Moby Dick. Herman MelvilleЧитать онлайн книгу.
wohl zu merken ist. Man muss viel von einem Seneca und den Stoikern mitgekriegt haben, wenn man nicht mit der Wimper zuckt. Aber auch dieser Vorrat geht mit der Zeit drauf!
Was soll man tun, wenn ein alter Knacker von Kapitän mir befiehlt, einen Besen anzufassen und das Deck abzufegen? Was bedeutet diese Würdelosigkeit an dem Maßstab des Neuen Testamentes gemessen? Glaubst du etwa, daß der Erzengel Gabriel eine geringere Meinung von mir hat, weil ich dem alten Knacker auf der Stelle und ehrerbietig gehorcht habe? Wer ist kein Sklave? Nenne mir einen! Nun, was die alten Kapitäne mir auch befehlen mögen, wie sehr sie mich auch knuffen und zurechtstauchen, ich weiß, daß alles seinen Sinn hat. Ich weiß, daß jeder auf die eine oder die andere Weise vom physischen oder vom metaphysischen Standpunkte aus den gleichen Dienst leisten muss und daß der Knuff im Weltall weitergegeben wird. Alle sollten sich daher gegenseitig die Schulter reiben und den Mund halten!
Wenn ich Matrose werde, so geschieht es, weil ich für meine Mühe bezahlt werde. Hast du schon mal gehört, daß man Passagieren einen Pfennig gibt, im Gegenteil, Passagiere haben zu zahlen. Das ist es ja gerade, ob man zahlt oder bezahlt wird. Und das Zahlen ist das peinlichste, was uns die beiden Apfeldiebe aus dem Paradiese eingebrockt haben!
Aber das Bezahltwerden ist ein vornehmes und wundervolles Gefühl. Besonders wenn man bedenkt, daß das Geld die Wurzel allen Übels ist und kein Reicher in das Himmelreich kommt.
Und zu guter Letzt gehe ich als Matrose wegen der gesunden Beschäftigung und der reinen Luft, die auf dem Vorderkajütendeck weht. Du weißt wohl, daß Winde vom Vorderdeck häufiger sind, als Winde vom Achterdeck. Und somit bekommt der Kommandant die Winde am Achterdeck erst aus zweiter Hand, wenn sie an den Matrosen auf Vorderdeck vorbeigestrichen sind. Er glaubt, er atmet sie zuerst, aber weit gefehlt.
Aber weshalb mache ich ausgerechnet eine Walfischfahrt mit, da ich doch schon öfter auf einem Handelsschiff die See durchquert habe?
Da war als Haupttriebkraft der große Wal vorneweg. Dies urgewaltige und geheimnisvolle Ungeheuer zog meine Phantasie von jeher in seinen Bann. Dann waren es die wilden und fernen Meere, wo sein Riesenleib, diese schwimmende Insel, trieb. Ich hatte ein Verlangen nach den nicht auszudenkenden und namenlosen Gefahren, die um den Wal lauern. Diese und die Wunderwelt des Feuerlandes mit ihren tausend neuen Bildern und Klängen gaben meinem Verlangen neue Nahrung.
Anderen Menschen hätten diese Dinge nichts bedeutet. Aber ich habe nun mal eine unauslöschliche Sehnsucht nach den entlegenen Dingen! Ich schwärme davon, auf unerschlossenen Meeren herumzufahren und an der Küste der Barbaren zu landen. Ich weiß nicht, ob es das richtige ist. Aber ich möchte mich herzlich gern mit den Wilden herumschlagen, wenn es nicht geboten wäre, mit ihnen gut auszukommen, weil man nun mal auf ihre Gastfreundschaft angewiesen ist.
Ich habe nun Gründe genug angeführt und es verständlich gemacht, daß mir die Walfischfahrt sehr willkommen war. Die großen Schleusentore der Wunderwelt sprangen auf, und unter den wilden Visionen schwammen endlose Reihen von Walen, je zu zweien, auf mich zu. Und in ihrer Mitte ragte ein Riesenphantom mit einem großen Höcker wie ein Schneeberg in die Luft.
Zweites Kapitel
Nantucket!
Nimm eine Karte zur Hand und betrachte sie. Achte darauf, an welchem Ende der Welt Nantucket liegt, wie es von der Küste entfernt, einsamer daliegt als der Leuchtturm von Eddystone. Es ist ein kleiner Hügel und eine Sanddüne. Man sieht nichts wie Strand, und nicht mal einen Hintergrund. Da liegt mehr Sand, als man in zwanzig Jahren, wenn es kein Löschpapier gäbe, zum Schreiben gebrauchen würde. Einige Schwätzer werden dir sagen, daß man dort sogar Unkraut anpflanzen müsste, weil es das dort nicht gäbe, daß man Saudisteln einführen müsste, und daß man eines Zapfens wegen über See fahren müsste, um ein Loch in ein Ölfass zu schlagen. Sie werden sagen, daß das Holz in kleinen Stücken von weither herangeschafft werden muss, wie Teile des heiligen Kreuzes in Rom, und daß man dort große Pilze vor den Häusern anpflanzt, um im Sommer Schatten zu haben. Sie werden sagen, daß ein Grashalm dort eine Oase, zwei Grashalme eine Prärie bilden, daß man dort eigenartige Sandalen trägt, die mit den Schneeschuhen der Lappländer eine gewisse Ähnlichkeit haben. Man soll dort abgeschlossen, eingeengt und auf der einsamen Insel von dem Ozean so dicht umgeben sein, daß sogar an den Stühlen und Tischen kleine Muscheln kleben wie an den Rücken der Seeschildkröten. Aber diese Eigentümlichkeiten beweisen nur, daß Nantucket kein Illinois ist.
War es da ein Wunder, daß die Bewohner von Nantucket, an einem Strand geboren, sich ihres Unterhalts wegen auf die See begaben? Erst fingen sie Quallen und Krabben in dem Sande. Wenn sie etwas kühner waren, wateten sie mit Netzen in das Wattenmeer hinaus und fingen Makrelen. Als sie noch mehr Erfahrung hatten, fuhren sie auf Booten hinaus und fingen Kabeljau. Schließlich entdeckten sie mit einer Flotte von großen Schiffen die Welt des Meeres. Sie machten die kühnsten Segelfahrten um den Erdball, kamen bis in die Beringstraße und führten zu jeder Jahreszeit in allen Meeren mit dem allergrößten Tier, das die Sintflut überdauert hat, ewigen Krieg.
So haben diese einfachen Bewohner von Nantucket, wenn sie von ihrem Ameisenhügel aus in das Meer hineinstießen, die Welt des Meeres erobert, wie so mancher Alexander. Sie haben den Atlantischen, den Stillen und den Indischen Ozean unter sich aufgeteilt. Mag Amerika Mexiko an Texas angliedern und Kuba samt Kanada schlucken, mögen die Engländer ganz Indien überfluten und ihre Flagge in der Sonne glitzern lassen, zwei Drittel der ganzen Welt gehören den Bewohnern von Nantucket; denn ihnen gehört die See, sie beherrschen sie, wie die Kaiser über Reiche herrschen. Die anderen Seeleute haben nur ein Durchfahrtsrecht. Die Handelsschiffe sind nur verlängerte Brücken, die Kriegsschiffe sind nur schwimmende Festungen, die Seeräuber folgen nur der See, wie die Wegelagerer der Landstraße folgen, und sie plündern andere Schiffe, die nur einen Teil des Landes darstellen, wie sie selbst. Sie geben sich keine Mühe und suchen sich nicht den Lebensunterhalt aus der bodenlosen Tiefe selbst.
Die Bewohner von Nantucket haben auf der See ihren Wohnsitz, sie allein behandeln die See wie ihre eigene Plantage, sie beackern sie und bebauen sie. Da ist ihre Heimat, dort üben sie ihren Beruf aus, und nicht einmal die Sintflut könnte ihnen etwas anhaben. Sie leben von der See, wie die Präriehühner die Prärie brauchen, um leben zu können. Jahrelang bekommen sie vom Lande nichts zu sehen. Wenn sie heimkommen, erscheint ihnen das Land seltsam. Die Seemöwe, die das Land nicht kennt, faltet bei Sonnenuntergang ihre Schwingen weit auseinander und ruht zwischen den Wellen im Schlafe aus. Die Bewohner von Nantucket ziehen fern vom Lande des Nachts ihre Segel ein und legen sich zur Ruhe nieder, während unter ihren Ruhekissen Herden von Walrossen und Walfischen ihr Unwesen treiben.
Drittes Kapitel
Nach langem Umherlaufen und vielem Fragen erfuhr ich, daß drei Schiffe eine dreijährige Fahrt planten. Es waren der »Devil-dam«, der »Tit-bit« und der »Pequod«. Was »Devil-dam« bedeuten sollte, wußte ich nicht. »Titbit« ist ja allgemein bekannt, und »Pequod« ist ja der Name eines berühmten Stammes der Indianer in Massachusetts, der nun, wie die alten Meder, vollständig erloschen ist.
Ich guckte mir den »Devil-dam« lange an, dann den »Tit-bit« und ging schließlich an Bord des »Pequod«, besah ihn mir einen Augenblick von allen Seiten und kam zu dem Ergebnis, daß dieses das richtige Schiff sei.
Du hast gewiß manches komische Schiff gesehen, aber so etwas wie den alten »Pequod« hast du sicher noch nicht gesehen. Es war ein Schiff der alten Schule und ziemlich klein. Es war mit allen vier Ozeanen gesalzen, und Wind und Wetter hatten ihm die Farbe gegeben. Es war gebräunt wie ein französischer Grenadier, der in Ägypten und Russland gekämpft hat. Die ehrwürdigen Schiffsbuge schienen Barte zu tragen. Die Masten waren bei einem Sturm an der Küste von Japan abgebrochen, und es waren nur noch die Stümpfe zu sehen wie bei den drei heiligen Königen in Köln. Die alten Decks waren abgenutzt und sahen wie die von Pilgern verehrte Steinplatte in der Kathedrale zu Canterbury aus, wo Thomas Becket verblutet ist.
Aber das war noch nicht alles. Noch andere merkwürdige Züge erinnerten an das abenteuerliche Leben, das das Schiff ein halbes Jahrhundert geführt hatte. Der alte Kapitän Peleg, der viele Jahre lang darauf