Wolf unter Wölfen. Ханс ФалладаЧитать онлайн книгу.
Panje!
Dann wäre also alles in Ordnung? sagte der Rittmeister abschließend. Irgend etwas in der Haltung des andern machte ihn doch stutzig, das ergebene Lächeln erschien ihm plötzlich nicht so ergeben, mehr hinterhältig. Alles in Ordnung – oder –?
Alles in Ordnung! beruhigte der Dicke, mit einem raschen Aufleuchten des Blicks zu den andern. Alles nach den Befehlen vom Panje. Fünfzig Leut – gut, sind sie da! Eisenbahn – 12 Uhr 30 – gut, fährt sie ab! Ordentlich, pünktlich, nach Befehl – aber ohne Leut! Er grinste.
Was?! schrie der Rittmeister fast und verzog sein Gesicht zu tausend Falten. Was sagen Sie da?! Reden Sie deutsch, Mann! Wieso ohne Leute –?!
Und der Herr, der doch so gut kann befehlen, wird er auch befehlen, woher ich nehme die Leut? Fünfzig Mann – gutt, gutt, find sie, mach sie, schnell, fix, printgo, was?!
Jetzt sah der Rittmeister sich den Mann doch genauer an. Seine erste Verblüffung war vorüber, auch schon der erste Zorn, da er merkte, er sollte gereizt werden. ›Der kann ganz gut Deutsche‹ dachte er, da der andere immer grotesker, überstürzter redete. ›Der will bloß nicht.‹
Und die da hinten? fragte er und zeigte auf die drei im Manchester, denen die Zigarre noch immer wie erloschen im Mundwinkel hing. Sie sind doch Vorschnitter? Kommen Sie doch zu mir! Neue Schnitterkaserne, anständige Betten, keine Wanzenfallen.
Einen Augenblick lang kam es ihm jämmerlich vor, daß er sich so anpries. Aber es ging um die Ernte, eines Tages, eines sehr nahen Tages konnte es Regen geben. Ja, es war heute eigentlich schon hier in Berlin wie Gewitter in der Luft. Auf den dicken Schwärzlichen war nicht mehr zu rechnen, mit dem hatte er es verdorben, wohl durch seine Befehlsstimme. Nun, wie ist es? fragte er ermunternd.
Die drei standen bewegungslos, als hätten sie kein Wort gehört. Es waren Vorschnitter, der Rittmeister war seiner Sache sicher. Er kannte diese vorgestoßenen Kinnladen, diese entschlossenen, etwas wilden und doch trüben Blicke der Antreiber von Beruf.
Der Schwärzliche stand grinsend da, er sah den Rittmeister von der Seite an, sah überhaupt nicht nach den Leuten hin, so sicher war er seiner Sache. (Da ist die Straße und der Punkt, auf den ich sehe. Ich muß entlang!) Laut: Gute Arbeit – guter Lohn, guter Akkord – gutes Deputat! Wie ist es –? Sie hörten nichts. Und für den Vorschnitter dreißig, ich sage, dreißig gute echte Papierdollar in die Hand!
Ich vermittle die Leute! schrie der Schwärzliche.
Aber schon zu spät. Die Vorschnitter standen an der Barriere.
Nimm meine, Panje! Leute wie Ochsen, stark, fromm ...
Nein, nicht die vom Josef. Alles faule Gauner, früh nicht aus den Betten, bei Maruschka stark, bei Arbeit schlapp ...
Was redest du, Panje, mit Jablonski?! Ist grade gekommen aus Kittchen, hat mit Messer gestochen Panje Inspektor ...
Psia krew, pierunna –!
Der eine auf den andern, polnischer Wortsturz – soll es auch hier eine Messerstecherei geben? Der Dicke dazwischen, ununterbrochen redend, gestikulierend, schreiend, zurückdrängend, auch den Rittmeister anfunkelnd – während sich der dritte unvermerkt an den Rittmeister heranpirscht.
Gute Papierdollar, wie, was? Dreißig? Bei Abfahrt in die Hand? Sei der Herr um zwölf auf dem Schlesischen, ich auch da, mit Leute. Nichts sagen! Schnell weggehen! Schlechte Leute hier!
Und schon ist er wieder bei den andern, die Stimmen schreien, vier Gestalten wanken hin und her, sich zerrend ...
Der Rittmeister ist froh, die Tür nah und unverstellt zu finden. Er tritt erlöst zurück auf die Straße.
5
Wolfgang Pagel sitzt noch immer am Wachstuchtisch seiner Höhle, wippt mit dem Stuhl, flötet gedankenlos sein ganzes Repertoire an Soldatenliedern und wartet auf den Thumannschen Emaille-Kaffeepott.
Seine Mutter unterdessen, in der wohl eingerichteten Wohnung an der Tannenstraße, sitzt vor einem schönen, dunklen Renaissancetisch. Auf einer gelblichen Klöppelspitzendecke steht ein silbernes Kaffeegeschirr, frische Butter, Honig, echt englische Jams – es ist alles da. Nur vor dem zweiten Gedeck sitzt noch niemand. Frau Pagel sieht auf den Platz, die Uhr. Dann greift sie zur Serviette, zieht sie aus dem Silberring und sagt: Minna, ich fange an. Minna, das ältliche, gelbliche, verstaubte Wesen an der Tür, seit über zwanzig Jahren bei Frau Pagel, nickt mit dem Kopf, sieht auch auf die Uhr und sagt: Gewiß doch. Wer nicht kommt zur rechten Zeit ...
Er weiß, wann unsere Frühstückszeit ist ...
Gewiß doch – das kann der junge Herr ja gar nicht vergessen!
Die alte Dame, mit dem energischen Gesicht, dem klaren blauen Auge, der das Alter nichts von ihrer straffen Haltung, nichts von ihren festen Grundsätzen hat nehmen können, sagt nach einer Pause: Ich dachte eigentlich, ich würde ihn heute zum Frühstück sehen.
Minna hat seit jenem Streit, an dessen Ende die am wenigsten beteiligte Petra eine Ohrfeige bekam, tagtäglich das Gedeck für den einzigen Sohn auflegen müssen, tagtäglich hat sie es unbenutzt wieder forträumen müssen und tagtäglich hat die Gnädige diese Erwartung ausgesprochen. Aber Minna hat auch gesehen, daß die tägliche Enttäuschung der alten Dame nichts von der Sicherheit genommen hat, mit der sie den Sohn immer neu erwartet (ohne ihm einen Schritt entgegen zu tun). Minna weiß längst, alles Reden hilft nichts, also schweigt Minna.
Frau Pagel schlägt ihr Ei an. Nun, er kann noch im Laufe des Tages kommen, Minna. Was haben wir heute zum Essen?
Minna berichtet, und die gnädige Frau ist zufrieden: alles Dinge, die er mag.
Jedenfalls wird er nun sehr bald kommen. Einmal muß er mit dieser verdammten Spielerei scheitern. Ein Ende mit Schrecken ... Nun, von mir soll er kein Wort des Vorwurfs hören ...
Minna weiß es besser, aber das muß sie ja nicht sagen, also schweigt sie. Doch Frau Pagel ist auch nicht ohne Verstand und nicht ohne Witterung. Sie dreht den Kopf scharf zu der alten Getreuen unter der Tür und fragt: Sie hatten ja gestern Ihren freien Nachmittag, Minna. Sie waren wohl wieder – da –?
Wohin soll ein alter Mensch gehen? versetzt Minna mürrisch. Er ist doch auch wie mein Junge!
Die gnädige Frau schlägt ärgerlich mit dem Löffel gegen die Tasse. Er ist ein ganz dummer Junge, Minna! sagt sie scharf.
Jugend hat keine Tugend, antwortet Minna völlig ungerührt. Wenn ich bedenke, gnädige Frau, was ich für Dummheiten in meiner Jugend gemacht habe –!
Was haben Sie denn für Dummheiten gemacht, Minna?! ruft die Gnädige empört. Gar keine haben Sie gemacht! Nein, wenn Sie von Dummheiten reden, dann meinen Sie natürlich bloß mich – und das verbitte ich mir, Minna!
Minna schweigt darauf. Aber ist man mit sich unzufrieden, kann auch das Schweigen des andern Öl ins Feuer sein – grade das Schweigen.
Natürlich hätte ich ihr keine Ohrfeige geben sollen, fährt Frau Pagel noch hitziger fort. Sie ist nur ein kleines, dummes Mädchen, und sie liebt ihn. Ich will nicht sagen, wie ein Hund seinen Herrn liebt, trotzdem sie genau das tut, jawohl, Minna, schütteln Sie nicht mit dem Kopf, genau das ... (Frau Pagel hat sich nicht nach Minna umgedreht, aber Minna hat wirklich mit dem Kopf geschüttelt.) ... sie liebt ihn, wie Frauen einen Mann eben nicht lieben sollten!
Frau Pagel starrt wütend ihr Brot mit Jam an. Aus einer naheliegenden Erwägung heraus steckt sie den Löffel in die Jamdose und macht den Aufstrich fingerdick. Sich opfern! sagt sie empört. Das glaub ich! Das möchten alle! Weil's bequem ist, weil's dann keinen Ärger gibt! Aber Unangenehmes sagen: Wolfgang, mein Sohn, mit der Spielerei ist es aus, keinen Pfennig kriegst du mehr von mir, ihm so was zu sagen, das wäre rechte Liebe ... Aber, gnädige Frau, sagt Minna recht nölig, die Kleine hat ja gar kein Geld, das sie ihm geben kann, und ihr Sohn ist er doch auch nicht ...
Da!! ruft Frau Pagel zornentbrannt. Da!! Machen Sie, daß Sie rauskommen, Sie undankbare Person, Sie! Mein ganzes Frühstück