Wolf unter Wölfen. Ханс ФалладаЧитать онлайн книгу.
schweren Hagelschlag, der die ganze Ernte zusammendrasch – wenn Fräulein nun keinen Urlaub gehabt hätte, hätten wir das doch vorher gewußt, und das wäre doch sooo gut gewesen, nicht wahr, liebe Mathilde? Aber natürlich, grade da mußte Fräulein auf Urlaub sein! –
Ja, es ist alles recht, Fräulein, danke. Sie können jetzt noch die Spitzenrüschen an meinem schwarzen Taftkleid plätten. Sie sind schon geplättet, ich weiß, Fräulein. Es ist nicht nötig, daß Sie mir das sagen. Aber sie sind nicht so geplättet, wie ich es gewöhnt bin, sie müssen sein wie ein Hauch ... Fräulein! Wie ein Hauch! Also tun Sie das, Fräulein!
Und kaum ist hinter Fräulein die Tür zu, wendet sich Frau von Anklam wieder ganz teilnahmsvoll an Frau Pagel. Ich habe es mir hin und her überlegt, liebe Mathilde, aber es bleibt dabei: sie ist einfach eine Person!
Frau Pagel fährt zusammen, sieht ängstlich zur Tür: Fräulein?
Aber Mathilde, konzentriere dich doch ein bißchen! Von was reden wir? Von der Heirat deines Sohnes! Wenn ich so unkonzentriert sein wollte! Ich habe stets meinen Damen gesagt ...
Frau Pagel hat immer noch die Hoffnung, irgend etwas Positives zu erfahren, sie weiß eigentlich nicht was. Es gelingt ihr einzuschieben: Das Mädchen ist vielleicht doch nicht ganz schlecht ...
Mathilde! Eine Person! Nur eine Person!!
Sie liebt Wolfgang – in ihrer Art ...
Davon will ich nichts hören! Unanständigkeiten, nein, in meinem Heime nicht ...
Aber Wolfgang spielt, Betty, verspielt alles ...
Frau von Anklam lacht. Wenn man dein Gesicht sieht, beste Mathilde! Der Junge jeut ein bißchen – du mußt nicht ›spielen‹ sagen, ›spielen‹ klingt so gewöhnlich –, alle jungen Menschen jeuen ein bißchen. Ich erinnere mich, wie wir damals das Regiment in Stolp hatten, wurde auch viel gejeut unter den jungen Leuten. Exzellenz von Bardenwiek sagte zu mir: ›Was machen wir bloß, gnädigste Frau von Anklam? Wir müssen etwas dagegen tun.‹ Ich sagte: ›Exzellenz‹, sagte ich, ›wir werden gar nichts tun. Solange die jungen Leute jeuen, machen sie keine andern Dummheiten.‹ Und er pflichtete mir sofort bei ... Herein!
Es hat leise und vorsichtig geklopft an der Tür. Nun steckt Fräulein den Kopf herein: Ernst ist zurück, Exzellenz.
Ernst –? Was will er denn –? Was sind denn das für neue Moden, Fräulein?! Sie wissen doch, ich habe Besuch! Ernst – unglaublich!
Trotz dieses Gewitters wagt das Fräulein noch etwas zu sagen, sie piepst wie eine Maus in der Falle: Er war auf dem Standesamt, Exzellenz.
Frau von Anklam verklärt sich: Ach natürlich, er soll sofort hereinkommen, sobald er sich die Hände gewaschen hat. Was Sie für lange Geschichten aus allem machen, Fräulein! – Fräulein, einen Augenblick, rennen Sie doch nicht immer gleich so kopflos fort – warten Sie bitte meine Anordnungen ab. Geben Sie ihm erst noch ein paar Spritzer Eau de Cologne, jawohl, von der Wasch-Eau de Cologne! Man weiß nicht, mit wem er dort zusammen gewesen ist.
Wieder allein mit der Kusine: Ich wollte doch wissen, wie die Trauung verlaufen ist. Ich habe mir lange überlegt, wen ich zu so etwas schicken könnte. Ich habe unsern Ernst geschickt. Nun, jetzt werden wir ja hören ...
Und ihr Auge leuchtet, sie rückt die schwere Leibesfülle im Sessel hin und her, ganz Erwartung. Sie wird etwas Neues hören, wieder etwas für die Rumpelkammer – o Gott, großartig!
Der Diener Ernst tritt ein, ein älterer Mann, an die Sechzig, ein Männchen, lange schon, ein Leben schon bei Frau von Anklam.
Unter der Tür! ruft sie. Unter der Tür bleibst du stehen, Ernst!
Ich weiß doch, Exzellenz!
Gleich nachher badest du, ziehst dich frisch um, wer weiß, was für Bakterien auf dir sitzen, Ernst! – Nun los, sage doch endlich: wie war die Trauung?
Gar nicht war sie, Exzellenz!
Siehst du, Mathilde – was sage ich dir immer? Um gar nichts regst du dich auf! Was habe ich dir noch vor drei Minuten gesagt: eine ganz gewöhnliche Person! Sie hat ihn sitzenlassen!
Frau Pagel schwach: Wenn ich Ernst befragen dürfte, liebe Betty –?
Aber natürlich, liebe Mathilde. – Ernst, ich verstehe dich nicht, du stehst wie ein Stock da, du hörst doch, Frau Pagel möchte alles wissen! Erzähle, rede – sie hat ihn natürlich sitzenlassen! Nun weiter – was hat er gesagt dazu?
Halten zu Gnaden, Exzellenz! Ich glaube, der junge Herr hat sie – ist nicht gekommen ...
Siehst du, Mathilde, genau, was ich dir gesagt habe! Der Junge ist ganz in Ordnung, das bißchen ›Jeu‹ tut ihm nichts, im Gegenteil – völlig vernünftig, solche Person heiratet man doch nicht!
Endlich dringt Frau Pagel durch: Ernst, ist es auch sicher? War bestimmt keine Trauung? Vielleicht sind Sie ein bißchen zu spät gekommen?
Nein, gnädige Frau, bestimmt nicht. Ich war rechtzeitig da und habe bis zum Schluss gewartet und auch den Beamten gefragt: sie sind beide nicht gekommen.
Siehst du, Mathilde ...
Aber warum glauben Sie denn, Ernst, daß es mein Sohn gewesen ist. Sie verstehen schon ...
Ich wollte sichergehen, gnädige Frau, es konnte ja auch was passiert sein. Auf dem Standesamt erfuhr ich die Wohnung. Ich bin also hingegangen, gnädige Frau ...
Ernst, unbedingt sofort baden und völlig frische Wäsche –!
Zu Befehl, Exzellenz! – Der junge Herr hat sich seit heute früh dort nicht mehr sehen lassen. Und das Mädchen hat man hinausgesetzt, weil die Miete nicht bezahlt war. Sie stand noch unter der Tür. Ich habe sie ...
Frau Pagel steht mit einem Ruck auf. Plötzlich ist sie wieder ganz Entschlossenheit, dunkel, energisch, starrer Nacken.
Ich danke Ihnen, Ernst. Sie haben mich sehr beruhigt. Entschuldige, liebe Betty, daß ich so formlos gehe, aber ich muß sofort nach Haus. Ich habe das bestimmte Gefühl, Wolfgang sitzt dort und wartet ganz verzweifelt auf mich. Irgend etwas muß vorgefallen sein. O Gott, und Minna ist auch weg! Nun, er hat ja noch seine Schlüssel zu der Wohnung. Entschuldige, ich bin ganz durcheinander, liebe Betty ...
Form! Form, Haltung, liebe Mathilde! Haltung in jeder Lebenslage. Natürlich hättest du an einem solchen Nachmittag zu Haus bleiben müssen, natürlich wartet er auf dich. Ich wäre natürlich an solchem Tage nicht aus dem Haus gegangen. Und vor allem eins – bitte, Mathilde, noch einen Augenblick, du kannst doch nicht so einfach loslaufen – sei hart mit ihm! Keine falsche Weichheit! Vor allem: gib ihm kein Geld, keinen Pfennig! Wohnung, Essen, Kleidung – gut! Aber kein Geld, er verjeut es bloß! Mathilde –! Mathilde! Weg! Keine Form! – Höre mal, Ernst ...
Die Thumannsche der oberen Zehntausend spricht weiter, immer weiter ...
8
Der Hund schlief noch immer, auch die Katze schlief, noch schlief die Georgenkirchstraße.
Das Mädchen Petra Ledig stand in dem Torweg zu den Hinterhöfen des Hauses im Schatten. Vor ihr flimmerte die Straße von weißer, erbarmungsloser Hitze; das grelle Licht tat in den Augen weh; was sie sah, verlor die Umrisse, schien zu zerfließen. Dann schloss sie die Lider, und nun kam Schwärze in ihren Kopf, Schwärze mit plötzlich aufflackerndem, schmerzendem Purpurrot. Darein hörte sie Uhren schlagen – es war gut, so verging Zeit. Zuerst hatte sie gemeint, sie müsse irgendwohin gehen, etwas tun. Aber als sie fühlte, wie in den Augenblicken halben Dämmerns Zeit verrann, wußte sie, daß sie nur hier zu stehen und zu warten hatte. Er mußte ja kommen, jeden Augenblick mußte er kommen, er brachte Geld mit. Dann würden sie losgehen, um die Ecke war ein Bäckerladen, daneben der Fleischer. Sie fühlt, wie sie hineinbeißt in die frische Schrippe, sie kracht, das gelblichbraune Äußere, ihre krosse Hülle zerbricht, kleine, flache, spitze Splitter bleiben am Rande. Das Innere ist weißlich locker.
Nun schiebt sich wieder etwas Rötliches dazwischen, sie versucht es zu erkennen