Die Kartause von Parma. StendhalЧитать онлайн книгу.
Aufgehen aller Herzen. Freilich muß man zugestehen, daß diese reichen Adelsgeschlechter bei der Aufbürdung der französischen Kriegssteuern in empfindlicher Weise ausgezeichnet worden waren.
Der Marchese del Dongo, ärgerlich über so viel Frohsinn, hatte sich als einer der ersten auf sein prächtiges Schloß Grianta jenseits Comos zurückbegeben, wo ihn die Damen in Gesellschaft des Leutnants Robert besuchten. Dieses Schloß, in einer Lage, wie sie auf Erden vielleicht nirgends zu finden ist, auf einer Hochebene, hundertundfünfzig Fuß über dem herrlichen See, den es weithin beherrscht, war ehedem eine feste Burg. Die Familie del Dongo hatte sie, wie die wappenbelasteten Marmorwände überall kund gaben, im Quattrocento erbauen lassen. Noch war sie mit Zugbrücken und tiefen Gräben versehen, in denen freilich kein Wasser mehr stand. Gleichwohl war dieses Schloß mit seinen achtzig Fuß hohen und sechs Fuß starken Mauern vor einem etwaigen Handstreich geschützt und eben darum dem mißtrauischen Marchese lieb und wert. Umgeben von fünfundzwanzig bis dreißig Lakaien, die er alle für treu und ergeben hielt, wahrscheinlich, weil er sich nie anders als durch Schimpfworte mit ihnen unterhielt, wurde er dort weit weniger von Furcht gequält als in Mailand.
Diese Furcht war nicht ganz unberechtigt. Der Marchese stand in sehr regem Briefwechsel mit einem österreichischen Spion, der sich an der Schweizer Grenze, drei Meilen von Grianta, aufhielt. Der Zweck war die Befreiung von Kriegsgefangenen, was von den französischen Generalen einmal übel aufgefaßt werden konnte.
Der Marchese hatte seine junge Gemahlin in Mailand gelassen. Dort leitete sie die Familiengeschäfte. Sie war beauftragt, gegen die Kriegssteuern Einspruch zu erheben, die der Casa del Dongo, wie man dort zu sagen pflegt, auferlegt waren. Sie suchte ihre Herabsetzung zu erwirken, was sie freilich zwang, mit Edelleuten, die öffentliche Ämter angenommen hatten, und gar mit besonders einflußreichen Nichtadligen in Berührung zu kommen. Dazwischen hinein fiel ein wichtiges Familienereignis. Der Marchese hatte seine junge Schwester Gina mit einer außerordentlich reichen und hochgeborenen Persönlichkeit verheiraten wollen. Aber der Bewerber trug eine gepuderte Haarbeutelperücke. Gina lachte ihm darob ins Gesicht und beging alsbald die Tollheit, den Grafen Pietranera zu heiraten. Dieser Pietranera war zwar unbedingt ein tadelloser Edelmann, eine wunderschöne Erscheinung, aber wie schon sein Vater arm wie eine Kirchenmaus und, was das Schlimmste war, ein eifriger Anhänger der neuen Ideen. Pietranera war Leutnant in der Italienischen Legion, was den Marchese vollends in Verzweiflung brachte.
Nach jenen zwei Jahren des Rausches und des Glückes nahm das Direktorium der Französischen Republik allmählich einen monarchischen Ton an; es bezeigte tödlichen Haß gegen alles, was sich über die Mittelmäßigkeit erhob. Die unfähigen Generale, die es über die Armee in Italien setzte, verloren in denselben Ebenen um Verona, die zwei Jahre vorher Zeugen der Wunder von Arcole und Lonato gewesen, eine Schlacht nach der anderen. Die österreichische Armee rückte auf Mailand vor, und Robert, inzwischen zum Bataillonskommandeur befördert und in der Schlacht von Cassano verwundet, verweilte eine letzte Nacht im Hause seiner Freundin, der Marchesa del Dongo. Der Abschied war schmerzlich. Robert verließ Mailand zugleich mit dem Grafen Pietranera, der die Franzosen auf ihrem Rückzuge nach Novi begleitete. Die junge Contessa, der ihr Bruder die Auszahlung ihres rechtmäßigen Erbteils verweigerte, folgte ihrem Mann in einem Wagen.
Jetzt begann jene Epoche der Reaktion und der Rückkehr zu den alten Ideen, die die Mailänder ›i tredici mesi‹, die dreizehn Monate, nannten, weil es ihr guter Stern in der Tat wollte, daß diese Rückkehr zur Dummheit nur dreizehn Monate, das heißt bis zur Schlacht von Marengo, währen sollte. Alles, was alt, mürrisch und bigott war, gelangte von neuem ans Ruder und übernahm wieder die Führung der Gesellschaft. Bald darauf verkündeten die Anhänger des alten Kurses in den Dörfern, daß Bonaparte in Ägypten von den Mamelucken wohlverdientermaßen gehängt worden sei.
Unter den Männern, die sich bisher grollend auf ihren Gütern vergraben hatten und nun rachedurstig wieder zum Vorschein kamen, war der Marchese del Dongo einer der grimmigsten, und es war natürlich, daß ihn sein Übereifer an die Spitze der Partei stellte. Diese Herren, aller Ehren werte Leute, sobald sie keine Angst hatten, die aber eigentlich immer zitterten, scharten sich um den österreichischen General. Der, ein gutmütiger Mensch, ließ sich einreden, daß unerbittliche Strenge eine politische Notwendigkeit sei, und infolgedessen wurden einhundertfünfzig Patrioten eingekerkert, die besten Männer, die Italien damals hatte.
Man schleppte sie nach der Bucht von Cattaro, wo die feuchte, dumpfe Kerkerluft und die kärgliche Kost einen gerechten und raschen Strafvollzug an diesen Bösewichten ausübten.
Der Marchese del Dongo erhielt einen hohen Posten, und da sich seinen vielen anderen Vorzügen auch scheußlicher Geiz gesellte, so rühmte er sich öffentlich, daß er seiner Schwester, der Contessa di Pietranera, nicht einen Taler schicke. Immer noch närrisch verliebt in ihren Mann, wollte sie ihn nicht verlassen und zog es vor, in Frankreich mit ihm zu hungern. Die gute Marchesa war verzweifelt; schließlich gelang es ihr, ein paar kleine Diamanten aus ihrem Schmuck beiseite zu bringen, den ihr Gatte allabendlich in Verwahrung nahm und unter seinem Bett in einem eisernen Kasten verschloß. Sie hatte ihrem Mann eine Mitgift von achthunderttausend Franken zugebracht, erhielt aber monatlich nur achtzig Franken für ihre persönlichen Bedürfnisse. Während der dreizehn Monate, da die Franzosen nicht in Mailand waren, fand diese furchtsame Frau allerlei Vorwände, immer in schwarzen Kleidern zu erscheinen.
Wir müssen eingestehen, daß wir – nach dem Beispiel manches werten Autoren – die Geschichte unseres Helden ein Jahr vor seiner Geburt begonnen haben. Diese Hauptperson ist niemand anderes als Fabrizzio Valserra, Marchesino del Dongo. Er geruhte just zur Welt zu kommen, als die Franzosen aus Mailand verjagt wurden. Der Zufall der Geburt machte ihn zum Zweitgeborenen des Marchese del Dongo, jenes großen Herrn, dessen blasses gedunsenes Gesicht, dessen falsches Lächeln und dessen grenzenlosen Haß gegen die neuen Ideen wir bereits kennen. Das ganze Vermögen des Hauses fiel dereinst dem älteren Sohne, Ascanio del Dongo, zu, dem würdigen Ebenbilde seines Vaters. Er war acht und Fabrizzio zwei Jahre alt, als der General Bonaparte, den alle Wohlgesinnten längst gehängt wähnten, plötzlich vom Sankt Bernhard herabstieg und in Mailand einrückte. Dieser Augenblick ist in der Geschichte ohnegleichen. Man denke sich ein ganzes Volk toll verliebt. Wenige Tage danach gewann Napoleon die Schlacht von Marengo. Alles übrige ist unnötig zu erzählen. Der Freudenrausch der Mailänder hatte keine Grenzen; nur war er diesmal mit Rachegedanken untermischt: man hatte das gutmütige Volk hassen gelehrt. Bald sah man die eingekerkerten Patrioten, soweit sie noch am Leben waren, von den Bocche di Cattaro wiederkehren; ihre Befreiung ward durch ein Nationalfest gefeiert. Ihre abgezehrten, bleichen Gesichter, ihre erstaunten Blicke, ihre abgemagerten Glieder stachen gegen die überall ausbrechende Freude seltsam ab. Ihre Rückkehr war für die am meisten bloßgestellten Familien das Zeichen zur Abreise. Der Marchese del Dongo zog sich als einer der ersten nach seinem Schloß Grianta zurück. Die Familienoberhäupter waren von Furcht und Haß erfüllt; nicht so ihre Frauen und Töchter, die sich mit Freuden an die erste Anwesenheit der Franzosen erinnerten und sich nach Mailand und den fröhlichen Bällen sehnten, die nach dem Tage von Marengo in der Casa Tanzi von neuem begannen. Sehr bald bemerkte der französische General, der beauftragt war, die Ruhe in der Lombardei aufrecht zu erhalten, daß alle Pächter der Güter der Adligen und alle alten Frauen auf dem Lande keineswegs mehr an den erstaunlichen Sieg von Marengo dachten, der das Geschick Italiens gewendet und dreizehn feste Plätze an einem Tage wiedererobert hatte, sondern die Köpfe voll hatten von einer Prophezeiung des heiligen Giovita, des obersten Schutzpatrons von Brescia. Nach diesem heiligen Orakel sollte das Glück der Franzosen und Napoleons ausgerechnet dreizehn Wochen nach Marengo ein Ende nehmen. Zur gewissen Entschuldigung des Marchese del Dongo und der übrigen grollenden Edelleute sei gesagt, daß sie ernstlich und ohne Narrenspossen an diese Voraussage glaubten. All diese Leute hatten in ihrem Leben keine vier Bücher gelesen. Sie trafen offenkundig ihre Vorbereitungen, nach den dreizehn Wochen wieder nach Mailand zurückzukehren. Aber während die Zeit verstrich, verzeichnete Frankreichs Sache neue Erfolge. Wieder in Paris, rettete Napoleon durch weise Erlasse die Republik im Innern, wie er sie bei Marengo nach außen gerettet hatte. Nun entdeckten die edlen, in ihren Schlössern harrenden Lombarden, daß sie das Wort des heiligen Schutzherrn von Brescia zuerst falsch verstanden hätten: es handle sich nicht um dreizehn Wochen, sondern offenbar um dreizehn Monate. Die dreizehn Monate gingen dahin, und das