TARZAN UND DIE AMEISENMENSCHEN. Edgar Rice BurroughsЧитать онлайн книгу.
unter anderen Breitengraden. Während ihres Gespräches wanderten Uhhas Augen immer wieder nach Odebes Hütte, und mehrmals deutete das Zusammenziehen ihrer Augenbrauen tieferes Nachdenken an, als ihr müßiges Geschwätz ahnen ließ.
Plötzlich fragte sie. »Wo hast du das Armband aus Kupferdraht, das dir deines Vaters Bruder zu Anfang des letzten Mondes gab?«
Odebes Tochter zuckte die Achseln. »Er nahm es mir wieder und gab es der Schwester seines jüngsten Weibes.« Uhha ließ die Flügel hängen. Ob sie etwa das Kupferarmband selbst gern gehabt hätte? Ihre Augen musterten die Freundin scharf. Mit einem Mal hellte sich ihr Gesicht auf.
»Und das Halsband mit den vielen Perlen, das dein Vater von der Leiche des Kriegers nahm, den wir für das letzte Fest fingen? Das hast du doch nicht verloren?«
»Nein«, erwiderte ihre Freundin. »Das ist beim Vater im Hause. Wenn ich Mais mahle, ist es mir immer im Wege, deswegen habe ich es beiseitegelegt.«
»Kann ich’s sehen?«, fragte Uhha.
»Ich werde es holen!«
»Nein, du könntest Odebe aufwecken, und dann wird er sehr böse«, sagte die Häuptlingstochter.
»Ich werde ihn nicht stören«, widersprach Uhha und wandte sich nach dem Hütteneingang.
Ihre Freundin wollte sie abhalten. »Ich werde es holen, sobald Baba aufgewacht ist«, versprach sie Uhha, doch diese hörte gar nicht hin und kroch bereits vorsichtig ins Innere der Hütte. Dort wartete sie eine Weile, bis sich ihre Augen an das Halbdunkel gewöhnt hatten. An der anderen Hüttenwand lag Odebe langgestreckt auf einer Schlafmatte und schnarchte friedlich. Uhha kroch so verstohlen wie Sheeta, der Leopard, auf ihn zu. Ihr Herz schlug wie ein Tam-tam, wenn der Tanz am wildesten ist. Sie fürchtete, das Klopfen ihres Herzens und ihre keuchenden Atemzüge würden den alten Häuptling wecken, vor dem sie nicht weniger Scheu hatte als vor dem Flussteufel. Aber Odebe schnarchte ruhig weiter.
Jetzt war Uhha dich neben ihm, und ihre Augen hatten sich an das Halbdunkel der Hütte gewöhnt. Neben Odebe, halb unter dem Körper versteckt, sah sie eine Tasche. Vorsichtig legte sie ihre zitternden Finger daran und wollte sie hervorziehen. Da rührte sich der Schläfer unbehaglich, und Uhha wich angstvoll zurück. Odebe änderte seine Lage, und Uhha dachte, er sei aufgewacht. Sie war starr vor Schrecken, sonst wäre sie Hals über Kopf aus der Hütte geflohen, aber zu ihrem Glück wagte sie nicht, sich zu rühren, und alsbald schnarchte Odebe weiter. Doch nun war ihr Mut dahin, und sie dachte nur noch daran, wie sie, ohne entdeckt zu werden, wieder aus der Hütte kommen könnte. Noch einen letzten ängstlichen Blick warf sie auf den Häuptling, ob er auch schliefe. Da fielen ihre Blicke auf die Tasche. Odebe hatte sich herumgedreht, und da lag sie, von seinem Körpergewicht befreit, greifbar in ihrem Bereich.
Sie griff danach und zog die Hand wieder zurück. Sie wendete sich ab, denn das Herz wollte ihr versagen, und sie fühlte sich ganz schwindelig. Aber dann dachte sie an den Flussteufel und die schrecklichen Todesarten, die er senden konnte. Noch einmal fasste sie nach der Tasche, und diesmal nahm sie sie auf, öffnete sie hastig und untersuchte den Inhalt. Da war der Messingschlüssel. Sie kannte ihn gleich, denn er war das einzige Stück, dessen Zweck sie nicht kannte. Halsring, Kette und Schlüssel hatte Odebe einst einem arabischen Sklavenjäger abgenommen, den sie getötet und auf gefressen hatten, und da einige der älteren Leute aus Odebes Dorf ähnliche Fesseln zu kosten bekommen hatten, war es nicht schwierig, sie erforderlichenfalls zu verwenden. Uhha schloss hastig die Tasche und legte sie wieder an Odebes Seite. Den Schlüssel in der geballten Faust verborgen, kroch sie schleunigst durch die Tür hinaus. Am nämlichen Abend noch, sobald die Glut der Kochfeuer mit Erde bedeckt war und Odebes Volk sich in seine Hütten zurückgezogen hatte, hörte Esteban Miranda eine verstohlene Bewegung am Eingang seines Verließes. Er lauschte angespannt. Jemand kam hereingekrochen - jemand oder etwas.
»Wer ist da?«, fragte der Spanier mit einer Stimme, die kaum das Zittern verbergen konnte.
»Psst!«, erwiderte der Eindringling leise. »Ich bin’s, Uhha, die Tochter von Khamis, dem Schamane. Ich komme, um dich zu befreien, damit du weißt, dass du doch einen guten Freund in Odebes Dorf hast und uns darum nicht zu vernichten brauchst.«
Miranda musste lächeln. Seine Andeutung hatte schneller gefruchtet, als er hoffen konnte; offenbar hatte das Mädchen auch das anbefohlene Stillschweigen gewahrt, aber das machte nichts mehr aus, wenn er auch so sein Ziel, die Freiheit, erreichte. Er hatte dem Mädchen nur darum Schweigen anbefohlen, weil er glaubte, dass das der sicherste Weg sei, seine Worte im Dorf herumzubringen. Dort würden sie dann schon zu den Ohren von irgendeinem abergläubischen Schwarzen gelangen, der Mittel und Wege fand, ihn zu befreien, sobald der Ansporn dazu gegeben war.
»Wie willst du mich denn befreien?«, fragte Miranda.
»Schau!«, rief Uhha. »Ich habe den Schlüssel zum Ring um deinen Hals mitgebracht.«
Uhha kroch näher an den Mann heran und reichte ihm den Schlüssel. Dann wollte sie flüchten.
»Warte!«, gebot der Gefangene. »Wenn ich frei bin, musst du mich bis zur Dschungel begleiten. Wer mich befreit, muss auch das tun, wenn er die Gunst des Flussgottes gewinnen will.«
Uhha hatte Angst, aber sie wagte keine Weigerung. Miranda fingerte einige Minuten an dem alten Schloss herum, ehe es endlich dem abgenützten Schlüssel nachgab. Als er aus dem Halsring geschlüpft war, schnappte er das Schloss wieder zu, nahm den Schlüssel an sich und kroch ins Freie.
»Besorg' mir Waffen«, flüsterte er dem Mädchen zu, und Uhha verschwand in dem Schatten der Dorfstraße. Miranda wusste, dass die Kleine voller Angst war, aber er war sicher, dass gerade diese Furcht sie wieder mit Waffen zu ihm zurückführen würde. In der Tat kam Uhha noch vor Ablauf von fünf Minuten mit einem Köcher voll Pfeile, einem Bogen und einem kräftigen Messer zurück.
»Führe mich jetzt zum Tor«, befahl Esteban.
Uhha führte den Flüchtling zum Dorftor, wobei sie die Hauptstraße vermied und sich so viel wie möglich hinter den Hütten hielt. Sie war etwas überrascht, dass der Flussteufel nicht wusste, wie man das Dorftor entriegelte, und öffnete; sie hatte gedacht, Flussteufel seien allwissend. Aber sie tat, was er ihr gebot, zeigte ihm, wie man die große Vorlegestange zurückzog, und half ihm, die Torflügel so weit aufzudrücken, dass man hindurchkonnte. Drüben war die Lichtung, die zum Flusse führte, zu beiden Seiten ragten die Riesen der Dschungel zum Himmel. Es war recht dunkel draußen, und Esteban Miranda fand plötzlich, dass die neugewonnene Freiheit auch ihre unangenehmen Seiten hatte. Der Gedanke, nachts allein in die finstere, unheimliche Dschungel hinauszumüssen, erfüllte ihn mit namenlosem Grauen.
Uhha wich vom Tor zurück. Sie hatte ihr Teil getan und das Dorf vor der Vernichtung gerettet. Jetzt wollte sie das Tor wieder schließen und zur Hütte ihres Vaters zurückeilen, um sich dort niederzulegen und zitternd den Morgen zu erwarten, der dem Dorf das Entkommen des Flussteufels enthüllen musste.
Da griff Esteban zu und packte sie am Arme. »Komm«, sagte er, »und nimm deine Belohnung.«
Uhha suchte sich ihm zu entreißen. »Lass mich los«, rief sie. »Ich fürchte mich.«
Aber Esteban fürchtete sich gleichfalls und war der Meinung, dass in der Tiefe der einsamen Dschungel die Gesellschaft dieses kleinen Negermädchens immer noch besser sei als gar keine. Vielleicht würde er sie beim Morgengrauen zu ihrem Stamm zurückkehren lassen; aber heute Nacht... ihn schauderte bei dem Gedanken, die Dschungel ohne menschlichen Gefährten zu betreten. Uhha suchte sich seinem Griff zu entreißen. Sie kämpfte wie eine kleine Löwin und wollte zuletzt laut um Hilfe rufen, da presste ihr Miranda die Hand auf den Mund, hob sie vom Boden auf und eilte mit ihr über die Lichtung in die Dschungel.
Die Krieger des Kannibalen Odebe schliefen derweil friedlich, ohne etwas von der plötzlichen Tragödie zu ahnen, die sich jetzt im Leben der kleinen Uhha abspielte.
Fern draußen im Dschungel erscholl das donnernde Brüllen eines Löwen.
Zweites Kapitel: Sturz ins Ungewisse
Von Lord Greystokes