Erzählungen aus 1001 Nacht - 1. Band. AnonymЧитать онлайн книгу.
hilft nichts, ich muß dich erschlagen.‹ Und er packte ihn und schleppte ihn hin und warf ihn zu Boden und hob das Schwert, um ihn zu treffen. Da weinte der Kaufmann und sagte: ›Ich gebe mich in Allahs Hand,‹ und sprach die Verse:
Zweierlei Tage enthält die Zeit, die einen voll Segen, die andern voll Leid – Und zwei Hälften gehn in das Leben hinein, die eine voll Lust, die andre voll Pein.
Und wenn der Sturm in Wirbeln rast, scharf fegt und kräftig schlägt – So spürt den Schmerz der Spannung doch im Wald der Riese allein.
Der Bäume ernährt die Erde so viel, der Bäume, trocken und grün – Aber keiner klagt (nur, wer Früchte trägt) über einen geworfenen Stein.
Und Leichen steigen und schwimmen einher auf der Oberfläche der Flut – Während Perlen liegen, beleuchtet kaum von des Meergrunds blassem Schein.
Ungezählt steht am Himmel der Sterne Schar – Doch keinen deckte, nur Sonne und Mond, die Finsternis je ein.
Du lobtest die Tage, da gut es dir ging – Und zähltest nicht, die das Schicksal liebt, die Tage voll Schmerz und Pein.
Die Nächte gaben dir Sicherheit, und sie gab dir den Stolz – Aber Segen der Nacht und Seligkeit erzeugen Ächzen und Schrein.
Als nun der Kaufmann diese Verse gesprochen hatte, sagte der Dschinni zu ihm: ›Kürze deine Worte, bei Allah, ich muß dich erschlagen.‹ Aber der Kaufmann sprach: ›Wisse, o Ifrit, ich habe noch eine Schuld, die mir fällig ist, und vielen Reichtum und Kinder und ein Weib und Unterpfänder; drum erlaube mir, nach Hause zu kehren und eines jeden Ansprüche zu befriedigen, und ich will zu Beginn des neuen Jahres zu dir zurückkehren. Allah sei mein Zeugnis und meine Sicherheit, daß ich wiederkomme; und dann kannst du mit mir tun, wie du willst, und Allah hört, was ich sage.‹ Der Dschinni nahm ihm ein bindendes Versprechen ab und ließ ihn ziehen; so kehrte der Kaufmann in seine Stadt zurück, erledigte seine Geschäfte, gab allen, was ihnen gebührte, und nachdem er seiner Frau und seinen Kindern berichtet hatte, was ihm widerfahren war, ernannte er einen Verwalter und blieb ein volles Jahr bei ihnen. Dann aber erhob er sich, vollzog die Wuzu-Waschung, um sich vor seinem Tode zu reinigen, nahm sein Leichentuch unter den Arm, sagte den Seinen und all seinen Nachbarn und Anverwandten lebewohl und zog widerstrebend davon. Da begannen sie zu weinen und zu klagen und sich an die Brust zu schlagen; er aber wanderte, bis er im selben Garten ankam, und der Tag seiner Ankunft war der Beginn des neuen Jahres. Und als er dasaß und über sein Schicksal weinte, siehe, da kam ein Schaykh, ein sehr alter Mann, herbei, der eine gefesselte Gazelle führte, und er grüßte den Kaufmann und wünschte ihm langes Leben und fragte ihn: ›Weshalb sitzest du hier, und ganz allein, an dieser Stätte böser Geister?‹ Der Kaufmann aber erzählte ihm den Vorfall mit dem Ifriten, und der Alte, der Besitzer der Gazelle, staunte und sprach: ›Bei Allah, o Bruder, deine Treue ist nicht anders als überschwengliche Treue, und deine Geschichte gar seltsam; würde sie mit Sticheln in die Augenwinkel gestichelt, sie wäre eine Warnung für jeden, der sich warnen ließe.‹ Und er setzte sich neben den Kaufmann und sagte: ›Bei Allah, o mein Bruder, ich will dich nicht verlassen, bis ich sehe, was aus dir und diesem Ifriten wird.‹ Und als er saß und beide miteinander sprachen, da befielen den Kaufmann Furcht und Schrecken und äußerster Gram und untröstlicher Kummer und immer wachsende Sorge und letzte Verzweiflung. Und der Besitzer der Gazelle saß dicht neben ihm, und siehe, es näherte sich ein zweiter Schaykh, und bei ihm waren zwei Hunde, beides Windhunde und beide schwarz. Der zweite Alte grüßte sie mit dem Salam und fragte auch nach ihrem Woher und sagte: ›Weshalb sitzet ihr hier an dieser Stätte der Dschann?‹ Und sie erzählten ihm die Geschichte von Anfang bis zu Ende, und noch saßen sie nicht lange beisammen, als ein dritter Schaykh erschien, und mit ihm eine hellbraune Mauleselin; und er grüßte sie und fragte, weshalb sie hier säßen. Also erzählten sie ihm die Geschichte von Anfang bis zu Ende: und ohne Nutzen, o mein Herr, ist eine zweimal erzählte Geschichte! Da setzte er sich mit ihnen nieder, und siehe, eine Staubwolke rückte heran, und ein gewaltiger Sandteufel erschien mitten in der Wüste. Und die Wolke öffnete sich und darin war der Dschinni; er hielt ein gezogenes Schwert in der Hand, und seine Augen sprühten Funken der Wut. Und er trat zu ihnen und riß den Kaufmann aus ihrer Mitte und schrie: ›Steh auf, damit ich dich erschlage, wie du mir den Sohn erschlugst, das Leben meiner Leber‹. Der Kaufmann weinte und klagte, und die drei Alten begannen zu seufzen und zu schreien und mit ihrem Gefährten zu weinen und zu klagen, und der erste Alte, der Besitzer der Gazelle, trat vor, küßte dem Ifriten die Hand und sagte: ›O Dschinni, du Krone der Könige der Dschann! Wenn ich dir meine und dieser Gazelle Geschichte erzählte und du fändest sie wunderbar, gäbst du mir da ein Drittel vom Blute dieses Kaufmanns?‹ Sprach der Dschinni: ›Gut, o Schaykh, wenn du mir diese Geschichte erzählst und ich finde sie wunderbar, so will ich dir ein Drittel seines Blutes geben.‹ Da begann der Alte
Die Geschichte des ersten Schaykhs
Wisse, o Dschinni, diese Gazelle ist die Tochter meines Vaterbruders, mein eigen Fleisch und Blut; ich vermählte sie mir, als sie ein junges Mädchen war, und ich lebte mit ihr nahe an dreißig Jahre, aber ich wurde nicht mit Kindern von ihr gesegnet. So nahm ich mir eine Nebenfrau, die mir die Gnade eines Knaben schenkte, schön wie der volle Mond, mit Augen von lieblichem Glanz und Brauen, die eine einzige Linie bildeten, und mit Gliedern von vollendeter Zeichnung. Langsam wuchs er an Statur und wurde groß, und als er ein Bursche von fünfzehn Jahren war, wurde es nötig, daß ich in einige Städte reiste, und ich zog aus mit großem Vorrat an Waren. Aber die Tochter meines Oheims, diese Gazelle, hatte von Jugend auf die Zauberkunst und die dunklen Wissenschaften getrieben; und so verzauberte sie diesen meinen Sohn in ein Kalb, und meine Sklavin, seine Mutter, in eine Färse und übergab sie der Obhut des Hirten. Als ich nun nach langer Zeit von meiner Reise heimkehrte und nach meinem Sohn und seiner Mutter fragte, erwiderte sie mir und sprach: ›Deine Sklavin ist tot, und dein Sohn ist geflohen, und ich weiß nicht, wohin er gegangen ist.‹ So lebte ich ein ganzes Jahr mit bekümmertem Herzen und strömenden Augen, bis die Zeit kam für das große Fest Allahs. Da schickte ich zu meinem Hirten und hieß ihn für mich eine fette Färse wählen; und er brachte mir eine, das war das Mädchen, die Sklavin, die diese Gazelle verzaubert hatte. Ich schürzte mir Ärmel und Saum, nahm ein Messer und wollte ihr den Hals durchschneiden, aber sie brüllte laut und weinte bittere Tränen. Da wunderte ich mich, und Mitleid erfaßte mich, und ich hielt meine Hand zurück und sagte dem Hirten: ›Bringe mir eine andere her.‹ Da rief meine Base: ›Schlachte diese, denn eine fettere oder schönere habe ich nicht!‹ Noch einmal ging ich hin, um sie zu opfern, aber wieder brüllte sie laut, worauf ich im Jammer abstand und dem Hirten befahl, sie zu schlachten und abzuziehen. Er tötete sie und zog sie ab, aber er fand in ihr weder Fett noch Fleisch, nur Haut und Knochen; und ich bereute, als die Reue nichts mehr fruchtete. Ich gab sie dem Hirten und sagte: ›Hole mir ein fettes Kalb‹; und er brachte mir meinen verzauberten Sohn. Als aber das Kalb mich sah, zerriß es die Fessel und lief auf mich zu, umschmeichelte mich und klagte und vergoß Tränen, so daß ich Mitleid mit ihm hatte und zu dem Hirten sagte: ›Bringe mir eine Färse und laß dies Kalb laufen!‹ Da rief meine Base, diese Gazelle, laut aus und sagte: ›Du mußt dies Kalb töten; dies ist ein heiliger Tag und ein gesegneter, an dem nichts geschlachtet wird, was nicht ganz rein ist; und wir haben unter unseren Kälbern kein fetteres noch schöneres als dieses!‹ Ich aber sprach: ›Sieh dir die Färse an, die ich auf dein Geheiß geschlachtet habe! Enttäuscht wenden wir uns von ihr, und sie nützt uns in keiner Weise; ich bereue in höchster Reue, daß ich sie getötet habe: so will ich diesmal bei dem Opfer dieses Kalbes deinem Geheiß nicht mehr gehorchen.‹ Und sie sprach darauf: ›Bei Allah, dem Sehr Hohen, dem Erbarmenden, Erbarmungsreichen, es hilft nichts; du mußt das Kalb an diesem heiligen Tage töten, und wenn du es nicht tötest, so bist du für mich nicht mehr der Mann und ich für dich nicht mehr die Frau.‹ Als ich nun diese harten Worte hörte und doch ihr Ziel nicht kannte, da trat ich zu dem Kalb, das Messer in der Hand. – –«
Und Schahrazad bemerkte das Grauen des Tages und hielt inne in der verstatteten Rede. Da sprach ihre Schwester: »Wie schön ist deine Erzählung, und wie entzückend, und wie lieblich und wie berückend!« Und Schahrazad versetzte: »Was ist all dies gegen das, was ich dir in der nächsten Nacht erzählen könnte, wenn ich lebte und der König mich verschonte!«