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Im heiligen Lande. Selma LagerlöfЧитать онлайн книгу.

Im heiligen Lande - Selma Lagerlöf


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ruhte.

      Jetzt ertönte sie von neuem. »Ich bin der Erste, der Einzige, ich bin der, den anzubeten die Menschen nie aufhören werden.« Kaum war dies gesagt, als mit starken Tönen von der Kirche des heiligen Grabes her geantwortet wurde: »Du vergißt zu erzählen, daß ungefähr in der Mitte derselben Hochebene, auf der du selbst ruhtest, sich ein elender kleiner Hügel befand, der mit einem Hain von wilden Olivenbäumen bewachsen war. Und du möchtest sicher am liebsten vergessen, daß der alte Patriarch Sem, der ein Sohn Noahs, des zweiten Stammvaters der Menschen, war, eines Tages auf den Berg Moria kam. Er war so altersschwach, daß er dem Rande des Grabes nahe war, er ging langsam und mit schleppenden Schritten. Er war von zwei Dienern begleitet, die solche Werkzeuge trugen, wie man sie gebraucht, um ein Felsgrab auszuhauen.«

      Jetzt schwieg die alte, heisere Stimme.

      »Du tust so, als wüßtest du nicht, daß Noah, der Vater Sems, den Schädel Adams, des ersten Menschen, als ein kostbares Andenken an den Stammvater der Menschheit besessen und aufbewahrt hatte. Als Noah starb, hinterließ er den Schädel Sem und nicht einem seiner anderen Söhne, weil er voraussah, daß von Sem das höchste aller Völker abstammen sollte. Und als Sem seine letzte Stunde herannahen fühlte, beschloß er, das Heiligtum des Geschlechts auf dem Berge Moria zu begraben. Da er aber die Gabe der Prophezeiung besaß, begrub er den Schädel nicht unter dem heiligen Felsen, sondern unter dem kleinen, unansehnlichen Hügel, der mit Ölbäumen bewachsen war, und der seit jenen Tagen den Namen Golgatha oder Schädelstätte trug.«

      »Ich entsinne mich wohl dieses Vorfalles,« erwiderte die heisere Stimme, »und ich entsinne mich auch, daß die, die den Steinblock anbeteten, es wunderlich fanden. Sie glaubten, daß der Patriarch, alt und todkrank, wie er war, nicht mehr recht wisse, was er tat.«

      Ein einziger schriller Ton erklang von der Kirche her. Mrs. Gordon fand, daß er fast einem kurzen Hohngelächter gleiche.

      »Aber was hat ein so unbedeutendes Geschehnis zu sagen?« ertönte es wieder von der Moschee her. »Der Stein nahm beständig zu an Macht und Heiligkeit. Fürsten und Völker kamen dorthin gewandert, um für ihr Glück und ihren Erfolg zu opfern. Ich entsinne mich auch des Tages, wo ein Patriarch, der größer war als Sem, den Berg besuchte. Ich habe Abraham gesehen, wie er, weißbärtig und ehrwürdig, mit seinem Sohn Israel an der Seite dahergewandert kam, und Abraham suchte nicht dich auf, o Golgatha, sondern auf der schwebenden Felsklippe errichtete er den Scheiterhaufen und band den Knaben fest.«

      Es kam eine zornige Unterbrechung von der Kirche des heiligen Grabes her. »Dies soll dir natürlich immer zur Ehre angerechnet werden, vergiß aber nicht ganz, daß du die Ehre mit mir teilen mußtest. Entsinnst du dich nicht, daß, als Gottes Engel das Messer aus der Hand des Patriarchen gerissen hatte und auf dem Berg umherwanderte, um ein Opfertier zu suchen, er auf Golgatha einen Widder fand, der mit den Hörnern an einem Olivenbusch festhing.«

      Mrs. Gordon lauschte noch immer mit der gespanntesten Aufmerksamkeit. Aber je mehr sie von dem Streit der beiden Heiligtümer hörte, um so mutloser dachte sie an ihre eigene Berufung. »Ach, mein Gott, warum hast du mir den Auftrag gegeben, das Gebot der Einigkeit zu verkünden? Streit und Zank sind das einzige, was seit Erschaffung der Welt von Bestand gewesen ist.«

      Plötzlich begann die alte Stimme von neuem.

      »Ich vergesse nichts von dem, was des Erinnerns wert ist. Ich vergesse folglich auch nicht, daß schon zu Abrahams Zeiten die Bergebene keineswegs eine Wüste war. Hier lag eine Stadt mit einem König, der der höchste Priester des heiligen Felsens war und über ein Volk von Priestern und anderen Dienern des heiligen Felsens herrschte. Dieser König war Melchisedek, er war der erste, der regelmäßig wiederkehrende Opfer und schöne heilige Handlungen einsetzte, die auf dem heiligen Felsen gefeiert werden sollten.«

      Gleich darauf kam die Antwort von der andern Seite: »Auch ich erkenne Melchisedek als einen heiligen Mann und einen Propheten an. Nichts beweist besser, daß er einer von Gottes Auserwählten war, als daß er wünschte, in einer Felsengrotte unter Golgatha begraben zu werden, an derselben Stelle, wo Adams Haupt ruhte. Hast du niemals daran gedacht, welche prophetische Bedeutung darin liegt, daß der erste Sünder und der erste Höchstepriester an diesem Ort begraben wurden?«

      »Ich habe gehört, daß du diesem eine große Bedeutung beilegst,« erwiderte der heilige Fels, »aber ich weiß etwas, was noch mehr zu bedeuten hat. Die Stadt auf dem Berge wuchs und entwickelte sich. Die Täler und Berge hier umher bevölkerten sich und bekamen feste Namen. Bald behielt nur noch die östliche Seite des Berges, da, wo der heilige Fels lag, den Namen Moria. Der Berg an der Südseite wurde Zion genannt, der nach Westen zu Gareb, der nach Norden zu Bezetha.«

      »Es war aber noch immer nur eine kleine Stadt, dier auf dem Berge lag«, lautete die Antwort von der Kirche her. »Hier wohnten fast nur Hirten und Priester. Die Leute hatten keine Lust, in diese unfruchtbare Steinwüste hinauszuziehen.«

      Hierauf wurde mit so scharfer und siegesstolzer Stimme geantwortet, daß Mrs. Gordon fast zusammenfuhr, wie sie so dasaß und lauschte.

      »Ich habe König David gesehen, in einem roten Gewand und schimmernder Rüstung stand er da und sah über diese Stadt hinaus, ehe er den Königssitz hierher verlegte. Warum wählte er nicht das reiche, lächelnde Bethlehem? Warum nicht Jericho in dem fruchtbaren Tal? Warum machte er nicht Gilgal, nicht Hebron zu der Hauptstadt Israels? Ich sage dir, daß er diesen Ort um des schwebenden Felsen willens wählte. Er wählte ihn, weil Israels Könige auf dem Berge wohnen mußten, den meine Heiligkeit seit Jahrhunderten überschattet hatte.«

      Und jetzt begann die Stimme zum zweitenmal mit langgezogenen Tönen einen Lobgesang anzustimmen:

      »Ich denke an diese große Stadt mit ihren großen Mauern und Türmen. Ich denke an die Königsburg auf dem Berge Zion mit den tausend Wohnungen. Ich denke an die Kramläden und Werkstätten, an die schimmernden Mauern und die hohen Tore und Türme. Ich denke an die wimmelnden Straßen, an alle die Schönheit und Pracht in der Stadt Davids.

      Und wenn ich hieran denke, muß ich wohl sagen: Hier ist deine Macht, o Fels! Aus dir ward alles dies hervorgelockt. Stolz kannst du deine Stirn erheben. Niemand ist dir gleich an Anbetung und Heiligkeit! Aber du, Golgatha, warst nur ein Fleck auf Erden, ein kahler Berggipfel außerhalb der Stadtmauer. Wer betete dich an, wer brachte dir Opfer, wer wußte etwas von deiner Ehre?«

      Zur selben Zeit, als dieser Lobgesang in die Luft hinaustönte, hörte man die Stimme der Glocke zornerfüllt, aber doch ruhiger als bisher, gleichsam von Ehrfurcht gedämpft, reden: »Man merkt, daß du alt wirst, du übertreibst alles, was du in deiner Jugend gesehen hast, so wie die alten Leute es zu tun pflegen. Davids Stadt erstreckte sich nur dort, auf der südlichen Seite, dort über Zion. Sie reichte nicht einmal so weit bis zu mir, mitten auf den Berg hinauf. Es war ja ganz natürlich, daß ich außerhalb der Stadtmauern liegen bleiben mußte.«

      Aber die singende Stimme fuhr fort, ohne sich unterbrechen zu lassen: »Deine größte Ehre, o Fels, erreichtest du doch unter Salomon. Der Bergrücken um dich her ward so glatt wie ein Fußboden und mit flachen Steinen belegt. Und rings um diesen Fußboden herum wurden hohe Säulengänge aufgeführt, wie um die Festhallen der Könige. In der Mitte wurde der Tempel mit dem Heiligen und dem Allerheiligsten errichtet. Und über dir, o Fels, ward der Tempel erbaut, und auf dir, der du der Grundstein der Erde bist, ruhte die Bundeslade zusammen mit den Gesetzestafeln in dem Allerheiligsten.«

      Jetzt vernahm man keinen Widerspruch von der Kirche her, nur einen dumpfen Laut, der einer Klage glich.

      »Und zu Salomons Zeit wurde Wasser aus der Tiefe der Täler zu den Hochebenen um Jerusalem hinaufgeleitet, denn Salomon war der weiseste unter allen Königen. Da sproßten Bäume aus dem dürren, weißgrauen Berge empor, und zwischen den Steinen wuchsen Rosen. Und im Herbst konnte man in den Lustgärten, die den Berg bedeckten, Feigen und Trauben, Granatäpfel und Oliven zur Freude Salomons pflücken. Du aber, Golgatha, warst auch jetzt noch ein nackter Berg innerhalb der Stadtmauern. Du warst so gering und unfruchtbar, daß niemand von den reichen Leuten zu Salomons Zeit dich in seine Lustgärten hinaufzog und kein armer Mann auch nur einen Weinstock auf dir pflanzte.«

      Als dieser neue Angriff kam, schien es


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