Der Schrei des Subjekts. Franz Josef HinkelammertЧитать онлайн книгу.
nicht solche Reden gehalten, sondern sogar mitgemacht, wenn auch mit rein persönlicher Distanz zu den alldeutschen Eroberungsphantasien. Außerdem wäre er mit solchen Thesen ins Gefängnis gekommen. Jetzt aber, da es zu spät ist, hat er Mut und stellt sich auf die Seite der Dolchstoßlegende und damit derer, die für den völlig sinnlosen Krieg verantwortlich waren.
Jetzt den Pazifismus zu beschuldigen, ist reine Erfindung und ist sein, Max Webers, Pakt mit diabolischen Mächten. Aber er hat einen Schuldigen, der den “Frieden diskreditiert” und damit den Krieg legitimiert hat. Dies ist der Pazifismus und ganz generell das Nein zum Töten. Vom II. Weltkrieg weiß er noch nichts, weiß aber, daß er kommen wird. Vor allem aber weiß er, wer der Schuldige des II. Weltkriegs sein wird: der Pazifismus. Überhaupt scheint es hier Kriege nur deshalb zu geben, weil es Pazifisten gibt. Ohne Pazifisten wäre ewiger Friede. In den 80er Jahren wußte sogar Geißler, damals Generalsekretär der CDU, daß der Pazifismus der Schuldige für Auschwitz ist. Das aber ist dann das Poppersche: Wer den Himmel auf Erden will, schafft die Hölle auf Erden. Nichts auf dieser Erde wird von den Vertretern der Macht als ein größeres Verbrechen angesehen als das Nein zum Töten.
Es ist das Ergebnis, zu dem auch die Gläubigen kamen, mit denen Jesus sich in der Szene über den Glauben des Abraham im 8. Kapitel des Evangeliums des Johannes auseinandersetzt: Jetzt wissen wir, daß du von einem Dämon besessen bist. (Joh 8,52)
Wenn Max Weber vom Pakt mit diabolischen Mächten spricht, so spielt er sicher auf das zentrale Werk der Literatur an, in dem es um den Pakt mit dem Teufel geht, nämlich den Faust von Goethe. Faust schließt einen Pakt mit dem Teufel ab. Im Drama von Goethe trägt dieser Teufel den Namen Mephistopheles, und ist ein Nachfolger des Satans der jüdischen Tradition.
Bei der Vorbereitung des Paktes, stellt sich Mephistopheles dem Faust vor, als dieser fragt, woher er komme: "Ein Teil von jener Kraft,
Die stets das Böse will und stets das Gute schafft." Es kann kein Zweifel sein, daß Goethe hier anspielt auf den Satz von Mandeville: private Laster-öffentliche Tugenden, und auf die unsichtbare Hand von Adam Smith. Weber, wenn er auf den Pakt der Realpolitik mit den diabolischen Mächten anspielt, benutzt einen ganz ähnlichen Satz: “daß für sein Handeln es nicht wahr ist, daß aus Gutem nur Gutes, aus Bösem nur Böses kommen könne, sondern oft das Gegenteil.” Max Weber sagt allerdings “oft”, wo Mephistopheles “stets” sagt.
Faust tritt in den Pakt mit dem Teufel ein, und der Teufel ist jetzt zu seinen Diensten. Im zweiten Teil des Faust baut Faust mit Hilfe des Mephistopheles ein neues Land auf, indem ein Teil des Meers trocken gelegt wird. Mephistopheles sichert die Entstehung des Werks durch Gewalt und Mord. Das Werk ist riesig und Faust spricht von einem Paradies, das er für die Menschen gebaut hat. Er ist schon alt und blind, hört aber dennoch voller Genuß den Lärm der weitergehenden Arbeit. Daher entgeht Faust das wahre Ende. Riesige Wogen verschlingen aufs Neue die gewonnene Erde und zerstören das gesamte Werk, während Faust den Lärm der Zerstörung mit dem Lärm neuer Aufbauarbeiten verwechselt. All sein Werk wird wieder zerstört, aber Faust stirbt ruhig in der Überzeugung, daß sein Werk für immer dauern wird.
Der Pakt mit dem Teufel war ein Betrug des Mephistopheles, des Lügners. Die Macht, von der Mephistopheles sprach und die “stets das Böse will und stets das Gute schafft", hatte das Böse geschaffen, das ein scheinbar gutes Werk durchkreuzte. Mephistopheles hatte gelogen, als er das Gute als Resultat des Bösen versprach. Das Ergebnis war gerade nicht, daß der Tod einiger fruchtbar wurde für das bessere Leben der anderen.
Dieses Ergebnis Goethes ist nicht so sehr weit ab von dem, was Johannes im 8. Kapitel seines Evangeliums entwickelt, obwohl das Evangelium sicher diese Lösung auf radikalere und provokativere Weise vertritt. Max Weber hingegen geht nicht ein auf dieses Ergebnis des Paktes mit den diabolischen Mächten, wie es selbst im Faust von Goethe gezeigt wird: das Böse schafft Böses, und niemals das Gute. Wenn bei Goethe Faust dennoch gerettet wird, so als Ergebnis der guten Absichten, mit denen er gehandelt hat.
Max Weber hingegen macht Realpolitik. Das Böse schafft das Gute, wenn auch nicht immer und notwendig, so doch “oft”.
Die Körperlichkeit und das Nein zum Töten
Sicher, wer die Welt von einem Prinzip her denkt wie das Nein zum Töten, kann schwerlich das Imperium christianisieren. Er kann sicher die Bevölkerung des Imperiums überzeugen, das Imperium aber nicht. Dieses begründet seine Existenz darauf, daß es gute Gründe zum Töten gibt.
Daher war es ein anderes Christentum, das das Imperium christianisierte. Um das Imperium christianisieren zu können, mußte sich das Christentum umwandeln. Diese Umwandlung ist in Wirklichkeit eine Umkehrung in sein Gegenteil. Schon die Sündenvorstellung des Augustinus ist das Gegenteil der Sündenvorstellung des Johannes. Augustinus kennt überhaupt die Sünde, die in Erfüllung des Gesetzes begangen wird, nicht mehr. Für Augustinus ist alle Sünde eine Gesetzesübertretung. Der Kampf gegen die Sünde ist daher bei Augustinus ein Kampf gegen Wollust und Begehrlichkeit. In allen spontanen körperlichen Reaktionen entdeckt er diese Begehrlichkeit und daher eine wirkliche oder mögliche Gesetzesverletzung. Augustinus entwickelt das Ideal einer Körperlichkeit ohne diese Begehrlichkeit und er entwickelt die Moral als eine Annäherung an diese Körperlichkeit, die nicht Begehrlichkeit ist. Wenn der Sklave seine Freiheit fordert: Begehrlichekeit. Wenn das Kind nach Milch schreit: Begehrlichkeit. Überhaupt, das Leben genießen ist jetzt Begehrlichkeit. Die Sünde macht sich in der körperlichen Begehrlichkeit allgegenwärtig, und im Namen eines “spirituellen” Körpers, der ein Körper ohne Begehrlichkeit ist, wird der sinnliche Körper verurteilt, um gegen ihn zu kämpfen.
Das Gesetz steht immer auf Seiten des Kampfes gegen die Begehrlichkeit. Je mehr gegen die Begehrlichkeit gekämpft wird, umso mehr verabsolutiert sich das Gesetz und umso mehr geht der Kampf gegen die Körperlichkeit selbst. So wird das Gesetz absolut und als das Gesetz Christi auferlegt. Es ist das Gesetz der Universalisierung des abstrakten Körpers ohne Begehrlichkeit, was als Ideal aller Menschlichkeit auftaucht, gegen den realen Körper mit seinen sinnlichen Reaktionen.
Dieser Kampf des idealisierten Körpers als Ideal des Körpers ohne Sinnlichkeit gegen den konkreten, sinnlichen Körper, der als Begehrlichkeit denunziert wird, ist keine “Sklavenmoral”. Es ist gerade eine Herrenmoral. Es ist die Form, in der die Herrschaft sich verteidigt gegen die Moral der Unterdrückten, die die Sünde anklagt, die in Erfüllung des Gesetzes begangen wird. Alle Rebellion der Unterdrückten findet statt gegen die Sünde, die in Erfüllung des Gesetzes begangen wird. Nur so kann sie sich der Autorität entgegenstellen. Die Herrschaft antwortet auf diese Kritik durch die Unterdrückten und schafft dann diese totale Vorstellung der Sündigkeit. Dies tut Augustinus mit seinem Kampf gegen die körperliche Begehrlichkeit. Er kann jetzt diejenigen, die Gerechtigkeit fordern und die Sünde anklagen, die in Erfüllung des Gesetzes begangen wird, der Begehrlichkeit anklagen.
Auf diese Weise kann Augustinus die Rebellion des Sklaven als ein Produkt der durch die Begehrlichkeit wirkenden Sündigkeit darstellen. Sie ist cupiditas oder auch libido. Selbst Cicero hatte bereits in diesem Zusammenhang von libido gesprochen, ohne darauf bereits eine Thesis der universalen Sündhaftigkeit aufzubauen, wie es dann Augustinus tut. Nietzsche nimmt diese Tradition auf und spricht in eben diesem Zusammenhang von Ressentiment. Nietzsche tut dies gegenüber den Emanzipationsbewegungen, die im XIX. Jahrhundert entstanden waren. Nietzsche antwortet ihnen mit der Anklage des Ressentiments, so wie Augustinus solchen Emanzipationsbewegungen, die aus christlichen Wurzeln entstanden, zu seiner Zeit mit dem Vorwurf der Begehrlichkeit begegnete. Beide, Nietzsche und Augustinus argumentieren mit dem Argument einer wahren Körperlichkeit, die dieser sinnlichen und begehrlichen Körperlichkeit entgegengesetzt ist. Bei Augustinus ist dies der idealisierte Körper ohne Begehrlichkeit, bei Nietzsche ist es die Negation der Körperlichkeit des andern im Namen des Willens zur Macht. Es zeigt sich dann, daß der Vorwurf des Ressentiments von seiten Nietzsches nicht so weit von dem Vorwurf der Begehrlichkeit von seiten Augustinus entfernt ist wie Nietzsche es glaubt.18 Es überrascht dann auch nicht, daß Nietzsche in solchen Zusammenhängen selbst ganz wie Augustinus das Wort “Begehrlichkeit” benutzt.19
Spätestens von Augustinus an wird das Nein zum Töten in sein