhl und ein großer Gartenschirm, eine Leiter lehnt am Anbau. Von dort oben hat es gerufen: Herr Meier!
Meier gibt sich den notwendigen dienstlichen Ruck: Jawohl?
Ungnädige Stimme von oben: Was ist denn? Mama ist ganz kaputt von der Hitze, will schlafen – stören Sie sie bloß nicht!
Ich wollte nur fragen, gnädiges Fräulein ... Der Herr von Teschow hat mir gesagt, der Herr Rittmeister hätte telefoniert ... Ein wenig ärgerlich: Es ist wegen der Wagen ... Soll ich heute Abend zur Bahn schicken oder nicht?
Schreien Sie doch bloß nicht so! schreit die Stimme von oben. Ich bin doch keines von Ihren Hofgängermädchen! Mama will Ruhe, habe ich Ihnen gesagt!
Meier guckt verzweifelt empor zu dem flachen Dach. Aber es ist zu hoch, und er steht zu tief: er kann nichts von der im Traum Entführten und Geheirateten sehen, sondern nur ein Stück Liegestuhl und ein etwas größeres Stück Pilzschirm. Er entschließt sich zu flüstern – so laut er kann: Ob ich Wagen schicken soll – heute Abend – zur Bahn –?
Pause. Stille. Warten.
Dann von oben: Haben Sie was gesagt? Ich versteh immer Bahnhof!
Hä-hä-hä! Meier belacht pflichtschuldig die gängigste Redensart der Zeit. Dann wiederholt er etwas lauter seine Anfrage.
Sie sollen doch nicht schreien! hat er sofort seinen Tadel weg.
Er steht da, er weiß natürlich ganz genau, daß sie ihn nur zwiebeln will. Er ist eben nur der Feldbeamte von Papa. Hat zu tun, was ihm gesagt wird. Hat zu stehen und zu warten, bis das gnädige Fräulein geruhen. Na, warte nur, meine Liebe, eines Tages wirst du stehen und warten müssen – aber auf mich!
Jetzt allerdings scheint er lange genug gewartet zu haben, denn sie ruft von oben (übrigens für eine so rücksichtsvolle Tochter erstaunlich laut): Herr Meier! Sie sagen ja gar nichts mehr?! Sind Sie überhaupt noch da –?!
Jawohl, gnädiges Fräulein.
Ich dachte schon, Sie wären in der Sonne zerflossen. Butter müssen Sie dafür genug auf dem Kopf haben.
(›Weiß natürlich auch schon Bescheid. Schadet aber gar nichts – macht ihr bloß Appetit.‹)
Herr Meier!
Jawohl, gnädiges Fräulein –?
Wenn Sie also lange genug unten gestanden haben, merken Sie vielleicht, daß eine Leiter da ist, und sagen mir hier oben, was Sie eigentlich wollen.
Noch einmal: Jawohl, gnädiges Fräulein! und die Leiter hinauf.
›Jawohl, gnädiges Fräulein‹ ist immer gut, schmeichelt ihr, kostet nichts, betont den Abstand und erlaubt alles. Man kann ihr in den Ausschnitt gucken und dabei voller Demut ›Jawohl, gnädiges Fräulein‹ sagen, man kann es sogar sagen und ihr dabei einen Kuss geben –›Jawohl, gnädiges Fräulein‹ ist ritterlich, kavaliermäßig, schneidig – wie die Offiziere in Ostade, denkt Negermeier.
Er steht jetzt am Fuß ihres Liegestuhls und sieht gehorsam und doch frech blinzelnd auf seine junge Herrin, die da mit nichts als einem sehr kurzen Badeanzug bekleidet vor ihm liegt. Violet von Prackwitz, fünfzehn Jahre, ist schon ein bißchen voll, zu voll mit der schweren Brust, den fleischigen Hüften, dem starken Gesäß, zieht man die Jahre in Betracht. Sie hat das weiche Fleisch, die zu weiße Haut der lymphatischen Mädchen, dazu ein wenig vorstehende Augen wie die Mutter. Sie sind blau, blaßblau, verschlafen blau. Die nackten Arme hat das gute, unschuldige Kind erhoben, sie reckt sich ein wenig, es sieht gar nicht schlecht aus, hübsch ist das Luder und – Donnerwetter! – was für ein Körper! Das muß sich einem doch in den Arm schmiegen.
Schläfrig, genußsüchtig durch die fast geschlossenen Lider blinzelnd, betrachtet sie das Gesicht des Inspektors. Na, was gucken Sie denn so? fragt sie dann herausfordernd. Im Familienbad habe ich auch nichts anderes an. Stellen Sie sich bloß nicht so an. Sie studiert sein Gesicht. Dann: Na ja, Mama sollte uns hier beide mal so sehen ...
Er kämpft mit sich. Die Sonne brennt irrsinnig heiß, es flimmert, jetzt streckt sie sich wieder. Er macht einen Schritt ...: Ich ... Weio, o Weio ...
O wei! O wei! lacht sie. Nee, nee, Herr Meier, stellen Sie sich lieber wieder da bei der Leiter auf. Plötzlich ganz Herrin: Sie sind ja komisch! Sie bilden sich wohl was ein? Ich brauche nur einmal