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Inmitten der Heide. Werner HetzscholdЧитать онлайн книгу.

Inmitten der Heide - Werner Hetzschold


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Langsam, bedächtig, regelmäßig. Wie ein Greis! In ihren Augen schimmern Tränen. So alt ist er doch nicht! Wenn er nicht eine bergmännische Tätigkeit ausgeübt hätte, wäre Heinz noch nicht einmal Rentner. Was soll mit ihm werden! Unmöglich kann sie zurück! Ein Leben auf dem Dorf kann sie sich, ihrer Familie nicht antun. Immer wieder signalisieren Mann und Kinder: Wir bleiben in der Stadt. Maria schiebt das Selbstmitleid beiseite. Es hilft ihr nicht, bringt sie nicht weiter. Mit dem Vater muss etwas geschehen. So kann es auf die Dauer nicht weiter gehen. In der Nacht findet sie kaum Schlaf, grübelt, denkt über die Vergangenheit, über die Zukunft nach. Für die Gegenwart ist kein Platz. Sie hört ihn, sieht ihn vor sich. Ihre Fantasie verfolgt jede seiner Bewegungen. Der Vater geht ihr nicht aus dem Sinn.

      Auf der Bettkante sitzt Heinz, unschlüssig, ob er sich ankleiden muss oder ob er im Bett verbleiben sollte, in diesem weichen Sarg mit den vielen Erinnerungen. Er entschließt sich für das Ankleiden. „Wie sind meine Beine schwach geworden!“, stöhnt der alte Mann. „Jeden Augenblick drohen sie in sich zusammenzubrechen!“ Bedächtig, Schritt für Schritt tasten sich seine Beine zum Stuhl. Dort liegt die Wäsche vom vergangenen Tag. Frische Wäsche soll er sich aus dem Schrank holen. Nur ist der Weg bis dorthin weit. Aber mit Maria will er sich nicht streiten. Er ist sich sicher, sie weiß genau, wie viel Wäsche er über die Woche verteilt braucht. Sie schnüffelt in seinen Schränken herum. Sie nennt es kontrollieren. Er mag keine Überprüfung, auch wenn sie gut gemeint sein sollte. Ihn stört jede Veränderung. Die Tochter treibt einen Aufwand. Jedes Wochenende schleppt sie Wäschebündel fort. Jedes Wochenende schleppt sie Wäschebündel heran. Wenn sie damit nicht aufhört, muss er sich noch eine Waschmaschine kaufen. Langsam streift er die Hosen über die morschen, unbeweglichen Beine, die nicht aufhören vor Schmerzen zu jammern. Er könnte ausrasten. Nur bringt das nichts. Veränderungen zum Guten werden nicht die Folge sein. Es wird nur schlimmer. Schlimmer mit jedem Tag. Die Socken stülpt er über die Zehen, die sich verkrampfen, ihn zu einer Pause zwingen. Magnesium-Tabletten sollte er einnehmen. Nur um das zu tun, muss er ein Glas mit Wasser aus der Küche holen. Zu weit ist der Weg! Zu beschwerlich! Den Krampf muss er ohne Tabletten besiegen. Obwohl er seinen Körper beansprucht, friert er. Von den Füßen ausgehend, schleicht die Kälte nach oben. Er darf sich nicht erkälten, nicht krank werden. Eine Unterbringung im Krankenhaus muss er unbedingt vermeiden. Mühsam schlüpft er in die Hemden, streift die Weste über. Noch immer sich taumlig fühlend, treibt es ihn zum Fenster, er reißt es auf. Er will nicht ersticken. In die raue Morgenluft steckt er seinen Kopf. Nach Kokerei riecht sie. Ein Hustenanfall schüttelt und rüttelt ihn. Ohne Vorankündigung! Hastig schließt er das Fenster. Wie zugeschnürt ist die Brust. Dabei sollten sich seine Lungen, sein Körper an diese Luft gewöhnt haben. Zeit seines Lebens atmet er sie ein. Er flucht. Diese Luft wird einmal sein Tod sein! Früher hat sie ihn nicht gestört. Nicht wahrgenommen hat er sie. Jetzt quält sie ihn auf Schritt und Tritt, reizt die Lungen, löst einen Hustenanfall aus, der zum Tagesprogramm gehört. Er flucht. Er soll nicht fluchen. Erst hat es seine Else gesagt, jetzt sagt es die Tochter, sich ständig wiederholend, nicht müde werdend, ihn zu ermahnen. Wie ein kleiner Junge fühlt er sich dann, dem kontinuierlich mitgeteilt wird, was er zu tun und zu lassen hat. Wie lange noch soll er dieses Leben ertragen! Erschreckt hält er inne, flüstert in die Stille: „Was soll noch kommen! Hier bin ich alt geworden. Von hier bekommt mich niemand weg. Nur über meine Leiche!“ Auf wackligen Füßen schwankt sein Körper. In der Küche lässt er sich auf einen Stuhl fallen. Erschöpft fühlt er sich. Dabei hat er noch keine Heldentaten, keine Leistungen vollbracht! Schwer atmet er. Wild pocht das Herz, dröhnt in den Schläfen. Aus den Poren tropft der Schweiß. Die Augenbrauen versagen als Staumauer. Bedrohlich hebt und senkt sich der Brustkorb. „So kündigt sich der Tod an!“, stellt er erleichtert und zufrieden fest. „Mit mir habe ich abgeschlossen. Mit mir bin ich im Reinen. Nichts mehr muss ich regeln! Ohne höflich anzuklopfen, reißt der Tod die Türe auf! Für ihn gelten keine Regeln! Er kommt, wann er will! Vielleicht kommt er auf Bestellung! Ich weiß es nicht, habe zu wenig Erfahrung mit ihm. Nur soll er kein Theater machen! Das hätte mir noch gefehlt!“ Die Beine zittern, die Arme, der gesamte Körper. Selbst der Wille vermag gegen diese Schwäche nichts auszurichten. Seine Hände stützen den Kopf. In seinem Hirn pulst das Blut, wird ihm den Verstand nehmen. Sobald er sich aufrichtet, wird ihm schwindelig. Aufrecht steht er, schleppt sich in die Abstellkammer. Dort hat der Schwiegersohn in Eimern und Körben Holz und Kohle bereitgestellt. Das Bücken fällt ihm schwer. Er hat Angst, er könnte das Gleichgewicht verlieren. Sein Wille zwingt ihn, den Eimer mit Kohle und den Korb mit Holzscheiten in die Küche zu tragen. Zwei Mal legt er den Weg zurück, weil er nur eine Hand zum Tragen freihat. Der Feuerhaken schirkt im Ofen, bis die Asche durch den Rost gefallen ist. Zurückbleibt ein kleines Stück glühende Kohle. Dünne Holzscheite, in der Heide werden sie Kienspäne genannt, schichtet er kunstvoll um das glühende Stück Kohle, beobachtet, wie die Flammen nach dem Holz züngeln. Trocken ist das Holz, hat wenigstens einen Sommer und einen Winter gelagert, bevor der Holzfeim abgetragen wurde. Kunstvoll wurden dann die Holzscheite im Schuppen gestapelt oder an der Hauswand. Zulange darf das Holz nicht liegen, sonst büßt es an Heizwert ein. Heinz genießt den Anblick. Schon als kleiner Junge verfolgte er mit den Augen und Ohren, wie das Holz Feuer fing, wie es knackte und knisterte, Wärme verbreitete. Schlugen die Flammen hoch, legte er drei Stück Brikett auf das hell erleuchtete Holz, lehnte die Türe sanft an, damit Holz und Kohle genügend Sauerstoff zum Atmen bekamen. Nach diesem Prozedere stellt er den Wasserkessel auf die Herdplatte, deckt den Tisch. Für Maria wählt er das Brettchen und die Tasse, die sie benutzte, als sie noch im Haus zu Hause war. Seine Else mochte nicht länger die alten Bestecke auf dem Tisch haben, die den Krieg überlebt hatten. Sie kaufte neue Bestecke, obwohl die alten noch gut waren, tauschte sie aus gegen neue Bestecke, die in ihren Augen appetitlicher aussahen, zumindest war das ihre Meinung. Und die galt in der Küche, im Haus. Er ruft nicht die Tochter zum Frühstück. Irgendwann wird sie schon auftauchen. Auf keinen Fall will er sie stören, unter Druck setzen. Der Kaffee dampft in der Tasse. Heinz wartet, will sich nicht den Mund verbrühen. Ein großes Stück Schwarzbrot schneidet er ab, ein dickes Stück Leberwurst. Jetzt als alter Mann kann er so viel Wurst essen, wie er möchte. Wurst, Käse mit und ohne Brot, so viel er will! Sehnlichst wünschte er sich als Kind Wurst ohne Brot essen zu dürfen. Es wurde ihm verboten. Streng achteten die Eltern auf die Einhaltung der Tischsitten. Jetzt achtet niemand darauf, was er wie isst und trinkt. Niemand weist ihn zurecht, wenn er versucht Wurst ohne Brot zu verspeisen. Finanziell kann er es sich leisten, so viel zu essen und zu trinken, wie er will. Das Kauen bereitet ihm Schwierigkeiten. Die Prothese sitzt nicht richtig. Zum Zahnarzt geht er nicht. Auf andere Gedanken muss er kommen. Er blendet die Gegenwart aus. Die Vergangenheit erwacht zu neuem Leben.

      Sie hat schlecht geschlafen. Erst gegen Morgen muss sie eingenickt sein. Maria hört seine Schritte, langsam, bedächtig, unregelmäßig. Die junge Frau hat Angst vor der Zukunft, vor dem großen, weißen Haus. In ihm wurde geboren, gestorben. Auf dem Friedhof liegen sie alle begraben bis auf die, die in fremder Erde liegen, wie die Mutter immer sagte. Sie starben fern der Heimat, weil andere das Sagen über sie hatten. Die junge Frau kann sich nicht aufraffen aufzustehen. Sie hat Furcht, Furcht vor dem Vater, Angst, mit ihm zusammen zu treffen. Sie weiß nicht, was sie sagen soll. Sie weiß nur, sie kann ihm nicht helfen. Und das weiß er auch. Welten trennen sie.

      Maria will Krankenschwester werden, will Menschen pflegen, sich um sie kümmern, für sie da sein. Bereits in der Grundschule in Stoporsk erwähnt sie diesen Berufswunsch gegenüber ihrer Lehrerin. Die Lehrerin nickt, lächelt und sagt, dass der Beruf einer Krankenschwester ein schöner Beruf sei. Die Lehrerin ist wie alle Lehrerinnen seit dem Ende des Krieges nur für ein Schuljahr im Dorf, dann verlässt sie es. Die Gründe dafür ähneln sich immer wieder. Ihre Lehrerin will heiraten, in die Gegend zurückkehren, in der sie zu Hause ist. Als Maria die neunte Klasse der Polytechnischen Oberschule im Süden der Stadt Grabin besucht, hat sich nichts an ihrem Berufswunsch geändert. Selbstbewusst setzt sie den Berufsberater von ihrem Entschluss in Kenntnis, auch dass sie eine Ausbildung als Hebamme anstrebt. Der Berufsberater befürwortet ihre Entscheidung, findet die Begründung ausgezeichnet, dass sie Babys zum Leben verhelfen will. Er ist auch von ihrem Zeugnis sehr beeindruckt. Nur als es um den Ausbildungsplatz geht, beginnen die Probleme. In Bad Saarow stellt er ihr einen Ausbildungs-Platz in Aussicht, in einem Armee-Lazarett, einem Krankenhaus für Armee-Angehörige. Maria ist schockiert. In einem normalen Krankenhaus will sie ihre Ausbildung absolvieren, nicht


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